Mogelpackung sozialer Wohnungsbau
Statt abstrusen befristeten Fördersystemen bräuchte es eine neue Gemeinnützigkeit und kommunalen Wohnungsbau, um die Versorgungskrise zu lösen
Für Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der sozusagen nebenberuflich auch noch als Bauminister agiert, war heute wieder mal ein Tag der Selbstbeweihräucherung. Anlass war ein hochkarätiges Online-Treffen zur Bilanzierung der Wohnungsbaupolitik der Großen Koalition, an dem neben Seehofer unter anderen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) teilnahmen. "Meine Bilanz fällt sehr positiv aus. Es ist das größte Wohnungsbauprogramm, das je eine Bundesregierung nach den Jahren des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg aufgelegt hat", sage Seehofer vor Beginn des Treffens.
Als Erfolge listete der Minister unter anderem die Einführung des Baukindergeldes und die verstärkte Förderung des Baus von Sozialwohnungen mit einer Milliarde Euro pro Jahr auf. CDU/CSU und SPD hatten in ihrem Koalitionsvertrag eine "Wohnraumoffensive" vereinbart. Bis zum Ende der Legislaturperiode sollten 1,5 Millionen neue Wohnungen und Eigenheime entstehen. Bis zum Ende des Jahres werden es aber lediglich 1,2 Millionen sein. Seehofer kaschiert dieses schlechte Ergebnis mit einem Taschenspielertrick. Er rechnet einfach die bis dahin voraussichtlich erteilten Baugenehmigungen dazu.
Man könne aber "auf Baugenehmigungen nicht wohnen und in Rohbauten auch nicht", kommentierte das Lukas Siebenkotten, der Präsident des Deutschen Mieterbundes. Auch das Baukindergeld habe so gut wie nichts zur Ankurbelung des Neubaus beigetragen, denn faktisch handle es sich um ein "Kaufkindergeld", das ohnehin gut verdienenden Familien den Erwerb von Bestandsimmobilien subventioniert.
Rasanter Schwund von Sozialwohnungen
Noch desaströser sieht die Bilanz bei den Sozialwohnungen für Inhaber von Wohnberechtigungsscheinen aus. Der angesichts des dramatischen Mangels an bezahlbarem Wohnraum ohnehin blamablen Fertigungszahl von 25.000 steht der Wegfall von 60.000 Wohnungen pro Jahr gegenüber: Nach dem Ablauf der Förderperiode fallen sie aus der Sozialbindung und werden dem "freien Markt" übergeben.
Das ist genauso widersinnig, wie es klingt und zeigt anschaulich, wie unsinnig und kontraproduktiv das deutsche Modell des geförderten sozialen Wohnungsbaus ist. Denn mit den jahrzehntelang fließenden Fördermitteln wurden eben nicht dauerhaft preisgünstige Wohnungen errichtet, sondern eine befristete soziale Zwischennutzung erkauft. Für den Förderzeitraum von 15 bis 25 Jahren gelten Mietobergrenzen und Belegungsbindungen, anschließend können die Besitzer sich wieder am normalen Marktgeschehen orientieren, die Mieten erhöhen, kostentreibende Modernisierungen durchführen oder Miet- in Eigentumswohnungen umwandeln.
Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, die Förderzeiträume zu verlängern, aber davon wird wenig Gebrauch gemacht. Da der soziale Wohnungsbau seit Beginn des Jahrtausends drastisch heruntergefahren wurde, konnten die systembedingten Verluste nicht mehr ausgeglichen werden. 2006 gab es noch 2,1 Millionen an Sozialwohnungen, Ende 2020 waren nur noch wenig mehr als eine Million. Der aktuelle Fehlbedarf bei preiswerten Wohnungen wird auf knapp zwei Millionen Einheiten geschätzt.
Es liegt auf der Hand, dass man dieser Wohnraumversorgungskrise nicht mit den Instrumenten des geförderten sozialen Wohnungsbaus beikommen kann. Zumal selbst diese befristeten sozialen Nutzungen für die besonders bedürftigen Wohnungssuchenden teilweise viel zu teuer sind, da für das "gehobene" Sozialwohnungssegment Einstiegsmieten von 8,50 Euro pro Quadratmeter (nettokalt) möglich sind.
Dennoch ist dieses offenbar untaugliche und dennoch sehr teure Instrument nach wie vor in aller Munde, wenn es um die Bekämpfung des Wohnungsmangels für Gering- und Normalverdiener geht. Fast unisono fordern große Mieterverbände, Gewerkschaften, Kommunen und sogar Lobbyverbände der Immobilienwirtschaft eine Aufstockung des Fördervolumens. Und das, obwohl mit Baudarlehen, Baukosten- und Aufwendungszuschüssen und Steuerabschreibungen jede Sozialwohnung im Durchschnitt rechnerisch mehr Fördermittel verschlingt, als die Errichtung der Wohnung kostet.
Dauerhaft preisgünstig statt sozialer Zwischennutzung
Natürlich gäbe es Alternativen. Wie zum Beispiel die 1990 abgeschaffte Wohnungsgemeinnützigkeit, deren modifizierte Wiedereinführung unter anderem von Grünen und Linken gefordert wird. Jegliche Förderung könnte dabei an klare Kriterien gebunden werden: Beschränkte Gewinnerzielung und -ausschüttung, ausschließlich Bau bedarfsgerechter Mietwohnungen, dauerhafte Mietpreisbegrenzung, Ausschluss der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, kein Verkauf an nichtgemeinnützige Unternehmen. Entsprechende detaillierte Vorschläge liegen seit Jahren vor, werden von Regierung und Wohnungswirtschaft aber gleichermaßen ignoriert.
Eine weitere Möglichkeit wäre kommunaler Wohnungsbau in unmittelbarer Trägerschaft der öffentlichen Hand. Also ohne das jetzt übliche Konstrukt privatrechtlich verfasster Wohnungsbauunternehmen , die sich zwar im Besitz der Kommunen befinden, aber eigenständige wirtschaftliche Ziele verfolgen.
Jegliche Wohnungsbauförderung würde bei diesem Modell entfallen, der Staat bzw. die Länder und Kommunen würden den Bau und die Bewirtschaftung in eigener Regie durchführen. Historisches Vorbild dafür ist der Gemeindewohnbau in Wien. In Berlin hat eine Arbeitsgruppe der Mietergemeinschaft als "Initiative Neuer Kommunaler Wohnungsbau" (INKW) ein entsprechendes Konzept entwickelt, worauf die Politik bisher nicht ernsthaft reagiert hat.
Festzuhalten bleibt: Der deutsche Sonderweg des geförderten sozialen Wohnungsbaus ist eine teure Sackgasse und kein Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Eine umfassende soziale Wohnraumversorgung für alle Schichten der Bevölkerung ist nur zu realisieren, wenn dieses Segment der Marktlogik und den damit verbundenen Profitinteressen entzogen wird, als Teil der sozialen Daseinsvorsorge des Staates. Für die mächtige Immobilienlobby ist das eine Horrorvorstellung. Aber sie kann sich zur Zeit darauf verlassen, dass die herrschenden Parteien ihre Interessen zuverlässig vertreten.