Musharraf verhängt Ausnahmezustand in Pakistan

Der durch einen Putsch an die Macht gelangte pakistanische Präsident und Alliierte der USA entledigt sich seiner Gegner

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Seine Regierung habe die Samen einer nachhaltigen Demokratie gesät, heißt es auf der Homepage des pakistanischen Präsidenten Pervez Musharraf, in der dieser sich selber ausgiebig lobt. Nun gehe es darum, das Erreichte zu festigen. "So ironisch es klingen mag, ich glaube fest an die Demokratie", schreibt der Militärmachthaber, der sich 1999 an die Macht putschte, weiter. In der Wahrnehmung seines Volkes mag dieser Satz nun an Ironie noch dazugewonnen haben. Der General verhängte heute den Ausnahmezustand und setzte die Verfassung außer Kraft. Und er entledigte sich eines seiner gefährlichsten Gegner.

Schon in den vergangenen Wochen drohte Musharrafs Regierung wenig subtil damit, den Ausnahmezustand auszurufen. Als Grund wurde die tatsächlich instabile Lage angeführt. Seit dem blutigen Sturm der Armee auf die von militanten Muslimen besetzte Rote Moschee im Juli in Islamabad (Muscharraf räumt auf..) haben die Extremisten ihren Terror besonders an der Grenze zu Afghanistan verschärft. Radikale Geistliche rufen offen zum Dschihad gegen die Sicherheitskräfte auf. Musharrafs Regierung weiß sich inzwischen nur noch mit roher Gewalt und mit Militäroffensiven gegen die wachsende Bedrohung zur Wehr zu setzen.

Wie prekär die Situation ist, musste Oppositionsführerin Benazir Bhutto schmerzlich erfahren, als sie vor zweieinhalb Wochen aus dem Exil in Dubai in ihre Heimat zurückkehrte. Ein Selbstmordattentäter sprengte sich in ihrem Festzug in Karachi in die Luft, rund 140 Menschen starben, die meisten davon Anhänger von Bhuttos Volkspartei PPP (Pakistan: Zur Begrüßung der heimkehrenden Bhutto ein Anschlag). Bhutto selber hat Widerstand gegen den Ausnahmezustand angedroht. Nach Angaben eines Parteisprechers wollte sie am Sonntag von einem Familienbesuch in Dubai nach Karachi zurückkehren.

Musharraf hat durch sein selbstherrliches Regieren in den vergangenen Monaten immer mehr an Popularität eingebüßt und die Opposition so unfreiwillig gestärkt. Im März suspendierte er kurzerhand den ihm unbequemen Chef des Verfassungsgerichts, Iftikhar Chaudhry. Die Bevölkerung trug ihren Unmut darüber auf die Straße. Chaudhry musste nach einem Urteil des Verfassungsgerichts wieder eingesetzt werden. Das Gericht dürfte nun auch der ausschlaggebende Grund gewesen sein, warum Musharraf den Ausnahmezustand verhängte.

Die Richter wollten in den kommenden Tagen über Petitionen von Musharraf-Gegnern entscheiden, die argumentierten, der General hätte zur Präsidentenwahl Anfang Oktober nicht antreten dürfen, weil er zugleich Armeechef ist. Musharraf hat unter dem Druck der Opposition zwar zugesagt, die Uniform auszuziehen - aber erst nach seiner erneuten Vereidigung. Die Opposition boykottierte die Abstimmung im Parlament in Islamabad und den Provinzparlamenten, Musharraf gewann haushoch. Das Gericht untersagte jedoch die offizielle Verkündung eines Wahlsiegers vor einem Urteil. Und das, so sagen Beobachter in Islamabad, wäre möglicherweise gegen Musharraf ausgefallen.

Wie die Richter auch geurteilt hätten, an Macht hätte Musharraf auf jeden Fall eingebüßt: Entweder wäre er Präsident geblieben, hätte aber die Uniform an den Nagel hängen müssen. Oder er hätte weiter die Streitkräfte befehligt, ohne jedoch an der Regierung zu sein. Nun wählte er einen Ausweg, der ihm nicht nur seine Macht auf unbestimmte Zeit erhält, sondern sie noch drastisch ausbaut.

In seiner Anordnung zum Ausnahmezustand wird allen Gerichten des Landes untersagt, Urteile gegen den Präsidenten zu fällen. Das Verfassungsgericht wird darin direkt angegriffen: Dessen "ständige Einmischung" habe die Regierung geschwächt, heißt es in dem Papier. Musharraf machte am Samstag Nägel mit Köpfen. Noch am Abend wurde mit Abdul Hamid Dogar ein neuer Richter auf Chaudhrys Posten vereidigt. Nach Medienberichten wurden private Fernsehsender in einigen Städten geschlossen, in der Hauptstadt Islamabad wurden Telefonnetze blockiert. Soldaten riegelten das Regierungsviertel ab. Ebenfallsumstellt wurden das Oberste Gericht und Häuser von Richtern in der Hauptstadt. Die Richter hatten nach einem Bericht des privaten Fernsehsenders Geo TV, dessen Website derzeit nicht erreichbar ist, die Erklärung des Ausnahmezustands für ungültig erklärt und Regierungsmitglieder und Offiziere aufgerufen, dem Präsidenten nicht zu gehorchen.

Der Preis für Musharrafs Machterhalt könnte ein hoher sein. Seine Glaubwürdigkeit dürfte mit der Verhängung des Ausnahmezustands nicht nur in seinem Volk schwer gelitten haben. Ein westlicher Beobachter nannte den radikalen Schritt das Eingeständnis von Musharrafs Scheitern. Tatsächlich wird der Westen, auf dessen Unterstützung der selbst ernannte Demokrat Musharraf angewiesen ist, die Verhängung des Ausnahmezustands nicht gutheißen können - auch wenn der General als wichtiger Partner im Kampf gegen den Terrorismus gilt. In einer ersten Stellungnahme des US-Außenministeriums heißt es, dass die Verhängung des Ausnahmezustands für die pakistanische Demokratie ein großer Schritt zurück sei. Musharref wird an sein Versprechen erinnert, dass er als Armeechef zurücktreten wollte, bevor er sich wieder als Präsident vereidigen lässt. Zudem habe er Wahlen für Januar versprochen. Außenministerin Rice bezeichnete die Entscheidung als "höchst bedauerlich".

Nicht ausgemacht ist auch, wie die Bevölkerung auf den drastischen Schritt des unbeliebten Machthabers reagiert. Sollte es wieder – wie nach Chaudhrys Suspendierung - zu landesweiten Massenprotesten kommen, steht die Frage im Raum, wie Musharraf damit umgeht - und ob er der Armee unter den Regeln des Ausnahmezustands möglicherweise den Befehl zum Schießen erteilt. (dpa)