NATO als Spaltpilz
- NATO als Spaltpilz
- Verhinderung einer Wiederannäherung von Moskau und Berlin
- Auf einer Seite lesen
Ein Blick auf das umstrittene geopolitische Kalkül hinter der Eskalationsstrategie des westlichen Militärbündnisses
"Keine Atempause, Geschichte wird gemacht." Diesmal soll dies am 8. und 9. Juli in der polnischen Hauptstadt Warschau der Fall sein. Der für diese Tage angesetzte NATO-Gipfel habe das Potenzial, "in die Geschichte einzugehen", erklärte Polens umstrittener Verteidigungsminister Antoni Macierewicz bei einer Pressekonferenz Anfang Juni.
Das Gipfeltreffen könne über "die Sicherheit der Länder Mittel- und Osteuropas entscheiden", womit die "Sicherheit der gesamten NATO" tangiert sei. In Warschau werden 28 staatliche Delegationen und drei Abordnungen von Internationalen Organisationen (UNO, EU, Weltbank) zu Gast sein. Wie wichtig der Gipfel sei, illustriere allein der Umstand, dass US-Präsident Obama an dem Treffen teilnehmen werde, erklärte Macierewicz.
Der wegen seiner absurden Verschwörungstheorien umstrittene Verteidigungsminister vergaß allerdings zu erwähnen, dass Obama bei seiner Polen-Visite auch das Thema der rasch erodierenden bürgerlich-demokratischen Standards in Polen diskutieren will, die von der Rechtsregierung in Warschau im atemberaubenden Tempo abgebaut werden.
Der NATO-Gipfel soll ein klares "Signal" der Abschreckung gegenüber Russland senden, das "riskante militärische Manöver" an der östlichen Flanke der NATO vollführe, erklärten polnische Regierungsmitglieder gegenüber Defence News. Es gehe um einen Wandel der "fundamentalen Philosophie" des westlichen Militärbündnisses im Osten, bei dem eine permanente "rotierende militärische Präsenz" in Mittelosteuropa etabliert werden müsse. Der britische The Guardian präzisierte den "historischen" Gehalt des kommenden NATO-Gipfels: Bei dem Treffen soll die NATO die dauerhafte Stationierung einer "signifikanten Anzahl von Truppen und Material" in Polen und den baltischen Ländern - also direkt vor Russlands Haustür - beschließen.
Somit droht dieser Gipfel tatsächlich zu dem Gipfelpunkt einer Eskalationsstrategie der NATO gegenüber Moskau zu werden, die schon seit Jahren "riskante militärische Manöver" an der westlichen Flanke Russlands vollführt. Hierzu gehört eindeutig die Inbetriebnahme einer US-Raketenabwehreinrichtung in Rumänien im vergangenen Mai, die der Kreml als einen westlichen Versuch interpretiert, die nukleare Abschreckungsfähigkeit Russlands zu unterminieren. Eine ähnliche amerikanische Raketenbasis wird nun in Nordpolen errichtet; die Bauarbeiten sollen 2018 abgeschlossen werden.
Überdies gingen dem NATO-Gipfel die größten Kriegsspiele in Osteuropa seit dem Ende des Kalten Krieges voraus, die eindeutig als eine Drohgebärde gegenüber Russland konzipiert waren. Rund 31.000 Soldaten aus 24 Ländern nahmen bei den groß angelegten Manövern in Polen teil, wobei die USA mit rund 14.000 Mann das größte Kontingent stellten - gefolgt von polnischen Armeekräften mit 12.000 Mann. Das zehntägige Manöver sei ein "Vorspiel" zu dem NATO-Gipfel, erklärte der Guardian.
Offiziell handelt es sich bei den militärischen Muskelspielen der NATO somit um eine Abschreckungsstrategie gegenüber Russland, das sich in einen Stellvertreterkrieg niederer Intensität mit prowestlichen Kräften in der Ukraine befindet. Der Aufbau einer substanziellen militärischen Präsenz der NATO an der russischen Grenze wird somit als eine Reaktion auf russische Aggressionen und Annexionen (Krim) im postsowjetischen Raum verkauft - wobei die zentrale Rolle des Westens als treibender Kraft bei der Destabilisierung der Ukraine ausgeblendet wird (Geopolitisches Déjà-vu). Die offizielle politische Botschaft hinter der Eskalationsstrategie der NATO (und den gigantischen Kriegsspielen in Polen) besteht darin, die Manöver des Juni 2016 zu einer Antwort auf die Annexion der Krim im Februar 2014 zu stilisieren, wie ein US-Militäranalyst ausführte.