Monopolist Microsoft darf weiter leben, wird aber angeblich in Ketten gelegt
Windows of the Future: Die Zeichen sind zahllos, dass Bush Amerika ein neues altes Profil verordnet
Ein Profil, das die guten alten Werte, eindeutige Schwarzweiß-Schemata und ungehemmteres Wirtschaften zu einem konservativ-autoritären Betriebssystem von Staat und Gesellschaft bündelt. Jetzt erklärte das amerikanische Justizministerium, es bestehe kein Interesse mehr, Microsoft, den Software-Giganten aus Redmond mit dem tiefstapelnden Namen, zu zerschlagen. Man verzichte auf diese Forderung, um das laufenden Kartellverfahren zu verkürzen. Auch den Vorwurf, das Unternehmen habe seinen Browser "Internet Explorer" wettbewerbsrechtlich unzulässig in das Betriebssystem Windows integriert, um Konkurrenten aus dem Rennen zu werfen, wird das Justizministerium nicht weiter verfolgen. Die Maßnahme gilt zunächst als eine deutliche Abgrenzung der Bush-Regierung gegenüber der Haltung der Clinton-Administration, dass allein die Demontage von Microsoft der einzig effektive Weg sei, den rüden Geschäftsmethoden endgültig Einhalt zu gebieten. Unter Clinton hieß es, dass jede andere Maßnahme keine erträglichen Wettbewerbsbedingungen für Mitbewerber gewährleiste.
Stattdessen lautet das offizielle Motto nun, Microsoft solle seine Geschäftspraktiken ändern. Die Erklärung klingt vorderhand nicht sehr viel anders, als Raubtieren zu empfehlen, in Zukunft nur noch vegetarisch zu leben. Ganz so einfach ist es indes doch nicht. Herbert Hovenkamp, Kartellrechtsspezialist an der "University of Iowa", der die Regierung in dem Verfahren beriet, verteidigte die Entscheidung. Mit dem Urteils des Berufungsgerichts im Juni dieses Jahres, die Demontageentscheidung des Bezirksgerichts aufzuheben, wäre es extrem schwierig geworden, noch einen Plan zur Unternehmensaufteilung zu unterbreiten, den die Gerichte akzeptiert hätten. Immerhin will man an den Auflagen festhalten, die wegen der festgestellten Wettbewerbsverstöße verhängt wurden. Zugleich schlossen sich die 18 weiteren Kläger der Bundesstaaten der Regierungserklärung an.
So wird zwar der Vorwurf des Monopolmissbrauchs auf dem Sektor der Betriebssysteme nicht fallen gelassen, aber die eigentliche Sorge von Microsoft, zerschlagen zu werden, ist damit behoben. Nach dem Justizministerium hätte die weitere Auseinandersetzung nur noch das Verfahren verzögert und damit verhindert, kurzfristig notwendige Sanktionen gegen Microsoft festzusetzen. Einer der Chefkläger, Richard Blumenthal aus Connecticut, verwies darauf, dass der Prozessausgang ohnehin im Blick auf die Verkoppelung von Features drohte, irrelevant zu werden, wenn neue Software auf den Markt käme. Das Justizministerium ist aber überzeugt, dass nun eine Basis geschaffen sei, Microsofts ungesetzliches Vorgehen zu beenden sowie wirksame Präventivmassnahmen zu ergreifen, um eine Neuauflage des Browserkriegs zu vermeiden.
Maßnahmen zur Rückführung von Microsoft in die zivile Wirtschaftsgemeinschaft
Der bisherige Prozess hat immerhin bewiesen, dass Microsoft seine Marktmacht missbraucht hat, um Computerhersteller unter Druck zu setzen, die firmeneigene Software gegenüber der von Rivalen wie Netscape Communications oder Sun Microsystems zu bevorzugen. Dieser zentrale Punkt, PC-Hersteller frei entscheiden zu lassen, auch Produkte von anderen Wettbewerbern einzusetzen, soll nun in der Palette von Verhaltensregeln für Microsoft als Kernstück verankert werden.
Microsoft ist wohl zuletzt ein reuiger Sünder. Noch kürzlich spielten wieder die Muskeln, als das Softwareimperium zunächst erklärte, dass man PC-Herstellern größere Freiheit bei der nächsten Generation des Betriebssystems m Windows XP einräumen werde. Auch Icons von rivalisierenden Unternehmen würde man nun gnädig auf dem Schlachtfeld mit dem harmlosen Namen "Desktop" zulassen. Aber nachdem Compaq erklärte, dass man eine Vereinbarung mit AOL über die Integration des Online-Service getroffen habe, hakte Microsoft im bekannten Stil nach. Computerhersteller, die auf dem Desktop-Screen konkurrierende Software aufspielen, hätten auch drei Microsoft Icons zu präsentieren - für den Internet Explorer, den Media Player und den MSN Internetservice. Microsoft rechtfertigte das als notwendige Wettbewerbsmaßnahme, weil die AOL Software auch ein solches Komplettpaket beinhalte.
Was wird jetzt anders? Das Justizministerium will sich bei dem Katalog der neuen Verhaltensregeln zunächst an dem Urteil des Richters Thomas Penfield Jackson orientieren. Microsoft solle seine aggressiven Geschäftsstrategien gegenüber Geschäftspartnern und Softwareentwicklern einstellen. Wenn die Bezirksrichterin Colleen Kollar-Kotelly zustimmt, soll neben dem Verbot von Knebelverträgen Microsoft in Zukunft technische Informationen offener mit Konkurrenten austauschen, damit deren Produkte auch konfliktfrei mit dem Windows Betriebssystem laufen. Sämtliche Veränderungen der Betriebssystemperformance im Zusammenspiel mit Fremdprodukten sind zu überwachen und dem jeweiligen Hersteller - unter Strafandrohung - mitzuteilen. Jeder Anwender kann unzählige Klagelieder von feindlichen Programmen anstimmen, die ihren Privatkrieg auf fremden Festplatten austragen. Bis auf geringfügige Ausnahmen soll die Discount-Politik für die Übernahme ganzer Produktpaletten ganz eingestellt werden. So sind etwa offene Preislisten für Windows-Lizenzen vorzulegen, sodass Microsoft nicht länger mit einer verdeckten Discount-Politik Händler manipulieren könne. Auch Microsofts betriebsinterne Aktivitäten sollen in Zukunft genauer kontrolliert werden. Regierungsanwälte sollen sogar autorisiert werden, das Firmengelände zu betreten, um alle relevanten Informationen einzusehen.
Als das Justiz Department zu Prozessbeginn mehr oder weniger diese Forderungen erhob, sprach Microsoftchef Ballmer von "drakonischen Maßnahmen". Damit sei die Fähigkeit des Unternehmens gefährdet, weiterhin gute Arbeit zum Wohl der Kunden leisten zu können. Die Verschmelzung neuer Produkte - Microsoft spricht sanft bis soft von der Integration neuer Features - ist zentral für die aggressive Expansionspolitik des Unternehmens. Wer die Kreise bzw. Pfade von Microsoft betrat, musste allein schon deshalb mit dem Schlimmsten rechnen. Auch die Europäische Union betreibt ein Kartellverfahren gegen Microsoft, bei dem es um die Verknüpfung des Media Players mit dem Betriebssystem und Serversoftware geht. Windows XP, Microsofts neues Betriebssystem, zurrt auch wieder neben der Musikwiedergabe, dem Internet Shopping und digitaler Fotografiesoftware etliche kundenfreundliche Features fest zusammen.
Microsoft hat selbstverständlich sofort dementiert, Windows XP sei nichts anderes als eine Neuauflage der bisher von den Gerichten abgehandelten Kartellproblematik. Ein Kartellrechtsspezialist der Regierung ließ überdies bereits verlauten, dass man den Verkauf von Windows XP nicht verhindern werde. Aber man habe ein Auge darauf, ob nicht schließlich dem Gericht anempfohlen werde, auch hier Änderungen des Betriebssystems in die Verhaltensknigge mitaufzunehmen.
Windows Lobby Edition
Microsoft wurde von dem Antitrust-Verfahren, das vor vier Jahren begann, kalt erwischt. Als die Clinton-Regierung im Herbst 1997 ihre erste Klage fertigte, unterhielt das Unternehmen lediglich ein armseliges Einmann-Büro in einer Vorortgegend von Washington, das die Lobby-Arbeit leisten sollte. Microsoft begriff dann sehr schnell, dass Software ein politisch vermintes Terrain ist und selbst ein kundenfreundlicher Kapitalismus auf Erträglichkeitsgrenzen stoßen kann.
Das politische Spendenaufkommen der Software-Milliardäre aus Redmond belief sich zu dieser Zeit noch auf lächerliche Beträge unterhalb von $ 100.000. Washington war nur irgendeine Markierung auf der imperialen Weltwirtschaftskarte, von der Firmenphilosophie, wenn der Euphemismus überhaupt zulässig ist, um Lichtjahre entfernt. Aber als im Frühjahr 1998 das Justiz Department und zwanzig Bundesstaaten ihre Hauptklage starteten, wurde der Riese hellwach. Wohl zu recht kam Microsoft zu der Überzeugung, dass die lobbyistische Wühlmausarbeit von Unternehmensfeinden bzw. Konkurrenten wie Netscape Communications Corporation, Sun Microsystems und Oracle maßgeblich die Regierungsentscheidung beeinflusst hatte.
Microsoft schlug zurück. Eine beeindruckende Lobby-Riege wurde etabliert, um jeden zu erreichen, der Einfluss auf das Antitrust-Verfahren nehmen könnte. Viele ehemalige Spitzenpolitiker, die zuvor als Kongressabgeordnete, Senatoren und Berater des Weißen Hauses die Interna der amerikanischen Macht kennen gelernt hatten, wurden auf die Gehaltsliste des Unternehmens gesetzt. Microsoft begann auch mit der Strategie, die Chefkläger von Firmenverantwortlichen behelligen zu lassen, die wundersamerweise oft von engen Freunden oder Berufskollegen der Klägervertreter begleitet wurden. Steve Ballmer traf noch im Juni Vizepräsident Cheney, mit dem er selbstverständlich nicht über das schwebende Antitrust-Verfahren sprach. Immerhin bleibt aber zu vermerken, dass Cheneys Schwiegersohn Phil Perry in der Antitrust-Abteilung des Justiz-Departments maßgeblich tätig ist.
In Redmond begriff man schnell, dass Geld nicht nur den Weltmarkt regiert, sondern auch das beste Schmiermittel für Betriebssysteme ist. Bei den letzten Wahlen erhielten allein die Republikaner, einschließlich von George W. Bush, zwei Drittel von $ 4,7 Millionen Spendengeldern, wie das "Center for Responsive Politics" ermittelte. Mindestens weitere $ 6 Millionen wurden an die Lobbyisten gezahlt, um Politikern den kundenfreundlichen Standpunkt von Microsoft eindringlich klar zu machen. In dem Zusammenhang leuchtet die Aussage eines Sprechers des Weißen Hauses, dass Präsident Bush zwar über die jetzige Entscheidung informiert gewesen sei, aber keine Rolle dabei gespielt habe, sofort ein.
Windows of the Future
Die Entscheidung der Regierung hat bei den Gegnern von Microsoft unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Es gab schon immer in Silicon Valley die Auffassung, dass die Demontage des Giganten letztlich nur zwei kleinere Monopole schaffen würde, aber damit längst nicht das Wettbewerbsproblem erledigt sei. Der Clinton-Plan sei von Anfang an illusionär gewesen. Hovenkamp verwies auf das Spezifikum dieses Monopol-Falles: Man kann das Unternehmen teilen, aber eben auch das Produkt.
Deshalb war bei den Softwareschmieden von Silicon Valley wohl die Idee populärer, dass die Regierung Microsoft zwingen solle, die Produktbündelpolitik von Browsern und anderen Funktionen zu beenden. Weiterhin wurde auch immer wieder gefordert, den Code anderen Unternehmen preiszugeben. Neben dem vordergründigen Verbraucherargument hat sich Microsoft immer darauf berufen, dass der kostenlose Transfer von proprietären Informationen die firmenbekannte Innovationsfreude unterminieren würde.
Alex Edelstein, ein früherer Verantwortlicher von "Netscape Communications Corporation" die mit ihren Beschwerden über die Browserpolitik des Konkurrenten, den Stein ins Rollen brachten, sieht das genau umgekehrt. Prinzipiell wären Investoren in Silicon Valley nicht bereit, Geschäftsideen zu finanzieren, die zu einem unmittelbaren Wettbewerb mit Microsoft führen. Gerade daher gäbe es überhaupt keine echte Motivation für Microsoft, ihre Produkte zu innovieren, wenn sie ihren Claim erstmal abgesteckt hätten. Red Hat zum Beispiel, das an der Aufrüstung des offenen Betriebssystems Linux arbeitet, wäre viel innovativer als Microsoft, ohne auf dem Ruhekissen von proprietären Lizenzen zu ruhen.
Charles A. James, der die Antitrustabteilung des Justiz Departments leitet, wiegelt indes ab. Die Entscheidung bedeute nicht, dass die Regierung aufgebe:
Wir werden uns weiter nachhaltig dem Fall widmen, um eine effektive Verbesserung für die Kunden sicherzustellen.
Microsoft gibt sich nicht allzu euphorisch und auch die Aktienkurse haben nicht freudig ausgeschlagen. Zwar spricht Steve Ballmer in einer betriebsinternen Email von "offensichtlich guten Nachrichten." Aber einige Microsoft verbündete Unternehmen, die als Kenner der firmeneigenen Seelenzustände bekannt sind, warnen bereits, dass die Einschränkungen der zukünftigen Geschäftsmethoden eine überschwere Last für den Software-Hersteller mit sich bringen könnten. Nun indizieren solche Statements schon jetzt, dass der Softwaregigant allein aus eigener Einsicht wohl kaum seine berüchtigten Strategien verändern wird.
Ed Black, Präsident der "Computer and Communications Industry Association", die Microsofts Mitbewerber repräsentiert, bleibt daher skeptisch: Die Entscheidung bedeute, dass Microsoft "business as usual" betreibt. "Wir haben erkannt, dass es in dem Fall von Microsoft kein Allheilmittel gibt", stellte dagegen Chefkläger Miller aus Iowa fest. Besser, als Stärke zu zeigen, sei es jetzt, strategisch sinnvoll zu handeln.
Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser, meinte schon Lenin. Dem gemäß taugen Besserungsmaßnahmen gar nichts, wenn sie nicht permanent kontrolliert und zahlreiche Umgehungsmöglichkeiten abgeschnitten werden. Dass diese Politik, die man zu Zeiten Clintons aber als ineffektiv eingeschätzt hatte, nun funktionieren wird, ist mehr als fraglich. Letztlich belegt der Microsoft-Prozess die Crux eines "kapitalistischen Betriebssystems", das den freien Wettbewerb zum Fetisch macht und eben diesen Wettbewerb damit nachhaltig beeinträchtigt.
Der Monopolist darf also weiter leben, wird nun aber angeblich in Ketten gelegt, von denen erst die Zeit erweisen wird, aus welchem Material sie gewirkt sind. Zwar ist der Hinweis richtig, dass die Weiterführung von Microsofts unstillbarem Hunger auch ein neues Antitrust-Verfahren auslösen könnte. Aber unter der Bush-Regierung dürfte eine fundamentale Revision der Angelegenheit kaum zu erwarten sein. Das Motto "Krieg den Monopolisten, Friede den Festplatten" könnte dann späteren Zeiten vorbehalten sein.