Große Koalition verschlechtert Rechtsposition von Zeugen

Bild: CC0 Public Domain

Unbestimmte neue Aussagepflicht eröffnet Missbrauchsmöglichkeiten

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Letzte Woche winkte der Bundestag nicht nur den Alltagseinsatz von Staatstrojanern durch (vgl. Staatstrojaner im doppelten Sinne), sondern auch eine neue Aussagepflicht von Zeugen vor der Polizei. Dass diese Änderung in Massenmedien bislang wenig Beachtung fand, dürfte auch daran liegen, dass viele Bürger (und viele Journalisten) einen falschen Eindruck von der bisherigen Rechtslage hatten und glaubten, solch eine Aussagepflicht gebe es bereits.

Zu dieser irrigen Annahme beigetragen haben dürften neben pädagogischen Krimis in ARD und ZDF, die sie seit vielen Jahrzehnten befördern, auch die Formulare und Textbausteine der Polizei, die in der Vergangenheit ebenfalls den Eindruck erweckten, es gäbe solch eine Aussagepflicht.

Kreative, aber erfolglose Subsumtion

Tatsächlich steht in dem manchmal als vermeintliche Rechtsgrundlage genannten § 161a Absatz 1 der Strafprozessordnung (StPO) aber lediglich, dass ein Zeuge einer Ladung der Staatsanwaltschaft nachkommen muss - aber nicht, einer der Polizei. Der musste man bislang lediglich die Personalien offenbaren. Polizeibeamte, die das manchmal selbst nicht glauben wollten, versuchten nach Angaben des Lawbloggers Udo Vetter vergeblich, ein Nichterscheinen unter Tatbestände wie "Behinderung der Justiz", "Strafvereitelung", "Begünstigung" oder (besonders kreativ) "unterlassene Hilfeleistung gegenüber dem Staat" zu subsumieren.

Die vom Bundestag verabschiedete neue Vorschrift, die das ändert, lautet wörtlich:

Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung von Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt.

Unabsichtlicher oder gewollter Verzicht auf Form- und Fristanforderungen?

Die Einschränkung der Aussagepflicht durch einen Ladungsauftrag der Staatsanwaltschaft ist so unbestimmt formuliert, dass sie in der praktischen Anwendung möglicherweise keine Rolle spielen wird, wenn überlastete Staatsanwaltschaften der Polizei Blanko-Pausschalaufträge für Vernehmungen ausstellen. Dafür öffnet der Verzicht auf Form- und Fristanforderungen für die Ladung der Polizei die Möglichkeit, Zeugen vor Ort zur sofortigen Vernehmung zu drängen, ohne dass diese Gelegenheit haben, einen Anwalt heranzuziehen, auf dessen Beistand sie nach § 68b StPO ein Recht hätten. Dieses (absichtliche oder unabsichtliche) Versäumnis des Gesetzgebers eröffnet der Polizei auch Schikanemöglichkeiten wie die, weit entfernt wohnende Zeugen mit Ladungen am nächsten Tag "weichzukochen".

Aber auch nach neuem Recht kann ein Vorgeladener ein (bislang nur vor Gericht relevantes) besonderes Zeugnisverweigerungsrecht haben, weil er zum Beispiel ein Enkel, Neffe, Onkel oder ein anderer Verwandter ersten oder zweiten Grades eines Beschuldigten ist. Ob solch ein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht besteht, soll die Polizei der Gesetzesbegründung nach in "Rücksprache" mit der Staatsanwaltschaft entscheiden.

Zeuge oder Beschuldigter?

Die größte Gefahr in der Neuregelung sieht Udo Vetter dann, "wenn nicht ganz klar ist", ob eine Person Zeuge, Beschuldigter oder (im Falle mehrerer "Tatkomplexe") beides ist. "Der Zeuge", so der bekannte Düsseldorfer Strafverteidiger, "hat nämlich nicht das umfassende Schweigerecht des Beschuldigten, sondern kann nur auf einzelne Fragen die Antwort verweigern, von denen er denkt, die wahrheitsgemäße Beantwortung könnte die Gefahr eigener Strafverfolgung nach sich ziehen." Und "anders als der Beschuldigte darf er erst Recht nicht lügen."

Polizeibeamte werden deshalb wahrscheinlich deutlich verstärkt von der Möglichkeit Gebrauch machen, "jede Person erst mal als Zeugen vorzuladen - auch wenn im Hintergrund vielleicht schon ein gewisser Tatverdacht schwebt":

Die Erscheinenspflicht führt zumindest zu erhöhten Möglichkeiten, den 'Zeugen' auf die Dienststelle zu bekommen und ihn dort entsprechend zu bearbeiten. Gerade bei Menschen, die sich ihrer Rechte nicht sicher sind, führt dies zu der Gefahr, dass diese als vermeintlich erscheinens- und aussagepflichtiger Zeuge erst mal Angaben zur Sache machen, die sie ohne Pflicht zum Erscheinen nie gemacht hätten. Der Zeitpunkt, in dem ein Zeuge dann zum Beschuldigten wird und entsprechend zu belehren ist, lässt sich somit kreativ weit nach hinten verlagern. Wobei sich in einem Land wie Deutschland, in dem man sich seit jeher nach Kräften vor Audioaufnahmen bei Vernehmungen wehrt, der Zeitpunkt einer Beschuldigtenbelehrung nachträglich ohnehin kaum festzustellen ist.

(Udo Vetter)

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