"Moderater Schwierigkeitsgrad"... aber doch!

Die Chamar-Daban-Bergkette. Foto: Myznikov. Lizenz: CC0 1.0

Eine Exkursion vom Dyatlov-Pass nach Kasachstan und in die Ukraine

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Zu Teil 1: "Der höchste Schwierigkeitsgrad"

Zu Teil 2: Außerirdische Yetis auf Fliegenpilz

Zu Teil 3: Zwei Filme und zwei Zeitungen

Nach meinem dritten Artikel zum merkwürdigen Tod von Igor Dyatlov und seiner Gruppe wurde ich von einigen Lesern gefragt, wo denn die angekündigten Beiträge zu Yuri Yudin und zum Nomadenvolk der Mansen bleiben würden. Die Antwort liegt im regelrecht überwältigenden Leserecho auf die beiden ersten Teile, welches die Redaktion zur Freude des Autors bewogen hat, dem ursprünglich als Dreiteiler vorgesehenen Thema mehr Raum zu geben.

Dieser Umstand erforderte zum einen eine veränderte und erweiterte Gliederung, erlaubt aber auch eine ausführlichere Beschäftigung mit einzelnen Subthemen, was wiederum eine aufwendigere Recherche erfordert.

Alle angekündigten Subthemen werden zu gegebener Zeit hier behandelt werden.

Der heutige Artikel ist eine Art Exkursion, die uns vom Dyatlov-Pass in die beiden ehemaligen Sowjetrepubliken Kasachstan und Ukraine sowie in die Archive des CIA führen wird.

Der YouTube-Kanal des unter Pseudonym arbeitenden Dyatlov-Experten Mythen-Metzger weiß eine Begebenheit aus dem Jahr 1993 zu berichten, die deutliche Parallelen zu den Vorfällen Ende Februar und Anfang März 1959 offenbart, sich von diesem aber in einem Punkt erheblich unterscheidet: Eine junge Frau hat den so merkwürdigen wie grauenvollen Vorfall überlebt. Mythen-Metzger bezieht sich mit diesem Beitrag auf einen im Video als Screenshot abgebildeten Artikel der russischen Newseite i-fakt.ru, den er sich auf den Hinweis eines russischen Bekannten hin ins Deutsche übersetzen ließ. Die folgende Zusammenfassung folgt im Wesentlichen der Darstellung des verdienten Privatgelehrten der Mysterienkunde.

In der Nähe des Baikalsees findet sich die am höchsten Punkt knapp 2400 Höhenmeter erreichende Bergkette Chamar Daban, die wie das etwa 3500 km entfernte Gebiet um den Cholat Sjachl intensiv als Wintersportgebiet genutzt wird. Chamar Daban befindet sich auf dem heutigen Staatsgebiet der südlich von Russland und westlich der Volksrepublik China liegenden ehemaligen sowjetischen Teilrepublik Kasachstan, die 1991 ihre Unabhängigkeit erklärte.

Im August des Jahres 1993 bestieg eine Gruppe junger Russen, drei Männer und drei Frauen, einen Zug in Irkutsk, um im erwähnten kasachischen Areal eine ausgedehnte, mehrtägige Wanderung von moderatem Schwierigkeitsgrad zu absolvieren. Zu diesem Zweck verstärkte sich die Gruppe vor Ort mit einer geprüften "Sportmeisterin im Fußgängertourismus" und setzte sich bei idealem herbstlichen Wetter in Bewegung.

Nach einigen Tagen, als die Gruppe bereits um die 70 km zurückgelegt hatte, änderten sich die meteorologischen Bedingungen schlagartig, und die Gruppe fand sich unvermittelt in einer anderen Jahreszeit wieder, nämlich der, die in diesen Breitengraden einen angenehmen spätsommerlichen Ausflug schnell zu einer Extremtour geraten lassen kann, die sich für Betroffene wohl wie eine Expedition zum Nordpol anfühlt.

Nun errichteten die Wanderer in einer Senke zwischen zwei Gipfeln ein Notlager, um dort das Ende des Schneesturms abzuwarten. Am nächsten Vormittag, gegen 11 Uhr, zogen sie weiter, um am Nachmittag desselben Tages in ein unbekanntes Inferno zu geraten.

Ein 24jähriger Teilnehmer der Wanderung begann aus heiterem Himmel aus den Ohren zu bluten, darüber hinaus hatte er Schaum vor dem Mund. Innerhalb kürzester Zeit brach er tot zusammen. Folgt man den Aussagen der damals 18jährigen Überlebenden, starb unmittelbar darauf die Bergführerin, laut Obduktionsbericht an einem Herzinfarkt. Eine der beiden anderen jungen Frauen wiederum agierte, als würde sie von einem Unsichtbaren gewürgt und begann, ihren Kopf immer wieder gegen einen Felsen zu schlagen, bis auch sie tot umfiel.

Vier der fünf noch lebenden Wanderer benahmen sich ebenfalls sehr bizarr und schienen zu halluzinieren. Die Überlebende, die als einzige von dem zugrundeliegenden rätselhaften Effekt verschont blieb, erkannte, dass ihre sich immer seltsamer gebärdenden Freunde nicht mehr in der Lage waren, der grauenvollen Situation mit Vernunft zu begegnen, was zweifelsohne bedeutet hätte, schleunigst die Rückkehr anzutreten und bei zuständigen Behörden vorstellig zu werden.

Darüber hinaus wies das Verhalten der "Befallenen" ihr gegenüber immer aggressivere Tendenzen auf. Also griff sich die Verzweifelte einen Kompass, einen Schlafsack sowie etwas Nahrung und versuchte verständlicherweise, sich zumindest vorübergehend aus dem Wirkungskreis der scheinbar einem unbekanntem Wahnsinn Anheimgefallenen zu entfernen.

Nachdem sie die folgende Nacht in angemessener Distanz zum Ort des Vorfalls verbracht hatte, kehrte sie am nächsten Tag zurück und fand ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Niemand war mehr am Leben. Die Leichen lagen im blutgetränkten Schnee, offenbar hatten sich die Opfer selbst - oder gegenseitig? - die Kleidung teilweise vom Leib gerissen. Drei der Toten waren barfuß. Die Leiche der "Sportmeisterin", also des zweiten Todesopfers, lag nun bäuchlings auf der des jungen Mannes, der als erster mit blutenden Ohren tot zusammengebrochen war.

Die Überlebende verließ die grausige Stätte wieder und versuchte, sich in eine gewohnte Gegend durchzuschlagen. Nach einigen Strapazen gelang ihr dies mit Hilfe von Wanderern, die sie auflasen und in die nächste bewohnte Siedlung geleiteten. Auf die Angaben der Augenzeugin hin begann die Polizei sofort mit der Suche nach den "verunglückten" sechs Personen. Als man die Toten fand, boten sie einen seltsamen Anblick: Ihre Leichname waren angeschwollen, wirkten wie aufgeblasen.

Die folgende Obduktion soll sich von den offensichtlichen Ausnahmen - der an einem Herzinfarkt verstorbenen Tourenleiterin und dem Mädchen, dass sich den Schädel eingeschlagen hat - auf Hypothermie festgelegt haben. Diese Schlussfolgerung scheint zumindest auf den ersten Blick sehr nachvollziehbar. Hypothermie kann die sogenannte "Kälte-Idiotie" auslösen, die in den Kreisen der Dyatlov-Forschung unter ihrem alternativen Namen "Paradoxes Entkleiden" wohlbekannt ist, da sie auch hier oft als vermeintliche Erklärung für die lebensgefährlich nachlässige Kleidung der Toten vom Cholat Sjachl angeführt wird.

Sieht man etwas genauer hin, muss die Erklärung aber in beiden Fällen falsch sein. Der Autor des Videos weist zu Recht darauf hin, dass ein Auftreten der Hypothermie sehr vom einzelnen Organismus und dessen Wärmehaushalt abhängt. Ein Ausbruch von Hypothermie, also auch von deren potentieller Konsequenz Kälte-Idiotie, bei einer ganzen Gruppe von Menschen - zum selben Zeitpunkt zudem - kann als Unmöglichkeit betrachtet werden. Darüber hinaus gehört es nicht zu den Symptomen des hypothermischen Effekts, den Betroffenen das Blut aus den Ohren spritzen oder ihre Leichen anschwellen zu lassen.

Aufgrund der erwähnt dürftigen Quellenlage ist schwer einzuschätzen, was von dieser Geschichte zu halten ist. Man würde gerne noch einige Details erfahren. Etwa, nach welchem Zeitraum man die Toten gefunden hat. Hat es sich nur um einen vorübergehenden winterlichen Einbruch gehandelt, oder haben sich die Minustemperaturen gehalten? Im ersten Fall wäre der aufgedunsene Zustand der Leichen problemlos zu erklären. Eine Erklärung für die eigentliche Ursache des seltsamen Geschehens würde allerdings auch daraus nicht gewonnen werden können.

Zugestanden, nachdem der in Russland längst legendäre Fall Dyatlov offenbar als zusätzliche Anziehungskraft für das Tourismusgebiet Vizhay wirkt (man hört von Zuständen auf dem Pass, die während der schneefreien Monaten an einen Campingplatz erinnern), ist durchaus vorstellbar, dass hier ein findiger Marketing-Experte etwa einer kasachischen Tourismus-Agentur beschlossen hat, eine an das berühmt-berüchtigte Massaker von 1959 angelehnte, öffentlichkeitswirksame Sage zu erfinden, sozusagen eine Art von ruralem Gegenstück zur "Urbanen Legende".

Solange dies nicht abschließend geklärt ist, gilt es jedoch unbedingt, diesen Fall von 1993 im Auge zu behalten. Würde der Bericht von i-fakt im weiteren Verlauf aus anderen Quellen bestätigt werden, handelte es sich hier um eine Begebenheit mit verblüffenden Parallelen zu den Geschehnissen am Cholat Sjachl.

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