"Mr. George Bush"
Ein (noch) unbeantworteter und ungewöhnlicher Brief des iranischen Präsidenten an US-Präsident Bush stellt öffentlich viele Fragen und manche Rätsel. Ist er Provokation, Propaganda, Kritik oder Einladung? Bezeugt wird jedenfalls die Heilspolitik von Ahmadinedschad
Die Reaktionen auf den überraschenden Brief von Ahmadinedschad an das Weiße Haus sind verhalten ausgefallen. Zum ersten Mal seit 27 Jahren wendet sich ein iranischer Präsident offiziell an einen amerikanischen Präsidenten. US-Außenministerin Condoleezza Rice wertet das Schreiben als bedeutungslos ab, da es sich nicht konkret auf das umstrittene iranische Atomprogramm beziehe.
In dem Brief (englische Übersetzung) findet sich zunächst eine nur leicht kaschierte Auflistung von Vorwürfen, die in Frageform angebracht werden. Dabei erinnert Ahmadinedschad immer wieder daran, dass es nicht eigene Fragen sind, die er stellt, sondern dass er Fragen wiedergibt, die ihm von Studenten oder von anderen Menschen gestellt wurden. Die Liste der Kritikpunkte an der Politik der USA ist lang:
- Der Angriffskrieg gegen andere Länder und die damit verbundene Zerstörung von Leben, Ansehen und Besitztümern von Menschen auf den bloßen Verdacht der Anwesenheit von Verbrechern in einer Stadt (hier: Afghanistan)
- Der vom Westen unterstützte Krieg gegen den Irak, aufgrund der bloßen Behauptung, dass Massenvernichtungswaffen im Lande sind. Die Absetzung von Saddam Hussein wird als Nebeneffekt dieses Krieges dargestellt. „Lies were told in the Iraqi matter. What was the result? I have no doubt that telling lies is reprehensible in any culture, and you do not like to be lied to.“
- Der unklare Status der Gefangenen in Guantanamo Bay.
- Die Existenz von geheimen Gefängnissen auch in Europa.
- Insbesondere die Frage des Existenzrechtes des Staates Israels wird aufgeworfen.
- Der 11. September wird aufgegriffen und die Frage gestellt, wie eine derartig koordinierte Aktion ohne das Wissen der Geheimdienste möglich gewesen sein konnte.
- Die Angst, in der das amerikanische Volk seit dem 11. September gehalten wird und die diesem schadet.
Immer wieder betont Ahmadinedschad, dass es Verständnisfragen seien, die er stellt und keine Vorwürfe. So wird auch bei dem, was der Iran von den USA erleiden musste, nur die Frage gestellt, ob diese Taten in Einklang mit der christlichen Lehre zu bringen sind:
Das tapfere und gläubige iranische Volk hat auch viele Fragen und Beschwerden. Dazu gehören: Der Putsch von 1953 [Anm. des Autors: »Operation Ajax«, CIA-Putsch gegen den iranischen Ministerpräsidenten Mohammed Mossadegh], ... die Umwandlung einer Botschaft in ein Hauptquartier, die Unterstützung der Gegner der Islamischen Republik ... die Unterstützung Saddams im Krieg gegen den Iran, der Abschuss eines iranischen Passagierflugzeugs, das Einfrieren des Vermögens des Iran, sich steigernde Drohungen, Ärger und Missmut gegenüber dem technischen und nuklearen Fortschritt des Iran (genau in dem Augenblick, in dem alle Iraner über den Fortschritt erfreut sind und gemeinsam an ihm arbeiten)...
Wenn darüber hinaus die Frage gestellt, wird, ob technische Entwicklung ein Verbrechen sei und „warum jegliche technische und wissenschaftliche Fortentwicklung des Mittleren Ostens als eine Bedrohung des zionistischen Regimes“ dargestellt werde, dann wird dem Leser deutlich, dass Ahmadinedschad mit seinem Text versucht, die iranische Atomforschung als zivile Forschung zu rechtfertigen. Was überrascht, ist nicht der Inhalt, sondern die Form, in der dieser vorgetragen wird – gerade wenn man an die Ausfälle des iranischen Präsidenten in den letzten Monaten denkt.
Viele dieser Kritikpunkte wurden in ähnlicher Weise bereits auch von europäischen Medien gegen die Politik der derzeit amtierenden Regierung der USA vorgebracht. Wenn dann noch auf die Ausgaben für den Irakkrieg und auf die Möglichkeiten der Verwendung dieses Geldes für die Menschheit hingewiesen wird, dann kann tatsächlich der Eindruck entstehen, dass Ahmadinedschad sich in der Hauptsache um die Völkerverständigung bemüht:
Wenn die Milliarden Dollar, die in Sicherheit, militärische Feldzüge und Truppenbewegungen investiert wurden, stattdessen in die Entwicklung und Unterstützung armer Länder ... in die Vermittlung zwischen sich bekämpfenden Staaten, investiert würden ... wo wäre die Welt heute?
Es ist nicht davon auszugehen, dass George Bush diese „Einladung“, die ebenso gut als eine Provokation gewertet werden kann, annehmen wird. Es ist aber ebenso wenig davon auszugehen, dass er Stellung zu dem Brief nehmen wird, da dies eine Auseinandersetzung mit den Kritikpunkten beinhalten müsste, die ihn und seine Politik in vielen Fällen (z.B. Irakkrieg, Guantanamo) in Verlegenheit bringen könnten. Von daher ist die Erklärung von Condoleezza Rice zu verstehen, der Brief sei nicht ernst zu nehmen. Ahmadinedschad hält es nach wie vor für die richtige Entscheidung, den Brief abgeschickt zu haben:
Wenn sie entscheiden, unsere Anfrage nicht zu beantworten, hängt das von ihnen ab.
Inzwischen hat sich auch US-Präsident Bush geäußert, der aber zum Inhalt und den Fragen des Briefs keine Stellung beziehen wollte:
It looks like it did not answer the main question that the world is asking and that is, "When will you get rid of your nuclear program?” … Britain, France, Germany - coupled with the United States and Russia and China have all agreed that the Iranians should not have a weapon or the capacity to make a weapon. There is a universal agreement toward that goal and the letter didn't address that question.
Damit ist in der Frage des iranischen Atomprogramms noch kein Weiterkommen in Sicht, beide Seiten beharren auf ihren Positionen. Wenn der Brief auch nicht explizit Stellung zum strittigen Programm nimmt, so ist implizit in ihm zu lesen, dass Ahmadinedschad weiterhin auf diesem Programm besteht und es weiterlaufen lassen möchte. Die USA und die EU bemühen sich weiterhin, Druck auf den Iran aufzubauen, damit dieser sein Atomprogramm nicht fortsetzt. Dabei wird vorerst erwogen, finanzielle Sanktionen geltend zu machen, wenn der Weltsicherheitsrat keine Sanktionen beschließt.
Florian Rötzer: Vereint im Glauben?
Nicht zuletzt will Ahmadinedschad sich aber auch als islamischer Politiker mit dem Brief Anerkennung verschaffen, indem er inszeniert, auf derselben Ebene und in Augenhöhe mit dem amerikanischen Präsidenten zu kommunizieren. Er versucht zwar sogar, die islamische, jüdische und christliche Religion miteinander zu versöhnen, da sie alle monotheistisch seien und an denselben Gott glauben. Diese monotheistischen, auf der Bibel und den biblischen Propheten sich gründenden Religionen würden zudem Prinzipien folgen, die den Idealen der Menschheit entsprechen. All diesen Religionen sei auch die Apokalypse eingeschrieben, also die Ankündigung, „dass der Tag kommen wird, an dem sich alle Menschen vor dem Thron des Allmächtigen versammeln, um ihre Taten zu beurteilen“.
Die Betonung auf die ausschließliche Gültigkeit des Monotheismus schließt ebenso andere Religionen und Weltanschauungen aus wie seine Ansicht, dass die Erlösung vom Bösen, das derzeit auf dieser Erde herrscht, nur eine Angelegenheit der Religion sein kann, während säkulare Politik gescheitert sei. Will Ahmadinedschad, der gläubige Muslim und Schiit, also möglicherweise Bush, den gläubigen Christen und „Wiedergeborenen“, eigentlich über den Glauben und die Moral auf seine Seite ziehen? Über Bord schüttet Ahmadinedschad dabei allerdings neben dem Atheismus und dem „Liberalismus und die westliche Demokratie“, aber auch „internationale Organisationen“, also just das, was die europäische Aufklärung gegen die Kirche durchgesetzt hat.
Diese Verbindung zwischen einem heilsbringendem und gleichwohl mit modernster Technik verbundenem Islam und der Ablehnung von Liberalismus und Demokratie unterstützt den islamischen Extremismus und die Vorstellung von einer auf der Religion und deren Werte gegründeten gesellschaftlichen Ordnung. Das kommt zwar auch manchen fundamentalistischen Christen in den westlichen Ländern nahe, wäre aber einer gefährlicher Rückfall in die autoritären Strukturen einer religiösen Ordnung, die sich in der Geschichte keineswegs als friedlicher, gerechter oder menschlicher erweisen hat. Das aber behauptet der iranische Präsident letztendlich.
Die Menschen würden heute gegen die „zunehmende Kluft zwischen den Armen und Reichen und den armen und reichen Nationen“ protestieren, sie seien der Korruption überdrüssig und verärgert über die „Angriffe auf ihre kulturellen Grundlagen und den Zerfall der Familien“. Der westliche Liberalismus sei mit der westlichen Demokratie gescheitert:
„Diejenigen, die weiter sehen können, können bereits den Lärm des Zerbrechens und des Falls der Ideologie und der Gedanken der liberalen demokratischen Systeme hören. Wir sehen zunehmend, dass die Menschen auf der ganzen Welt zu einem zentralen Punkt strömen: dem allmächtigen Gott. Die Menschen werden zweifellos durch den Glauben an Gott und die Lehren der Propheten ihre Probleme bewältigen. Meine Frage an Sie ist: Wollen Sie sich Ihnen nicht anschließen? Herr Präsident, die Welt treibt, ob wir es mögen oder nicht, zum Glauben an den Allmächtigen und Gerechtigkeit und der Wille Gottes werden über Alles herrschen.“