Müllhalde Ozean
Seite 2: Plastik und Gift im Bauch von Meerestieren
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Bis sich Plastikteile vollständig zersetzt haben, können bis zu 500 Jahre vergehen. Das zerkleinerte Granulat wird von den Tieren für Plankton gehalten und gelangt somit in die Nahrungskette. Wird an der Wasseroberfläche schwimmendes Mikroplastik von Kleinstlebewesen verschluckt, landen diese im Bauch von Fischen und Würmern.
Die Fische werden wiederum von Meeressäugern, Seevögeln und nicht zuletzt vom Menschen verzehrt. Doch auch im Plankton selbst reichern sich feinste Plastikteilchen an. Dem WWF zu Folge finden sich an manchen Stellen im Meerwasser heute sechs Mal mehr Plastik als Plankton. Ein weiteres Problem sind die im Plastik enthaltenen Gifte: So werden während des Zerfallsprozesses Weichmacher und Polyamide freigesetzt. In den Meerestieren reichern sich die schwer abbaubaren Giftstoffe im Fettgewebe an.
Dem WWF-Meeresschutzexperten Stephan Lutter zu Folge wirken die Umweltgifte wie Hormone, sie können Krebs erregen und die Fruchtbarkeit schädigen. Weil bei seiner Herstellung Chemikalien hinzugefügt würden, sei die Konzentration von Schadstoffen in Mikroplastik Hunderte Mal höher als im Meerwasser.
Das Plastik wirke beim Schwimmen durchs Meer wie ein Magnet, an dessen glatter Oberfläche sich nach und nach mehr Umweltgifte ansammeln. Fische, Garnelen und Krebse nehmen die Gifte auf und lagern sie in ihren Körpern an. Am Ende der Nahrungskette landen die vergifteten Fische auf unseren Tellern.
Vor allem Seevögel verwechseln die Plastikteile, die durch Wellenschlag und UV-Strahlung nur langsam zerfallen, mit Nahrung. Weil sie es weder verdauen noch ausscheiden können, verhungern sie mit vollem Magen, ersticken oder verletzen sich innerlich. Auf diese Weise gingen bereits tausende Vögel qualvoll zugrunde. Allein 0,6 Gramm nimmt ein Eissturmvogel in verschmutzten Gebiet an der Nordsee auf. Drei Viertel davon werden an anderer Stelle wieder ausgeschieden. Hunderte von Tonnen Plastik würden auf diese Weise durch die Vögel umverteilt und zu Mikroplastik verarbeitet, schätzen Forscher vom IMARES-Institut.
In einer Studie von 2015 fanden Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts bei fünf Prozent aller von ihnen untersuchten Speisefische in der Nord- und Ostsee Kunststoff im Verdauungstrakt. Auffällig war, dass Makrelen offenbar häufiger Plastik verschlucken als andere in Bodennähe lebende Fischarten.
Die einzelnen Meerestierarten reagieren offenbar sehr unterschiedlich: Während Kleinstlebewesen wie Meeresasseln Plastikteilchen unverdaut wieder ausscheiden, führte bei Fütterungsversuchen bei Miesmuscheln Mikroplastik zu Entzündungen im Gewebe. Toxikologen wie Angela Köhler vom Alfred-Wegener-Institut sprechen sich daher für ein Verbot für die Verwendung von Nano- und Mikroplastik aus.
Bakterien, die Plastik fressen
Das Müllproblem in den Meeren ist inzwischen nicht mehr zu ignorieren. Mehr und mehr wird daran geforscht und an Lösungsansätzen gearbeitet. So entwickelte der junge Niederländer Boyan Slat die Idee, mit Hilfe eines Systems aus Kunststoffbarrieren den Müll in den Meeren einzusammeln. Kritiker bezweifeln allerdings, dass das Pilotprojekt erfolgreich sein wird.
Zu viele Unwägbarkeiten seien im Spiel: Die Verankerung der Barrieren könnte aus dem Boden reißen, Meeresorganismen die Barrieren verkrusten und diese unbrauchbar machen. Mikroteilchen, die bei kräftigen Stürmen in die Tiefe gedrückt werden, würden nicht mit eingefangen. Meerestiere als Beifang könnten Schaden nehmen. Bei all dem würde der Einfluss von Stürmen und Meeresströmungen unterschätzt.
Auch Nicholas Mallos von der Organisation Ocean Conservancy glaubt, solange noch immer Millionen Tonnen von Müll aus Flüssen, Deponien und von Schiffen in die Ozeane gelangen, könne ein Reinigungssystem allein das Problem nicht lösen. Dies sei nur sinnvoll, wenn gleichzeitig verhindert werde, dass weiterer Müll angeschwemmt wird. Er setzt daher auf eine Kombination aus verschiedenen Maßnahmen.
Andere Forscher wollen die Hilfe von Bakterien in Anspruch nehmen, um das Plastik zu reduzieren: So entdeckten japanische Wissenschaftler einen Mikroorganismus, der in der Lage ist, Plastik in seine unschädlichen Ausgangsstoffe zu zerlegen. Der Haken: Der Verdauungsvorgang des Bakteriums dauert zu lange, um wirtschaftlich interessant zu sein. Davon abgesehen werden Bakterien, die ein bißchen Plastik fressen, unser globales Müllproblem kaum lösen können.
Handlungsoptionen
Das Meer ist kein unendlich großer Abfallspeicher, sondern ein Ökosystem, für das unsere Zivilisation die Verantwortung zu übernehmen hat. So wird der Mensch, will er nicht am Ende am eigenen Plastik zugrunde gehen, schleunigst handeln müssen. Die Politik stellt die Weichen: So beschloss die EU vor zwei Jahren, den Verbrauch von Einweg-Plastiktüten bis Ende 2019 zu halbieren. Inzwischen bekommt man im Supermarkt Plastiktüten meist nur noch gegen Geld, wobei ein Preis von 20 Cent pro Tüte diskutiert wird.
Während sich die Sache mit den Plastiktüten als vergleichsweise überschaubar darstellt, ist es bei Mikroplastik komplizierter. Im Januar 2015 beantragten die Grünen vergeblich ein Mikroplastik-Verbot in Kosmetika. Die Bundesregierung erwiderte, sie setze auf den freiwilligen Ausstieg der Industrie, mit der sie zu diesem Zweck im "Dialog" stünde. Unterdessen kündigten Konzerne wie DM-Drogeriemarkt, Rossmann und Unilever an, auf Mikroplastik in Kosmetikprodukten verzichten zu wollen.
Aber auch wir Verbraucher können handeln, indem wir zum Beispiel aufzuhören, zwanghaft Plastik zu konsumieren. Doch wie erkennt man Produkte, die Mikroplastik enthalten? Eine Hilfe bieten die Einkaufsratgeber von Greenpeace und dem BUND. Sie listen die wichtigsten Produkte mit Mikroplastik auf. Auf dem Weg zu einer plastikfreien Welt wäre darüber hinaus über die Einführung eines Produktsiegels "Frei von (Mikro)-Plastik" nachzudenken.