Motor abstellen, um die Garage zu öffnen?

Bild United Navigation

Eine Änderung der Straßenverkehrsordnung, die der Bundesrat heute genehmigen wird, erweitert das Handyverbot am Steuer auf alle elektronischen Kommunikationsgeräte - einschließlich Navis

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Gegen Ende der Legislaturperiode setzt die Politik in Deutschland gleich mehrere Vorhaben um, die zu einem weiter vor dem Wahltermin liegenden Zeitpunkt möglicherweise größere Diskussionen ausgelöst hätten - dazu zählen das "NetzDG" (vgl. Bundestag winkt Zensurgesetz durch), der Alltagseinsatz von Staatstrojanern (vgl. Staatstrojaner im doppelten Sinne), die Verschlechterung der Rechtsposition von Zeugen (vgl. Große Koalition verschlechtert Rechtsposition von Zeugen) und ein heute im Bundesrat anstehendes umfassendes Aufbohren des so genannten "Handyverbots" in § 23 der Straßenverkehrsordnung (StVO), vor dem jetzt die drei bekannten Rechtsanwälte Udo Vetter, Detlef Burhoff und Guido Bischof warnen.

Der Bundesrats-Drucksache 424/17 nach werden die neuen Absätze 1a und 1b des § 23 StVO wie folgt lauten:

(1a) Wer ein Fahrzeug führt, darf ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, nur benutzen, wenn hierfür das Gerät nicht aufgenommen und nicht gehalten wird und entweder

a) nur eine Sprachsteuerung und Vorlesefunktion genutzt wird oder


b) zur Bedienung und Nutzung des Gerätes nur eine kurze Blickzuwendung zum Gerät bei gleichzeitiger Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen erfolgt oder erforderlich ist, die einen Zeitraum von einer Sekunde nicht überschreitet.


Geräte in Sinne des Satzes 1 sind auch Geräte der Unterhaltungselektronik oder Geräte zur Ortsbestimmung, insbesondere Mobiltelefone oder Autotelefone, Berührungsbildschirme, tragbare Flachrechner, Navigationsgeräte, Fernseher oder Abspielgeräte mit Videofunktion oder Audiorekorder. Handelt es sich bei dem Gerät im Sinne des Satzes 1, auch in Verbindung mit Satz 2, um ein auf dem Kopf getragenes visuelles Ausgabegerät, insbesondere eine Videobrille, darf dieses nicht benutzt werden. Verfügt das Gerät im Sinne des Satzes 1, auch in Verbindung mit Satz 2, über eine Sichtfeldprojektion, darf diese für fahrzeugbezogene, verkehrszeichenbezogene, fahrtbezogene oder fahrtbegleitende Informationen benutzt werden. Absatz 1c und § 1b des Straßenverkehrsgesetzes bleiben unberührt.

(1b) Absatz 1a Satz 1 bis 3 gilt nicht für

1. ein stehendes Fahrzeug, im Falle eines Kraftfahrzeuges vorbehaltlich der Nummer 3 nur, wenn der Motor vollständig ausgeschaltet ist,


2. den bestimmungsgemäßen Betrieb einer atemalkoholgesteuerten Wegfahrsperre, soweit ein für den Betrieb bestimmtes Handteil aufgenommen und gehalten werden muss,


3. stehende Linienbusse an Haltestellen (Zeichen 224).

Das fahrzeugseitige automatische Abschalten des Motors im Verbrennungsbetrieb oder das Ruhen des elektrischen Antriebes ist kein Ausschalten des Motors in diesem Sinne. Absatz 1a Satz 1 Nummer 2 Buchstabe b gilt nicht für


1. die Benutzung eines Bildschirms oder einer Sichtfeldprojektion zur Bewältigung der Fahraufgabe des Rückwärtsfahrens oder Einparkens, soweit das Fahrzeug nur mit Schrittgeschwindigkeit bewegt wird oder


2. die Benutzung elektronischer Geräte, die vorgeschriebene Spiegel ersetzen oder ergänzen.

Praxistauglichkeit wird angezweifelt

Die alte Fassung des Absatz 1a verbot lediglich die Benutzung von "Mobil- oder Autotelefonen", "wenn hierfür das Mobiltelefon oder der Hörer des Autotelefons aufgenommen oder gehalten werden muss[te]" - die neue pauschal die aller " elektronischen Geräte". Ausnahmen wie die Rückfahrkamera werden gesondert aufgeführt. Der Folgedrucksache 424/1/17 nach sind zudem noch "fest im Fahrzeug verbaute CB-Funkgeräte" befreit. Aber auch diese Antiquitäten dürfen LKW-Fahrer alter Schule nur noch übergangsweise bis zum 30. Juli 2020 weiterbenutzen.

Das bedeutet, dass man zukünftig nicht nur zum Telefonieren anhalten müsste, sondern auch dann wenn man das Navi benutzt - aber nur, wenn man das Gerät dazu länger als eine Sekunde ansehen muss. Die drei oben genannten Rechtsanwälte halten das für eine wenig praxistaugliche Regelung. Vetter spricht von "Regulierungswahn" und einer "Willkür", der "Tür und Tor geöffnet" werde:

Wie soll ein Polizeibeamter denn ernsthaft feststellen können, wie lange ein Autofahrer an einem Knöpfchen gedreht oder auf das Navi seine Autos geschaut hat? Auch die Neuregelung ist halt ein Arbeitsbeschaffungsprogramm nicht nur für die Polizei, sondern auch für meine Branche. Und am Ende wird wieder tränenreich bedauert, dass die Gerichte nichts Wichtiges mehr erledigt bekommen.

Auch Burhoff stuft das im Bundesverkehrsministerium entstandene Werk als "Arbeitsbeschaffungsprogramm für Rechtsanwälte" ein, spricht darüber hinaus aber auch noch von "Dobrindtschem Irrsinn". "Bei dem weiten Begriff der Kommunikation, den die OLG jetzt schon vertreten", fällt seiner Einschätzung nach "wohl auch die Benutzung einer Funkfernbedienung zum Öffnen eines motorisierten Garten- oder Garagentors unter die neue Regelung", wen man nicht vorher den Motor abstellt, den man danach - zum Einfahren in die Garage - wieder anstellen muss. Eine besonders energiesparende Vorschrift wäre die neue Regelung damit nicht.

Ausnahmeregel für Feuerwehr, Rettung und Polizei

Bischof meint ebenfalls, er könne sich über die mit einem "merkwürdig terminierten Aprilscherz" verwechselbare Regelung "als praktizierender Verkehrsrechtler unter Aspekten der Arbeitsbeschaffung eigentlich freuen". Der Autor eines bekannten Handbuchs für das straßenverkehrsrechtliche Ordnungswidrigkeitenverfahren merkt darüber hinaus an, die Grundidee "Augen auf die Straße" wäre zwar richtig, aber schon heute seien "Ordnungswidrigkeitenverfahren [...] teilweise sehr unterhaltsam bis abenteuerlich, wenn es um die Frage geht, ob das Handy denn tatsächlich aufgenommen wurde und ähnliches."

Positiv ist für ihn, dass eine weitere Änderung in § 35 der Straßenverkehrsordnung die negativen Auswirkungen der Änderungen im § 23 insofern begrenzen wird, als Fahrer der Feuerwehr, der Rettung, der Polizei und anderer Dienste BOS-Funkgeräte in die Hand nehmen dürfen, wenn sie gerade keinen Beifahrer haben, der das übernehmen kann.

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