Moralischer Verfall bei den Wirtschaftseliten?

Ackermann, Esser und Welteke stehen beispielhaft für den Verlust von Vertrauen in die wirtschaftlichen Eliten in Deutschland - der Corporate Governance Kodex will den Vertrauensverlust wettmachen

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"Welche Zeiten, welche Sitten!", begann der römische Konsul Marcus Tullius Cicero im Jahr 64 v.Chr. seine Rede zur Verteidigung der Republik. Heute wird der Status quo nicht mehr durch eine Militärdiktatur bedroht. Im Moment bescheren sich die Eliten der globalisierten Gesellschaften durch eine Art moralischen Eigenverfall mehr als nur ein kleines Image-Problem. In den letzten Wochen bezeichneten politische Beobachter wie der Journalist Peter Scholl-Latour, der Dramaturg Rolf Hochhuth und der Historiker Arnulf Baring, alle nicht gerade im Verdacht stehend, zu den Initiatoren der Links-Parteiinitiative zu gehören, die Entwicklungen als nicht mehr hinnehmbar.

Berichte über Selbstbereicherung, Untreue- und Betrugsanklagen und das Ausnutzen von Privilegien - die Liste der juristischen und moralischen Anklagen ist lang, der Mannesmann-Prozess und der Fall-Welteke, der ehemalige Bundesbankpräsident, der über die "Adlon-Affäre" stürzte, Beispiele dafür. Damit das amoralische Fass nicht endgültig zum Überlaufen kommt und um sich selbst zu "re-reglementieren", erarbeiteten Vertreter aus Wirtschaft und Wissenschaft erstmals im Jahr 2002 in der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex einen Verhaltensstandard für deutsche Unternehmen ( Deutscher Corporate Governance - Kodex). Aus der Politik war niemand anwesend.

Transparenz, Kontrolle und Aktionärsinteressen stehen im Vordergrund

Leider dürfte sich diese vertrauensbildende Maßnahme, wie viele freiwillige Selbstverpflichtungen, als nicht besonders wirksam erweisen. Das soll sie auch nicht. Zumindest für alle diejenigen nicht, die mit dem Begriff Kodex die Festschreibung von Ethik und Moral als die Leitinstanzen deutscher Manager verbunden haben. Obwohl in der Präambel verankert, scheinen die Adressaten weniger in der Bevölkerung und bei den Mitarbeitern als auf den internationalen Finanzmärkten zu finden zu sein, nämlich die institutionellen Anleger, welche durch Annäherung an internationale Standards und Transparenz mehr Geschmack an der Deutschland AG finden sollen.

Der Kodex soll das deutsche Corporate Governance System transparent und nachvollziehbar machen. Er will das Vertrauen der internationalen und nationalen Anleger, der Kunden, der Mitarbeiter und der Öffentlichkeit in die Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Aktiengesellschaften fördern. Der Kodex verdeutlicht die Rechte der Aktionäre, die der Gesellschaft das erforderliche Eigenkapital zur Verfügung stellen und das unternehmerische Risiko tragen.

Deutscher Corporate Gorvernance Kodex, Präambel

Auch mit der Kontrolle ist es nicht weit her. Vom Anspruch her sollten Beispiele wie die Bilanzfälschungsskandale der letzten Jahre durch die Kontrolle der Vorstände durch Aufsichtsräte unmöglich gemacht werden. In der Praxis gibt es ein Vollzugsproblem, weil viele Aufsichtsräte neuesten Studien zufolge auch weiterhin nicht unabhängig vom Vorstand agieren können. So sind sie, was den Informationsstand betrifft, von ihm abhängig, haben mitunter also ein Informationsdefizit. Außerdem werden die Aufsichtsräte zum großen Teil immer noch von den Vorständen besetzt, also gerade von den Gremien, die sie später überwachen sollen.

Bedeutet gute Leistungen guter Lohn - oder ist es umgekehrt?

Der Aufsichtsrat hat aber auch die wichtige Aufgabe zu erfüllen, einen leistungsgerechten Lohn für das Topmanagement festzulegen. Die Vergütung der Vorstandsmitglieder soll "in angemessener Höhe und aus der Grundlage einer Leistungsbeurteilung festgelegt werden", so die Vorgabe.

Aber gerade die mittlerweile unanständige Qualität der Abfindungs-, Übergangs-, und Gehaltsregelungen der Eliten ist zunehmend die Quelle des Unmutes eines Großteils der Bevölkerung geworden. Zugegeben ein etwas schräger, aber doch aussagekräftiger Vergleich: Würde ein Durchschnittsverdiener (2003: 26.700 Euro brutto) sich die 30.000.000 Euro Abfindung von Ex-Mannesmann-Chef Manfred Esser verdienen wollen, hätte er lange zu tun, nämlich rund 1.124 Jahre. Dagegen nimmt sich das Gehalt eines Bundesbankpräsidenten, immerhin der bestbezahlte Beamte Deutschlands, geradezu ärmlich aus: 350.000 Euro im Jahr.

Aber wenn es der Markt hergibt, warum um Gottes Willen wird um die Ackermanns und Weltekes so ein Brimborium gemacht? Ganz offensichtlich wird hier zunehmend der vorherrschende moralische Konsens der Mehrheit der Gesellschaft in Frage gestellt, gerade wenn diese Mehrheit sparen muss. Nicht in Frage gestellt werden die Spitzengehälter an sich, wohl aber die Leistungsgerechtigkeit und das Verhältnis der Löhne untereinander. Schon Platon sah im Auseinanderstreben der gesellschaftlichen Einkommensklassen eine Ursache für moralischen und sozialen Verfall. Beim Thema leistungsgerechte Bezahlung fragt sich bei sechs bis siebenstelligen Monatsgehältern für Manager der einfache Facharbeiter heute, was denn seine Arbeit im Vergleich dazu noch wert ist.

Es ist schlichtweg ein unbewiesenes Dogma, dass hohes Einkommen auch große Leistung, gar Spitzenleistung bedeutet. Aber für das Gegenteil gibt es ausreichend viele Beispiele, um sie ernst zu nehmen.

Prof. Fedmund Malik, Universität St. Gallen

Auch J.P. Morgan, eine Gründergestalt des kapitalistischen Amerika und Namensgeber einer Bank, stellte Anfang des 20. Jahrhunderts fest, wie Malik ausführt, was eine gute und eine schlechte Unternehmensentwicklung ausmachte:

Es war die Differenz zwischen den jeweiligen Einkommensstufen im Unternehmen. In den erfolgreichen Firmen betrug diese Differenz von Stufe zu Stufe nicht mehr als 30 Prozent, während in den erfolglosen Unternehmen diese Proportion ausnahmslos aus dem Ruder gelaufen war.

Prof. Fredmund Malik, Universität St. Gallen

Neben der persönlichen Leistung der Vorstandsmitglieder sind das wirtschaftliche Umfeld und die Zukunftsaussichten des Unternehmens entscheidende Kriterien zur Einkommensfindung von Vorstandsvorsitzenden. Diese Kodex-Richtlinien decken sich aber nicht immer mit der Praxis der großen deutschen DAX-Unternehmen. Steigende Gehälter bei gleichzeitig fallenden Börsenkursen sind beredete Beispiele dafür. Besonders ärgerlich für viele war der Fall des ausgeschiedenen Telekom-Chefs Ron Sommer, der trotz Absturzes der "Volksaktie" keine Gehaltseinbußen hinzunehmen hatte und mit "dem goldenen Handschlag" verabschiedet wurde.

Brüder im Kodex: Ackermann, Esser, Weltecke und Co.

Die bevorstehenden Freisprüche für Ernst Welteke und die Angeklagten im Mannesmann-Prozess zeigen, dass weder Gesetze noch freiwillige Selbstverpflichtungen moralische Verfehlungen verhindern können. Ganz im Gegenteil: Nach der Logik des Kodex hat Klaus Esser seine Abfindung redlich verdient, denn die Aktionärsinteressen sollen gestärkt werden.

Die Bundesbank hingegen hat nach dem erzwungenen Abgang von Welteke einen Ethik-Beauftragten berufen. Der prüft nun nicht nur das Verhalten des Vorstandes, sondern auch, ob der Ethik-Kodex der Europäischen Zentralbank mit dem Bundesbankgesetz, dem Statut der Bundesbank und dem deutschen Strafgesetzbuch vereinbar ist. Die Ergebnisse sollen Ende Mai vorgestellt werden.

Die jüngste Diskussion im Zusammenhang mit dem DCGK betrifft die Offenlegung von Vorstandsgehältern deutscher Aktienunternehmen. Wenn nicht wenigsten 80 bis 90 Prozent der Unternehmen die Vorstandsgehälter offen legen würden, wie es der DCGK verlangt, soll dies durch eine Gesetzesregelung erzwungen werden, drohte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Im Juni wird die dritte Corporate-Governance-Kodex-Konferenz die Wirksamkeit und Umsetzung des Kodex überprüfen. Vielleicht sollte man mit Rücksicht auf den Durchschnittsverdiener aber Gnade walten lassen und freiwillig auf die Veröffentlichung von Top-Gehältern verzichten.