Muhammed Tunc: Abschiebung ins türkische Foltergefängnis?

Die grüne Landesregierung Baden-Württembergs vollstreckte vergangenen Donnerstag die Abschiebung des Kurden Muhammed Tunc. In der Türkei droht ihm lebenslange Haft und Folter. Nicht nur die Zahl der Inhaftierten stieg in den letzten Jahren, sondern auch die der Berichte über Folter.

Muhammed Tunc wurde 1989 in Ulm geboren. Die Türkei hat er nie gesehen, er spricht nicht mal türkisch. Wie so viele in Deutschland geborene Kinder von Eltern aus der Türkei besitzt er nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Das wurde ihm nun zum Verhängnis.

Bei einem Termin auf dem türkischen Konsulat zur Passausstellung teilte ihm der türkische Beamte mit, dass gegen ihn wegen seines nicht geleisteten Wehrdienstes in der Türkei ein Haftbefehl vorliege und dass er, sobald er das Land betrete, direkt zum Militär zwangsrekrutiert werde. Der Beamte sagte, dass Tunc in der Türkei "ganz anders dastehen würde", als er sich im Internet immer darstelle.

Tunc schloss sich als junger Mann in Baden-Württemberg der pro-kurdischen Gang Bahoz an, die sich immer wieder Schlägereien mit der nationalistischen – und seit 2018 in Deutschland verbotenen – Rockergruppe ‚Osmanen Germania‘ lieferte. Er nahm auch an Demonstrationen und Kundgebungen teil, die sich für die Anerkennung der Kurden als ethnische Minderheit einsetzten. Dafür und für die Angriffe auf die nationalistische türkische Rockergruppe wurde er von bekannten türkischen Faschisten in der Türkei öffentlich bedroht.

Tunc war im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen mit den ‚Osmanen Germania‘ 2016 an einem Anschlag auf einen türkischen Imbiss beteiligt und wurde daraufhin zu einer Haftstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt, die er mittlerweile abgesessen hat. Damals war er ein junger Mann von 26 Jahren. Der mittlerweile 32-Jährige hat eingesehen, dass er damals mit falschen Methoden gegen türkische Faschisten gekämpft hat und bezeichnet sich als resozialisiert.

Durch eine Verurteilung wegen Straftaten können auch in Deutschland geborene ausländische Staatsbürger ihre Aufenthaltsberechtigung verlieren. Vor drei Monaten wurde Tunc in Abschiebehaft genommen, was zu öffentlichen Protesten geführt hat. Er befürchtete, dass er in der Türkei aufgrund seiner kurdischen Herkunft und seiner Auseinandersetzungen mit der nationalistischen Gruppe "Osmanen Germania", die in Verbindung mit der türkischen Regierungspartei AKP und dem Umfeld des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan steht, Repressionen und Folter ausgesetzt sein wird.

Bedrohung durch türkische Nationalisten

Die Befürchtung scheint nicht unbegründet: Während seiner Zeit in Abschiebehaft gab es auf Instagram einen Droh-Account, der mittlerweile gelöscht wurde, mit folgender Botschaft: "Hab keine Angst wie ein Hund, früher oder später werde ich dir deine Luft abschneiden. Du brauchst dich nicht unter den Röcken von Frauen zu verstecken. Wir werden auch deine dortigen anderen Freunde holen, wart nur ab. Du wirst die türkische Kraft zu spüren bekommen, du H*sohn, du vaterlandloser Hund."

In einem anderen Post dieses Accounts heißt es ‚Wir kommen‘, wo Muhammed Tunc und Innenministerin Nancy Faeser markiert sind. In diesem Post ist auch ein Mitglied einer türkischen Spezialeinheit zu sehen, die für ihre Morde und Brutalität bekannt ist. Über diesen Account wurden auch Politiker:innen wie Cem Özdemir (Grüne), Cansu Özdemir, und Civan Akbulut, beide DIE LINKE, bedroht. Es ist der gleiche Account, von dem zahlreiche andere linke Politiker:innen und Journalist:innen Drohungen erhalten haben.

Die Abteilung Cybercrime des Bundeskriminalamts (BKA) überprüfte die IP-Adresse des Absenders der Drohnachrichten und stellte fest, dass die Nachrichten von einem Tayfun K. aus der zentralanatolischen Stadt Kayseri versendet wurde, der sich zu den Grauen Wölfen bekennt.

Aufgrund dieser Erkenntnisse und des öffentlichen Drucks machte die baden-württembergische Landesregierung Tunc das Angebot, ihn in ein anderes Drittland ausreisen zu lassen und somit nicht direkt in die Türkei abzuschieben. Aufgrund der Perspektivlosigkeit nahm Tunc das Angebot an. Ohne Begründung zog die Landesregierung das Angebot jedoch überraschend wieder zurück.

"Grund: Der Kurde hätte zur Ausreise in ein sicheres Land einen Reisepass gebraucht. In einer letzten gerichtlichen Eilentscheidung war jetzt festgelegt worden, dass der Mann in die Türkei abgeschoben werden darf. Warum die Behörden nicht wenige Wochen bis zur Ausstellung des Passes warteten, erklärte das baden-württembergische Justizministerium mit Hinweis auf das laufende Verfahren nicht."

Da er schon in Abschiebehaft saß, gab es für ihn und seinen Anwalt keine Möglichkeit mehr, die schon zweimal verhinderte Abschiebung in die Türkei zu verhindern. Der Anwalt Detlef Kröger reagierte nach der Abschiebung seines Mandanten sichtlich empört: "Wenn dem Mann etwas passiert, klebt an den Händen der Landesregierung Blut." Gegenwärtig ist Tunc in der Türkei noch auf freiem Fuß, was sich jedoch jede Stunde ändern kann.

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