"Möchte Amerika noch europäische Macht sein?"
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Die Sicherheitskonferenz kommt über eine eitle Selbstbeschau des Westens nicht hinaus
Die erlösende Nachricht kam am Samstagmorgen. Auch die neue US-Regierung unterstütze die NATO und stehe zu ihren transatlantischen Verpflichtungen - das könne er "im Namen des Präsidenten" hier sagen, so US-Vizepräsident Mike Pence im Bayerischen Hof in München. Die Vereinigten Staaten "werden auch in Zukunft immer Ihr bester Verbündeter sein". Es waren die Worte, auf die die Sicherheitskonferenz gewartet hatte. Schließlich war es bis dahin um kaum etwas anderes gegangen als um ein einziges Trump-Wort: "Obsolet", so hatte der neue Präsident die NATO genannt. Das hat die NATO-Eliten aufgeschreckt.
Amerika - sag mir, wo Du stehst
Wie sehr, zeigte sich bei der Sicherheitskonferenz. In München treffen sich jährlich hohe Politiker und Generäle, dazu die übliche Mischung aus beamteten Ministerialmitarbeitern, Ministern, Präsidenten kleinerer Länder, transatlantischen Netzwerkern und Journalisten - und alle suchten sie dieses Jahr nach Orientierung. Es habe "noch nie eine Situation wie heute gegeben", fasste Konferenzleiter Wolfgang Ischinger die Stimmung nach nur wenigen Minuten zusammen, um sofort auf den Punkt zu kommen: "Möchte Amerika noch europäische Macht sein", fragte er.
Bis zur Halbzeit der dreitägigen Konferenz ging es fast ausschließlich um die Zukunft der NATO, der EU, ja der Zukunft des Westens überhaupt. Ischinger hatte dazu eine große Erzählung vorbereitet (vgl. Die-postfaktischen-Erzaehlungen-der-Muenchener-Sicherheitskonferenz), wonach kurzgefasst die liberalen Demokratien durch die finsteren Mächte des Postfaktischen bedroht werden.
McCains Seitenhiebe auf Trump
Dementsprechend dankbar hatte die Konferenz bereits am ersten Tag aufgenommen, dass der neue amerikanische Verteidigungsminister James Mattis Artikel 5, die Beistandsverpflichtung des NATO-Vertrages, als "unser Fundament" bezeichnete. Demonstrativ duzend suchten Mattis und seine deutsche Amtskollegin Ursula von der Leyen den Schulterschluss.
Und US-Senator John McCain, selbst ein langjähriger Konferenzteilnehmer, schlüpfte in die Rolle des Predigers: "Ja, es sind gefährliche Zeiten, aber Sie dürfen Amerika nicht abschreiben", rief er aus. McCain beschwor die Werte des liberalen Westens, beklagte unter anderem die Diskriminierung von Muslimen - ein deutlicher Seitenhieb auf Trumps gescheitertes Einreiseverbot. Man müsse die "moralische Überlegenheit der eigenen Werte" verteidigen, sie stünden nicht auf einer Stufe mit denen der Gegner. "Ich weigere mich, das Ende des Westens zu akzeptieren", sagte er trotzig. Es war Balsam für Nerven der NATO-Funktionseliten, die durch den neuen erratischen Chef im Weißen Haus derzeit arg strapaziert sind.
Russland-Bashing geht immer
Die Selbstvergewisserung hatte allerdings ihren Preis. Bis zum Auftritt des russischen Außenministers Sergei Lawrow am zweiten Konferenztag blieb man unter sich. Beziehungsweise holte sich nur genehme Gesprächspartner dazu wie den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. Und das fiel erwartbar einseitig aus: "Putin hasst die Ukraine", behauptete er. Jetzt sei der Zeitpunkt, Putins "Machthunger" Einhalt zu gebieten, forderte er, nicht ohne auf das Münchner Abkommen zu verweisen. Ein starkes Europa wäre gegen Hitler nötig gewesen, und genau so müsse es heute ein starkes Europa gegen Putin geben. Sekundiert wurde ihm von John McCain, der sich schon lange auf die Seite Kiews geschlagen hat und amerikanische Waffenlieferungen für die Ukraine befürwortet. "Russen töten jeden Tag Ukrainer", behauptete er unwidersprochen wörtlich.
Ein "ziemlich Russland-kritisches Podium" nannte der Moderator im Livestream des Bayerischen Rundfunks die Diskussion im Anschluss. Und der als Experte eingeladene Politikwissenschaftler Christian Hacke kommentierte im BR-Interview: "Wenn Poroschenko spricht, geht mir ein bisschen das Messer auf, wenn er über die westlichen Werte spricht. Das Land ist so korrupt wie nur was." Für die Lösung des Konflikts sei die Neutralität der Ukraine am besten, so Hacke weiter: "Das Russland-Bashing hier ist mir schon ein bisschen aufgestoßen. Da ist mir zu viel Selbstgefälligkeit des Westens drin. Denn ohne oder gar gegen Russland läuft für die Zukunft der Lösung der Probleme gar nichts."