Multimedia für Obdachlose - die künstlerischen Aktionen von Hermann Josef Hack

Ein Stück Himmel zu kaufen und sich im virtuellen Raum einzutragen, um marginalisierten Menschen zu helfen.

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Hack [hack@gekko.de] ist Medienkünstler und hat ein Anliegen. Er hat sich zum Anwalt der Obdachlosen gemacht, denn diese haben nur einen schwachen publizistischen Einfluß (Straßenzeitungen). Er fordert "Multimedia für alle, auch für die Obdachlosen", denn Obdachlose haben Bedürfnisse, die über Hunger und Durst hinausreichen. Er will dem "Knowledge Gap" in der Gesellschaft etwas entgegensetzen. So verknüpft der Künstler, der bei Beuys studierte, sein Engagement geschickt mit medienwirksamen Auftritten und hofft auf eine höhere Resonanz. Diese Ideen ließen sich nur künstlerisch umsetzen, glaubt er, denn Kunstaktionen dürfen scheitern, manche schließen das eigene Scheitern sogar mit ein, im Gegensatz etwa zu unternehmerischen Tätigkeiten. Mit einem Scheitern rechnet Hack, der sich einen Namen machte durch sein "Global Brainstorming Project", jedoch nicht, der Erfolg spricht bislang für ein Gelingen.

Hermann Josef Hack

"Wenn sich die Kunst von den wirklichen Problemen entfernt, muß man die Probleme zur Kunst bringen!"

Das Konzept hat er virtual roof genannt und bereits in einigen Städten eingeführt. Die Idee ist recht simpel: In 600 Meter Höhe teilt Hack den Großstadt-Himmel in quadratische (50 x 50 Meter) oder runde Parzellen (70 Meter Durchmesser) ein und verkauft sie an Interessenten für 20 bis 150 Mark, oder verlangt neuerdings andere Gegenleistungen. Beim virtuellen Dach Ruhrgebiet, das Hack in Oberhausen anläßlich des Kunstereignisses "Ich Phönix" (1996) im Gasometer installierte, verlangte er als Gegenleistung von den Himmel-Besitzern etwa eine Vision für ihre Parzelle: Wie wird die Region in zehn Jahren aussehen? Hack legte anschließend eine Liste von 1000 Visionen Minister Clement vor.

Die so symbolisch erworbenen Parzellen dokumentiert Hack den Besitzern durch eine Eigentumsurkunde. Aber nicht nur auf dem Papier existiert der Besitz, denn Hack stellt die jeweiligen Luftaufnahmen ins Netz, so daß die aktuellen Änderungen stets sichtbar sind durch Markierungen. Man ist quasi Pate für ein Stück Himmel über einer Stadt oder einer Region, und fühlt sich vielleicht verantwortlich. Des weiteren hat man als Besitzer die Möglichkeit, mit seinen Nachbarn Kontakt via Email aufzunehmen. Unter den virtuellen Nachbarn befinden sich im "virtuellen Dach Ruhrgebiet" etwa die Prominenten Nina Hagen (Parzelle über einem Waldstück) oder Ulrich Wickert (Parzelle über einer Straßenkreuzung). Auch eine Chat-Leitung hat er hier eingerichtet, "Public- Penthouse-Party" genannt. Der Erlös dieser Einnahmen wandert nicht in Hacks Tasche, sondern fließt in Obdachlosenhilfsprojekte, beispielsweise in das Straßenmagazin "ASPHALT" (Hannover).

Wir, die unten aufgeführten Unternehmen und Personen, stellen unsere Arbeit nicht nur in den Dienst der Menschen, die es sich leisten können, mit den neuesten multimedialen Entwicklungen Schritt zu halten, sondern verpflichten uns hiermit, auch für diejenigen zu sorgen, die sich am Rande unserer Gesellschaft befinden. In der Erkenntnis, daß die Nutzung multimedialer Neuerungen auch den Ärmsten zu Gute kommen kann und muß, setzen wir uns dafür ein, daß nicht eine Klassengesellschaft von multimediafähigen und -unfähigen Menschen entsteht, sondern daß jeder ungeachtet seiner Herkunft und seines Vermögens Zugang zu den neuesten Entwicklungen und weltweiter sowie regionaler Netzwerke erhält. Alle Menschen sind von Geburt gleich. Dies gilt auch im Cyberspace. Benachteiligungen von Einzelnen oder Gruppen aufgrund von Herkunft, Besitz oder anderen Standesmerkmalen lehnen wir ausdrücklich ab. Wir fordern freien Zugang zu allen Medien für alle! Um hierfür ein sichtbares Zeichen zu setzen, unterstützen wir das Virtuelle Dach.

MAGNA CARTA MULTIMEDIA

Mittlerweile fließen die Gelder in das Projekt Homepages for Homeless, das noch im Aufbau ist. Den Obdachlosen soll hier die Möglichkeit gegeben werden, in zur Benutzung frei gegebenen Räumen mit PC`s eigene Homepages zu erstellen, um ihr Anliegen auch virtuell darzustellen. So hat Hack etwa in Hannover kostenlosen Zugang geschaffen beim "ASPHALT"-Magazin, für Jugendliche im evangelischen Jugendzentrum Am Steinbruch in Hannover-Linden sowie in der Integrierten Gesamtschule Hannover-Mühlenberg. Er ist der Meinung, daß Obdachlose zumindest ein dauerhaftes, virtuelles Zuhause brauchen, einen festen Platz im Internet, wenn sie schon nicht fest geographisch verortet sein können.

Gerade der fluktuierende und heraklitische Cyberspace, der ein virtuelles Nomadentum erst ermöglicht, soll den geograpischen Nomaden, den Obdachlosen, ein zweites Zuhause bieten, wo es ein erstes nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen gibt. Hack möchte dieses Konzept allerdings nicht unter dem Thema Substitution diskutiert wissen. Der Cyberspace sei kein Ersatz für die existenziellen Bedürfnisse der Obdachlosen, die ja nicht durch eine Homepage verschwinden würden. Die Homepage soll nicht ablenken von den täglichen Existenzsicherungsproblemen, sie soll einfach nur die Obdachlosen im Internet oder in der Informationsgesellschaft vertreten, und gleichzeitig soll sie ihnen "ein Stück Würde wiedergeben", worüber sich Borchers in der "ZEIT" lustig machte und die 600 Meter Höhe der Parzellen als "vorgeschriebene Flughöhe für Utopien" bezeichnete. ( DIE ZEIT, 16.05.97, Nr.21, Bulkware)

Hack versteht seine Aktion auch politisch: Die 1000 Visionen aus dem "virtuellen Dach Ruhrgebiet" legte er Minister Clement vor, er formulierte eine Magna Carta Multimedia, in der er Multimedia für alle fordert, und er hat jüngst einen Antrag bei der Europäischen Kommission eingereicht, damit diese sein Obdachlosenprojekt auf europäischer Ebene unterstütze. Zudem ist Hack Kunstbeauftragter für das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie.

Initialisiert hat er "virtual roof" 1994 beim "Hamburger Architektensommer", dann in Bonn und 1995 in Köln zur ART Cologne. Zunächst durfte er dort sein Konzept in den Messehallen vorstellen, doch als den Veranstaltern klar wurde, daß Obdachlose einbezogen wurden, erteilten sie ihm Hausverbot. Daraufhin führte der Künstler alle interessierten Obdachlosen auf eigene Kosten als Aktionskunst durch die "ART Cologne". Weitere Etappen seiner Städtereise waren Oberhausen, Hannover während der CeBIT'97, Kassel während der "documenta x" (erst ab Anfang August im Internet zugänglich) und zuletzt Münster anläßlich des Ereignisses ORTungen '97: Virtuelle - Reale Räume.

Welche großstädtischen Agglomerationen oder auch ländliche Regionen sind als nächstes an der Reihe? Der Künstler hat darauf eine vorläufige Antwort: In Planung sind China und die USA, also jetzt auch der Schritt über Deutschland, über Europa hinaus. Wenn es weiterhin so gut läuft, kann dieses Projekt zur Lebensaufgabe werden und sein 1996 gegründetes Institut HACK HYPERMEDIA Virtual Institute for the future (Motto: "The best way to predict the future is to invent it") wird bei dem Tempo kaum noch Zeit für andere Aktionen finden.