Müssen Nationalspieler die Nationalhymne mitsingen?
Ja, sagt FDP-Chef Lindner, der damit die regressive Sogkraft des überkommenen Nationalen demonstriert
Es ist so einfach, Aufmerksamkeit zu finden - und damit die politische Diskussion zu verschieben. FDP-Parteichef Christian Lindner hatte in einem stern-Interview gesagt, dass Fußball-Nationalspieler Mesut Özil doch auch die Nationalhymne mitsingen sollte. Vorab hatte der stern, wohl wissend, was solche Äußerungen auslösen werden, Auszüge online veröffentlicht.
Ansonsten ist das Interview wenig interessant. Die Liberalen sehen sich eher in der Nähe der konservativen Union, aber es gäbe doch Unterschiede, zumal die Konservativen wenig offen für Veränderungen seien. Neben einer Senkung der Steuern, was die FDP mit Trump verbindet, fordert Lindner einen "Verfassungspatriotismus". Das ist nett, so kann man das Liberale hervorkehren und gleichzeitig versuchen, den Nationalismus zu bedienen.
Das liegt auch der Kritik an der doppelten Staatsangehörigkeit zugrunde. Liberal ist da wenig, der Versuch, irgendwie mit der AfD zu konkurrieren, deutlich erkennbar. "Unsere Zuwanderungspolitik benötigt eine Generalinventur", sagte Lindner, um hinzuzufügen: "Wer bleibt, den müssen wir uns aussuchen. Da sollte das Ziel der Integration viel stärker die deutsche Staatsangehörigkeit sein."
Das geht eben so weit, dass Lindner meint, wahltaktisch fordern zu müssen, dass die Spieler der Nationalmannschaft wie Özil doch gefälligst die Nationalhymne mitsingen müssen. Es ist ein Ritual, vor Spielen der Nationalmannschaften die Nationalhymnen abzuspielen, um die Zuschauer zu stimulieren. Dass sich Spieler mit Migrationshintergrund weigern, an dem Spiel mitzumachen, ist verständlich. Das ist ähnlich der Entscheidung, nicht mit Dirndl oder Lederhose auf das Oktoberfest zu gehen. Nationalstaaten sind ein spätes historisches Konstrukt, das in Europa zu verheerenden Kriegen geführt hat.
Schon immer vereinten Nationalstaaten Bevölkerungen mit anderen Sprachen und Herkünften, seit Jahrzehnten werden die Staaten gemischter und kosmopolitischer. In Nationalmannschaften werden daher auch nicht Spieler aufgenommen, deren Stammbaum wie bei den Nationalsozialisten weit in die Geschichte zurückreicht, es reicht, deutscher Staatsbürger zu sein. Auf lokaler Ebene ist man schon viel weiter. Fußballmannschaften wie Bayern München, der BVB oder Leipzig haben mit den Städten oder ihrer Umgebung nichts zu tun. Es sind kosmopolitische Mannschaften, die für einen Verein auftreten und deren Zusammensetzung sich ständig verändert. So funktionieren moderne Gesellschaften, Fußballmannschaften und Unternehmen, was Sympathisanten der AfD und offenbar auch Liberale wie Lindner nicht verstehen wollen.
Das Nationale ist eine Fiktion, zumal es sich gerade in der deutschen Geschichte auch als brutale Vernichtungsmaschine für alles, was angeblich nicht in das nationale Konstrukt passt, erwiesen hat. Özil könnte genauso so tun, wie alle anderen, dass er sich begeistert in den Kampf gegen eine Mannschaft stürzt, indem er zum Abspielen der Nationalhymne die Lippen bewegt. Dass er dies nicht macht und bei dem Spiel bockt, müsste man ihm hingegen anrechnen. Gründe, gegenüber dem demonstrierten Nationalismus skeptisch zu sein, gibt es hinreichend.
Gerade auch jetzt im Blick auf die Türkei, wo über den behaupteten Nationalismus die Gesellschaft gesäubert wird. Lindner gibt den Gauland, wie Jürgen Trittin meint, trifft es. Tatsächlich ist es ein Ausverkauf der liberalen Politik, nun auch mit den Nationalen der AfD mitlaufen zu wollen. Lindner macht es sich ein wenig einfach, wenn er sich verteidigt: "Will keine #Hymnen-Polizei. Ob Fußballer mitsingt=seine Sache. Aber wenn @sternde mich fragt, halt ich meine Meinung nicht taktisch zurück." Er äußert sie vielmehr taktisch … Nicht einmal mehr bei Vertretern der kapitalistischen Ideologie kann man sich noch auf Internationalismus und Kosmopolitismus verlassen. Da war Marx schon weiter.