Moldaus EU-Referendum: Ein ganz klares Vielleicht
Knapper Ausgang, geringe Beteiligung. Republik Moldau stimmt für Referendum zum EU-Beitritt als Verfassungsziel. Ausgang der Stichwahlen in zwei Wochen völlig offen.
"Unterstützen Sie die Verfassungsänderung in Hinblick auf den Beitritt der Republik Moldau zur Europäischen Union?" Über diese Frage stimmten am Sonntag 1.562.705 Millionen Wahlberechtigte ab. 750.137 votierten dafür (50,4 Prozent), 738.737 dagegen (49,4 Prozent ). Die Wahlbeteiligung lag bei 51,7 Prozent.
Auch, weil führende Oppositionspolitiker wie der ehemalige Präsident Igor Dodon und der aktuelle Präsidentschaftskandidat Alexander Stojanoglu zum Boykott aufgerufen hatten. Das erforderliche Quorum von 33 Prozent wurde dennoch erreicht.
EU-Sympathisanten und EU-Skeptiker Kopf an Kopf
Den Ausschlag gaben vor allem Moldauer, die im EU-Ausland arbeiten. Etwa 77 Prozent ihrer 235.503 Stimmen waren für, nur 23 Prozent gegen den EU-Beitritt. Innerhalb Moldaus lehnte die Mehrheit das Referendum ab, vor allem in der Region Gagausien (95 Prozent), der zweitgrößten Stadt Balti (71 Prozent) sowie im Norden Moldawiens.
In der Hauptstadt Chisinau stimmten 56 % der rund 530.000 Einwohner für, 44 Prozent gegen den Beitritt. Die seit 1992 von Moldawien de facto getrennte Region Transnistrien verzeichnete 63 Prozent Gegenstimmen, ihre Einwohner sind in Moldau wahlberechtigt.
Parallel zum Referendum fanden Präsidentschaftswahlen statt. Die liberale, pro-EU-Kandidatin Maia Sandu erhielt 42,49 Prozent der Stimmen. Zweitstärkster Kandidat wurde Alexandr Stoianoglu mit 25,95 Prozent, von der Sozialistischen Partei Moldaus und Sandus Vorgänger Igor Dodon unterstützt.
Stoianoglu plädierte im Wahlkampf für eine ausgewogene Außenpolitik Moldaus, Kritiker nennen ihn einen prorussischen Kandidaten. Auch die nächstplatzierten Kandidaten Renato Usatîi (13,79 Prozent) und Irina Vlah (5,38 Prozent ) werden dem EU-skeptischen oder prorussischen Lager zugerechnet. In der Stichwahl werden sie voraussichtlich Stoianoglu unterstützen.
Beeinflussung durch EU und Russland – ein ungleicher Wettkampf
Die Wahl und das Referendum wurden von Beeinflussungen der Europäischen Union und Russlands begleitet. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sicherte der Republik Moldau noch am 10. Oktober Infrastrukturhilfen in Höhe von 1,8 Milliarden € zu. Für ein Land, dessen jährliche Staatsausgaben 2023 bei rund 3 Milliarden Euro lagen, eine hohe Geldsumme.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte noch im August beim Besuch in Chisinau Unterstützung für die Aufnahme in die Europäische Union, den Kampf gegen "Destabilisierungsversuche" – die Bundesrepublik stellt seit April 2023 im Rahmen der "European Partnership Mission in Moldova" 15 Polizeibeamte zum Kampf gegen "Fake News" zur Verfügung – und ein Migrationsabkommen in Aussicht gestellt.
Auch die mit dem Berliner Prozess – eine Freihandelszone zwischen EU, Albanien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Montenegro, Serbien, Kosovo und Moldawien – verbundenen schnelleren Zollverfahren sind ein wirtschaftlicher Anreiz.
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Russland kann da nicht mithalten. Die etwa 100 Millionen Euro, welche der prorussische Oligarch Ilan Shor laut Recherchen der moldauischen Tageszeitung Ziarul de Garda und Aussagen der moldauischen Polizei an moldauische Bürger überwiesen haben soll, um das Referendum abzulehnen oder zu boykottieren, wirken dagegen eher grotesk und perspektivlos.
Außenwirtschaftlich ist die Republik Moldau inzwischen stark an die Europäische Union gebunden. 2022 bezog sie 12,4 Prozent ihrer Importe aus Russland und exportierte etwa 4,4 Prozent ihrer Waren dorthin.
Dem gegenüber bezog sie 2022 etwa 48 Prozent ihrer Importe aus EU-Ländern, vor allem Rumänien, Deutschland und Italien. Wichtige Importpartner waren auch China (10,27 Prozent Türkei (7,17 Prozent) und Ukraine (9,26 Prozent). Wichtigste Exportmärkte für Moldau waren mit Rumänien (28,64 Prozent), Ukraine (16,62 Prozent), Italien (7,64 Prozent) und Deutschland (5,33 Prozent ) ebenfalls EU-Länder.
Die moldauische Regierung hatte 2022 auf den Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine mit einem Verzicht auf russische Gasimporte reagiert – ein Indiz dafür, dass sich die Orientierung an der EU verstärken wird.
Ende der Neutralität?
Die Einschätzung Ian Prouds, dass es ein Fehler war, die Wahlen zu einer binären Entscheidung zwischen Europa und Russland zu machen, kann man vor dem Hintergrund der knapp 48 Prozent Wahlberechtigten, die dem Referendum fernblieben, teilen.
Die Wahrheit lag für sie womöglich irgendwo in der Mitte. Auch der ehemalige Präsident Igor Dodon formulierte seine Haltung wie folgt: "Die Gespräche mit der Europäischen Union sollen fortgesetzt werden, doch die Entscheidung über eine Mitgliedschaft in der EU sollte erst nach dem Abschluss dieser Verhandlungen getroffen werden, wenn alle Bedingungen klar sind."
Die Aufnahme des EU-Beitritts als Ziel in die Verfassung macht diesen noch nicht bindend. Einerseits müssen nun Gesetze auf den Weg gebracht werden, um den Prozess voranzutreiben. Es ist unklar, ob pro-EU-Kräfte um Präsidentin Sandu aus den Stichwahlen um die Präsidentschaft in knapp zwei Wochen sowie aus den Parlamentswahlen im kommenden Jahr siegreich hervorgehen werden.
Ein Wahlsieg Stojanoglus oder eu-skeptischer Kräfte bei den Parlamentswahlen könnten die Anbindung verlangsamen. Andererseits hat auch die EU es mit der Aufnahme Moldawiens nicht eilig. Der frühestmögliche Termin im Rahmen des Aufnahmeverfahrens ist das Jahr 2030.
Nichtsdestotrotz schwächt die Entscheidung des Referendums die ebenfalls in der Verfassung verankerte Neutralität des Landes. Auffällig ist, dass der Verfassungszusatz EU-Verträgen Vorrang vor moldauischer Gesetzgebung zugesteht. Felix Hett von der Friedrich-Ebert-Stiftung räumte gegenüber Deutschlandfunk ein, dass dieser Umstand "vielleicht auch einige überfordert" habe.
Das letzte Wort scheint mit dem Referendum noch nicht gesprochen zu sein. Sarah Rainsford von der BBC formulierte es wie folgt: "Die Abstimmung sollte den Prozess unumkehrbar machen. Stattdessen scheint er nun etwas wackeliger zu sein."