Moskau weist Vorwurf der Steuerung der Demonstrationen in Montenegro zurück

Ministerpräsident Djukanović will sein Land in die NATO aufnehmen lassen

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Seit gut einem Monat finden vor dem Parlament des Balkanstaates Montenegro regelmäßig größere Demonstrationen statt, in denen der Rücktritt der Regierung gefordert wird. Am 18. Oktober versuchten die Demonstranten erfolglos, in das Gebäude zu gelangen. Sechs Tage darauf kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, bei denen 15 Polizisten und 25 Demonstranten verletzt wurden - die meisten davon durch Tränengas.

Hintergrund der Demonstrationen und der Forderungen nach einem Rücktritt der Regierung ist das Vorhaben des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Milo Djukanović, sein Land in die NATO zu führen, weil ihm das seinen Worten nach die Unabhängigkeit sichert. Das Militärbündnis hat Djukanović auf seinem Gipfeltreffen in Wales eine Einladung bis Ende des Jahres in Aussicht gestellt. Nimm der montenegrinische Ministerpräsident diese Einladung sofort an, könnte der NATO-Beitritt womöglich noch vor der nächsten Parlamentswahl Anfang 2016 vollzogen werden.

Die Frage eines NATO-Beitritts ist in Montenegro auch eine Frage der Identität: Gut drei Viertel der Bevölkerung des 625.000-Einwohnern-Staats, der kleiner ist als die Steiermark, sind orthodoxe Serbokroatischsprecher, die sich praktisch nur durch ihre Geschichte von Serben unterscheiden. Zur Trennung von Serbien kam es im 17. Jahrhundert, als der osmanische Sultan das ökonomisch uninteressante Gebiet und seine aktiv unterwerfungsunwilligen Bewohner weitgehend der Herrschaft der Fürstbischöfe von Cetinje überließ. 1852 wurde aus dem Fürstbischof ein Fürst und 1910 aus dem Fürsten ein König, der 1918 abgesetzt wurde, als sich die Nationalversammlung dem neuen Staat Jugoslawien anschloss.

Nachdem der in den 1990er Jahren zerfiel, entschieden sich die Montenegriner 2006 in einer Volksabstimmung mit einer knappen Mehrheit für eine erneute Unabhängigkeit. Fast die Hälfte der Bürger wollte in einem gemeinsamen Staat mit Serbien verbleiben. Diese Trennung spiegelt sich auch in der montenegrinischen Parteienlandschaft wieder: Das von Djukanovicś sozialdemokratischer DPS angeführte Regierungsbündnis "Europäisches Montenegro", das bei der letzten Parlamentswahl 2012 mit 46,3 Prozent der Stimmen auf 39 der insgesamt 81 Sitze kam, vertritt vor allem diejenigen Montenegriner, die sich nicht als Serben fühlen.

Das Bündnis kann sich auf die Stimmen der Minderheitenparteien verlasssen, für die die Drei-Prozent-Hürde nicht galt, weshalb Kroaten und Albaner jeweils einen Vertreter in die Skupština entsenden durften. Die moslemische Bosnierpartei BS überschritt diese Sperrhürde mit 4,2 Prozent und stellt aktuell drei Abgeordnete. Von den Roma, der vierten bedeutenden Minderheit Montenegros, sind inzwischen viele Angehörige nach Deutschland abgewandert.

Die Opposition im Parlament wird vom Bündnis "Demokratische Front" angeführt, das aus den Parteien Neue Serbische Demokratie (NOVA - acht Sitze), Bewegung für Veränderungen (PzP - vier Sitze) und Demokratische Partei der Einheit (DSJ - drei Sitze) besteht. Die serbisch orientierte Sozialistische Volkspartei (SNP), die nicht zu diesem Bündnis gehört, kam bei der letzten Wahl auf neun Sitze, die linksliberale PCG auf sieben und die Einheitspartei auf einen.

Neben dem NATO-Beitritt gilt der Zorn der Demonstranten auch der Person des Ministerpräsidenten: Der Postkommunist, der das Amt seit 2012 bekleidet, aber bereits von 1991 bis 1998, von 2002 bis 2006 und von 2008 bis 2010 Regierungschef (und von 1998 bis 2002 Staatspräsident) war, gilt vielen als ausgesprochen korrupt und als Feind der Pressefreiheit. Gegen ihn eingeleitete Ermittlungen wegen Beteiligung am organisierten Zigarettenschmuggel in mehreren westeuropäischen Ländern blieben wegen seiner Immunität bislang ohne Ergebnis.

Montenegro besteht - wie schon der Name nahelegt - zum großen Teil aus Gebirgswald. Foto: Orjen. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Nun wirft Djukanović Russland vor, hinter den Demonstrationen zu stecken und seinen Sturz zu betreiben, um die Vergrößerung der NATO zu hintertreiben. Kremlsprecher Dmitri Peskow wies diese Vorwürfe als "merkwürdig" zurück und meinte, "überall nach dem Teufel zu suchen und Russland weiter zu dämonisieren sei ein bekanntes Spiel vieler Staaten".

Das russische Außenministerium sprach von "haltlosen" Vorwürfen, für die Djukanović keinerlei Beweise vorgelegt habe, weil es solche Beweise nicht gebe. Der montenegrinische Ministerpräsident wolle offenbar von seiner eigenen Verantwortung für die Proteste ablenken. Außerdem zeigte man sich besorgt über die "enorme Gewaltanwendung durch die Behörden in Podgorica gegen friedliche Demonstranten".

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