Moral und Realpolitik: Saudi-Arabien wieder top

Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman. Foto: Glenn Fawcett für das US-Verteidigungsministerium/gemeinfrei

US-Präsident Biden will nach Riad, um Mohammed bin Salman zu treffen. Dies sei "für das Wohlergehen des US-amerikanischen Volkes notwendig"

Einen Säbeltanz zwischen Freunden wird es wahrscheinlich diesmal nicht geben, ganz sicher aber ein Handshake-Foto, das den Erfolg von Mohammed bin Salman dokumentiert.

Ende Juni wird US-Präsident Biden nach Riad kommen und den saudischen Kronprinzen treffen. Für den Thronfolger, dessen Vater König Salman ibn Abd al-Aziz selbst auf offiziellen Fotos einen eher gebrechlichen Eindruck macht, ist das Treffen ein Sieg, allhamdulilah.

Im Mai 2017 kam Trump nach Riad, tanzte den "Kriegstanz" (Spiegel), streichelte mit König Salman und Ägyptens Herrscher al-Sisi die Weltkugel wie die Magier bei Walt Disney und machte Big Business mit Waffenverkäufen.

Danach, im Oktober 2018, gab es diese diplomatisch sehr unangenehme Mordgeschichte im saudischen Konsulat in Istanbul, das der dort hinein gelockte politische Gegner des Kronprinzen, Jamal Ahmad Khashoggi, nicht mehr lebend verließ. Auch wenn sogar das CIA den Verdacht nicht loswurde, dass Kronprinz Mohammed bin Salman maßgeblich in die heimtückische Splatter-Killeraktion verwickelt sein könnte, so blieb Trump unbeeindruckt.

"Die Welt ist ein gefährlicher Ort"

"Die Welt ist ein gefährlicher Ort", teilte das Weiße Haus einen guten Monat später mit und der seinerzeitige Chef verkündete, dass es nicht sicher sei, ob der Kronprinz überhaupt Bescheid wusste, ganz sicher aber seien die nationalen Interessen der USA bedeutender als der Fall Khashoggi (Trump: Fest an der Seite von Saudi-Arabien).

Zu dieser Einsicht ist jetzt auch US-Präsident Biden gelangt. Als Präsidentschaftskandidat wollte Saudi-Arabien noch als Paria behandeln und weiteres, den Kronprinzen belastendes Material veröffentlichen, wie die New York Times anmerkt. Ihr aktueller Bericht spricht von einer Wende im Namen der Realpolitik.

Nach Ansicht von Außenpolitikexperten ist der Besuch ein Triumph der Realpolitik über die moralische Empörung. Nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine hat Biden es für notwendig befunden, andere Energieproduzenten zu umwerben, um das Öl aus Moskau zu ersetzen und die Weltmärkte zu stabilisieren.

New York Times

Kann sich Saudi-Arabien also beim russischen Präsidenten bedanken, dass die alte Freundschaft wieder auflebt? Die Sache ist etwas komplizierter.

Putin hatte seine Realpolitik auch nach dem weltweiten Skandal beibehalten, sich zu keinerlei öffentlicher moralischer Empörung verleiten lassen und dem Kronprinzen Mohammed bin Salman weiter die Hand gegeben. Als die moralische Empörung über Putins Befehl zum Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine in den westlichen Ländern, in den USA, in Großbritannien, in Frankreich und in Deutschland hohe Wellen schlug, zeigte sich die saudische Führung sehr viel konzilianter gegenüber Russland.

Man ließ Biden abblitzen, machte bei der Front gegen Moskau nicht mit, was moralisch nicht so schwer fiel, da man selbst seit Jahren einen Angriffskrieg im Jemen führt ("Schlimmste von Menschen erzeugte humanitäre Katastrophe seit Jahrzehnten"). Dass nun der Waffenstillstand im Jemen verlängert wurde, und Bin Salman dafür ausdrücklich vom Weißen Haus gelobt wird, ist Teil des Pakets, das zur Wiederaufnahme bester Beziehungen geschnürt wird.

Blinken: Die Gesamtheit unserer Interessen sicherstellen

Dazu gehört auch, dass nicht nur die Beziehung zu Saudi-Arabien rekalibriert werde, sondern auch die Rolle, die Menschenrechte und der Fall Khashoggi, spielen, wie Außenminister Blinken zu Protokoll gab: "Wir wollen sicherstellen", so Blinken gegenüber Foreign Affairs, "dass wir im Rahmen der Beziehungen die Gesamtheit unserer Interessen in diesen Beziehungen berücksichtigen".

Und ja, das betrifft die Werte, die Menschenrechte und die Demokratie; es betrifft auch andere Interessen, die wir haben und die für das Wohlergehen des amerikanischen Volkes notwendig sind.

US-Außenminister Blinken

Für Saudi-Arabien geht es um vitale Interessen. Die absolutistische Monarchie ist nach wie vor ein Rentierstaat, der soziale Friede wird nur durch reiche Gaben an die Bevölkerung und deren Funktionsträger in der Hierarchie ermöglicht: die kommen über Öleinnahmen. An der Beobachtung der Zeit aus dem Jahr 2018, wonach saudi-arabische Arbeitnehmer im Land erst noch Antrieb finden müssen, um sich um einen Arbeitsplatz zu kümmern, hat sich noch nichts Grundsätzliches geändert, das deutlich nach Außen wahrnehmbar wäre.

Angesichts der jungen Bevölkerung kommen da noch Probleme auf das Herrscherhaus zu, die die spektakulären Pläne für Zukunftsstädte und eine fiktive Zukunftsökonomie nicht wirklich beheben konnten. Die Projekte waren auch für Investoren nicht interessant genug, sie blieben aus, stattdessen häuften sich die Staatsausgaben.

Mit den gestiegenen Preisen schon vor dem Ukraine-Krieg und der neuen seither verschärften Situation auf dem Energiemarkt hat Saudi-Arabien neue Perspektiven, ohne viel ändern zu müssen. Riad kann nun geschickt auf mehreren Hochzeiten tanzen: Wenn es um die Opec und um den Ölpreis geht, wenn es um Israel und die neue Ordnung im Nahen Osten geht, wenn es um Partner geht, die seinen Einfluss in der Region und im Jemen stärken.

Sollten sich die USA zu moralisch zeigen, so gibt es eben auch realpolitische Möglichkeiten mit Moskau. Die Golfstaaten halten sich hier dezidiert Fenster offen, wie ihr aktueller Entschluss bestätigt, bei den Sanktionen gegen Russland nicht mitzumachen.

Menschenrechte? In Saudi-Arabien sind die Hinrichtungen 2021 laut Amnesty International im Vergleich zum Vorjahr "um 140 Prozent angestiegen - in einem Trend, der sich in diesem Jahr bereits fortgesetzt habe mit 81 Exekutionen an einem einzigen Tag im März".