NATO als Spaltpilz
Seite 2: Verhinderung einer Wiederannäherung von Moskau und Berlin
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Doch richtet sich die zunehmende militärische Präsenz der NATO - und hier selbstverständlich zuallererst der USA - in Mittelosteuropa keineswegs allein gegen Russland. Es geht hier auch um ein geopolitisches Manöver, bei dem die NATO als eine Art präventiver Spaltpilz fungiert, der eine geopolitische Wiederannäherung zwischen Moskau und Berlin verhindern soll. Und genau hier treffen sich die Interessen Washingtons und Warschaus. Die zunehmende militärische Präsenz der USA in Osteuropa richtet sich direkt gegen Russland und indirekt gegen das machtpolitisch aufstrebende Deutschland (Willkommen in der Postdemokratie), dem eine strategische geopolitische Option - eine "eurasische" Allianz mit Russland - dauerhaft verbaut werden soll.
Polens außenpolitische Maxime besteht seit dem Hitler-Stalin Pakt darin, eine ähnliche geopolitische Konfiguration, bei der Polen und Mittelosteuropa - also der geopolitische Raum zwischen Baltikum und Schwarzem Meer - zwischen deutschen und russischen Einflusssphären aufgeteilt würde, um jeden Preis zu verhindern. Deswegen wird im Rahmen der NATO und der EU von Polen eine antirussische Strategie verfolgt, mit der auch die Differenzen zwischen dem NATO- und EU-Mitglied Deutschland und Russland vergrößert werden sollen. Die USA wiederum forcieren die dauerhafte Einbindung des deutsch dominierten Europas in ihr transatlantisches Bündnissystem, um den Aufstieg eines eurasischen Konkurrenten (China, Russland) zu verhindern. Dies soll vor allem durch den Abschluss des transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP erreicht werden (Mit TTIP zurück in die imperiale Vergangenheit, über dessen konkrete Ausgestaltung gerade Berlin und Washington verhandeln.
TTIP und die geopolitische Eskalation mit Russland sollen die BRD dauerhaft in der westlichen US-Einflusssphäre binden, während Deutschland gerade bemüht ist, seine ökonomische Dominanz in der Eurozone auch mit eigenständigen militärischen Handlungsoptionen anzureichern (Die Militarisierung der EU). In Polen etwa wird die erdrückende machtpolitische Dominanz Berlin in der Eurozone, die die Brüsseler Bürokratie zu einem bloßen europäischen Ornament knallharter deutscher Machtpolitik verkommen ließ, breit diskutiert - wenn auch ideologisch verzerrt durch den zunehmenden Nationalismus.
Die Zeit hat entsprechende Äußerungen der grauen Eminenz der polnischen Regierungspartei PiS, des Parteivorsitzenden Jaroslaw Kaczynski, publiziert. Dieser habe auf die Interviewfrage nach der Motivation der EU-Kritik an seinem autoritären Kurs folgende Antwort gegeben:
Dahinter verbergen sich Interessen. Ein Deutschland untergeordnetes und in der internationalen Politik geltungsloses Polen, das sich als Vorrat billiger Arbeitskraft wirtschaftlich ausbeuten lässt, ist ein großartiges Geschäft für Deutschland und andere EU-Staaten. Wenn jemand diesen Sachverhalt antasten und ändern möchte, wird er heute und auch in Zukunft attackiert.
Jaroslaw Kaczynski
Die regierenden Rechtspopulisten in Warschau haben auch die liberale Vorgängerregierung aus Bürgerplattform (PO) und Polnischer Volkspartei (PSL) oftmals als "Vasallen Berlins" attackiert, die nur die "Anweisungen Angela Merkels ausgeführt" hätten. Nun erhebe sich "Polen von den Knien" polterte Kaczynski.
Polen ist ein Paradebeispiel dafür, wie das deutsche Großmachtstreben in Europa, wie der rücksichtslose deutsche Chauvinismus und Nationalismus, der sich in der Eurokrise seine Bahn brach, zu einem nationalistischen Fallout auf dem Kontinent führen kann: Der polnische Nationalismus kann sehr wohl als eine chauvinistische Antwort auf den deutschen Chauvinismus begriffen werden, der ein Europa errichten wollte, in dem nur noch "Deutsch gesprochen" (Volker Kauder) werde.
Die enge geopolitische Allianz mit Washington wird von Warschau somit auch als ein Gegengewicht gegen das deutsche Dominanzstreben in Europa begriffen. Es gibt hier eine eindeutige Überschneidung von Interessen, die dazu führt, dass die USA - aller offiziellen Kritik an dem Demokratieabbau in Polen zum Trotz - die militärische Kooperation mit Warschau forcieren. Und deswegen ist das Echo auf die - de facto polnisch-amerikanischen - Militärmanöver in der deutschen Presselandschaft so negativ ausgefallen, die unter dem martialischen Codenamen Anakonda abliefen.
Spiegel Online sah sich im "Würgergriff der Anakonda". Mit der Großübung, bei der vor allem die USA Flagge zeigten, sei man in der NATO "genervt" gewesen. Es sei hierbei von Warschau "zu dick aufgetragen" worden und man habe "ohne Not den Ernstfall durchexerziert". Während der deutsche Außenminister mäßigend einzuwirken versuche, sei "die neue polnische Regierung an ihrem strikten Anti-Russland-Kurs" geblieben. Es bestehe die Gefahr, dass Polens Rechtspopulisten den kommenden NATO-Gipfel "vergiften":
Wie gerne die aktuelle polnische Regierung irritiert, hat Berlin bereits erlebt. Ende April polterte der Warschauer Verteidigungsminister überraschend, Deutschland blockiere die Verlegung von US-Truppen nach Polen. Der Vorwurf war haltlos. Trotzdem druckten ihn die polnischen Zeitungen. Die Bundesregierung war nicht begeistert. Wohl nicht ganz zufällig ist die Bundeswehr nur mit 400 Pionieren bei der "Anakonda"-Übung aktiv.
Spiegel
Kurz vor den Manövern in Polen hat die Deutsche Welle auf ihrer polnischsprachigen Webpräsenz einen Artikel publiziert, der sich ausdrücklich für eine Annäherung der NATO an Russland plädiert und somit in direkten Gegensatz zu der Konfrontationsstrategie der USA und Warschaus steht. In Defencenews.com wurde hierzu bemerkt, dass es auf dem kommenden NATO-Gipfel bei der Frage des Verhältnisses zu Russland entgegengesetzte Vorstellungen geben werde. Bei dem Verhältnis zu Russland müssten die NATO-Führer einen Konsens finden zwischen zwei kontrastierenden Sichtweisen: zwischen denen, die "Angst vor Russland unter Putin" hätten, und denjenigen Kräften, die bereit seien, mit Russland zu kooperieren.
Zweischneidiges Schwert
Damit erweist sich die Eskalationsstrategie gegenüber Russland als ein zweischneidiges Schwert. Sie soll einen geopolitischen Keil zwischen Moskau und Berlin treiben, aber dies Vorhaben hat Nebenwirkungen innerhalb der NATO. Die antirussische Eskalationsstrategie der USA und Polens trägt den Spaltpilz in die NATO selbst hinein, in der die strategischen Differenzen zwischen den Machtzentren Washington und Berlin zunehmen.
Und zugleich spitzt die brandgefährliche Konfrontationspolitik der polnischen Rechtspopulisten auch die Widersprüche innerhalb der polnischen Funktionseliten zu. Die weitreichende politische Säuberungswelle des Staatsapparates, die durch Polens Rechtsregierung entfacht wurde, hat auch den militärischen Apparat erfasst.
Rund ein Viertel der Generäle wurde inzwischen Entlassen oder in den Vorruhestand geschickt. Die nationalistischen Säuberungen gingen so weit, dass Polen nicht mehr in der Lage war, Posten im internationalen NATO-Kommandozentrum in Szczecin zu besetzen. Mit besonderer Sorge werde in den Streitkräften der staatlich forcierte Aufbau von Freiwilligenverbänden und Milizen verfolgt, die sich mitunter aus Mitgliedern rechter oder rechtsextremer Gruppierungen zusammensetzen.
Im Zentrum der Kritik steht der neue polnische Verteidigungsminister Antoni Macierewicz, der für die Organisierung dieser Milizverbände - in denen etwa rechtsextreme Fußballhooligans Aufnahme finden - verantwortlich ist. Der rechtsgerichtete Politiker gilt vor allem aufgrund seiner öffentlich artikulierten Verschwörungstheorien zur Tragödie von Smolensk als gefährlich. Bei einem Vortrag in der klerikal-rechtsextremen Medienschule des einflussreichen Medienunternehmers und Redemptoristen Tadeusz Rydzyk (Die Graue Eminenz) erklärte Macierewicz, dass es sich bei dem Absturz der Flugzeugs des damaligen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski in Smolensk um einen "terroristischen Angriff" gehandelt habe. Dieser Terrorismus sei ein Produkt des "sozialistisch-sowjetischen" Denkens, führte der Verteidigungsminister Polens im März 2016 aus.
Im Mai 2016 haben sechs ehemalige polnische Verteidigungsminister einen offenen Brief publiziert, in dem die sofortige Ablösung Macierewiczs gefordert.