NSU-Ermittlungen: Zweifel an der Drei-Täter-Theorie "weggesteuert"?

Seite 3: Nicht unbedingt gelungen

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Möglicherweise ist das aber auch zu einfach. Aus anderen Zeugenbefragungen vor diesem Ausschuss ist bekannt, dass auch im Bundeskriminalamt Maßgaben für die NSU-Ermittlungen erfolgten - von ganz oben. Nach Aussage des Nachfolgers von Soukup als Chefermittler zum NSU, Axel Kühn, habe BKA-Präsident Jörg Ziercke angewiesen, nicht nach den Versäumnissen in der Vergangenheit zu schauen, sondern die Täterschaft von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nachzuweisen.

Das ist nicht unbedingt gelungen. Und beim Polizistenmord von Heilbronn gibt es sogar einen amtliche Beleg dafür. Ausgerechnet das BKA schreibt in seinem Bericht an die Bundesanwaltschaft: Ein eindeutiger Nachweis, dass zumindest Böhnhardt und Mundlos am Tattag in Tatortnähe waren, habe nicht erbracht werden können. Dieser Befund nun ist nicht inoffiziell, sondern höchst offiziell.

Köln und Nürnberg

Ähnlich beim Beispiel Sprengfalle in der Probsteigasse in Köln: Böhnhardt und Mundlos "an die Tat heranzubringen", sei nicht geglückt, wie ein anderer BKA-Ermittler dem Ausschuss in einer früheren Befragung eingestanden hatte.

Oder beim Beispiel Nürnberg: Drei Morde wurden in der Stadt verübt - warum? Man stieß auf Verbindungen des Trios nach Nürnberg, fand Spuren von Beate Zschäpe, aber, so Soukup, der eine bereits bekannte Formulierung wählt: Beim Versuch, Zschäpe "an die Tatorte heranzubringen", sei man nicht weitergekommen.

Der offizielle Soukup sagt: Im Prozess in München habe sich nirgends ergeben, dass die Ermittlungsarbeit ungenügend war oder Fehler gemacht worden waren. Und wörtlich: "In der Nachschau wurde bestätigt, was wir in den ersten sechs Monaten ermitteln konnten." - "Oder die Fragezeichen sind geblieben", entgegnet Ausschussmitglied Armin Schuster (CDU). Und Soukup quittiert: "Oder die Fragzeichen sind geblieben." Das ist aber wieder nur der inoffizielle Soukup.

Dem inoffiziellen Soukup, dem Zeugen, führen die Abgeordneten vor Augen, dass viele Ermittlungen eben nicht unternommen worden sind. Zahlreiche DNA-Spuren wurden nicht mit Verdächtigen oder Beschuldigten abgeglichen. Dasselbe bei Mobilfunk-Daten. Tatsächlich wurden im Laufe der Jahre an vielen Tatorten mehrere Nachermittlungen vorgenommen.

Auch der Staatsschutzsenat in München, der den Prozess gegen Zschäpe, Wohlleben und andere führt, gab verschiedene Nachermittlungen in Auftrag, zum Beispiel zu den Bombenabschlägen in Köln oder zu Banküberfällen.

Laufende Ermittlungen

Bis heute führt das BKA Ermittlungen in Sachen NSU, nach wie vor gibt es Zeugenvernehmungen. Das meiste ist unbekannt, weil es von der Bundesanwaltschaft nicht in den Prozess eingeführt, sondern in einem eigenen Sammelverfahren mit dem Titel "NSU/unbekannt" abgelegt wird. Sie allein wacht darüber. Ausermittelt? Eher: Ermittlungen eingestellt oder gedrosselt.

Denn immer noch gibt es Zeugen, die bis heute nicht vernommen wurden, zum Beispiel aus der Keupstraße in Köln, dem Ort eines der Bombenanschläge. Selbst ein Verdächtiger, wie jener V-Mann des Verfassungsschutzes von Nordrhein Westfalen, der dem Bombenleger in der Probsteigasse in Köln ähnlich sehen soll, wurde nicht vernommen, wie der U-Ausschuss bemängelte: "Wir finden gar nichts an Ermittlungen", so die Abgeordneten der Linken, Petra Pau und Frank Tempel.

Das Misstrauen wächst. Er habe nicht das Gefühl, dass der NSU-Komplex so behandelt wurde, wie es einem Fall entspricht, der "deutsche Kriminalgeschichte" machte, sagt Armin Schuster, und macht dann einen Schritt zu den aktuellen Terroranschlägen. Er nennt explizit die Fälle "Al-Bakr" und "Amir". Der Syrer Jaber Al-Bakr, ein mutmaßlicher Bombenleger, wurde im Oktober 2016 einen Tag nach seiner Festnahme erhängt in einer Gefängniszelle in Leipzig gefunden, nach offizieller Lesart: "Suizid". Ein geheimer Untersuchungsbericht spricht von "Fehlern, Versäumnissen und Mängeln". Und Anis Amri: mutmaßlich jener Attentäter, der am 19. Dezember 2016 einen Schwerlastwagen in die Menschenmenge des Weihnachtsmarktes auf dem berliner Breitscheidplatz steuerte und 12 Menschen tötete. Bei diesen Fällen werde man vielleicht bald wieder die Fragen haben, wie im Fall NSU, so Schuster. Eine bemerkenswerte Verbindung, die der eher konservative Sicherheitspolitiker der Union zieht.

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Eine ganze Reihe von Zeugen hat der Ausschuss allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen. Fragwürdig ist das auch deshalb, weil die Zeugen zum Teil im Prozess in München oder in einem anderen U-Ausschuss öffentlich aussagen mussten. So schon letztes Mal Volker H., der bei der Flucht des Trios aus Jena im Januar 1998 mithalf, zusammen mit Juliane W., der Freundin von Ralf Wohlleben und V-Frau des Verfassungsschutzes.

Nun zwei Neonazi-Aussteiger, darunter die Ex-Freundin von André Kapke, einem der neun weiteren NSU-Beschuldigten. Dann ein gewisser Sven M., Kontaktperson des V-Mannes "Corelli" alias Thomas Richter, der ihn für den Ku Klux Klan rekrutiert hatte. Und auch Alexander H. aus Chemnitz, Vermieter von Wohnmobilen an das Trio. Zweimal soll der Auto-Vermieter in oder in der Nähe einer Stadt gewesen sein, als dort ein NSU-Mord verübt wurde und die mutmaßlichen Täter oder Helfer mit seinen Fahrzeugen hingefahren waren: im April 2006 in Dortmund und im April 2007 in Heilbronn.

Wieder nur Zufall? Im Untersuchungsausschuss in Stuttgart war H. bereits vernommen worden, zwar öffentlich, aber ohne dass jener Ausschuss seine mögliche Anwesenheit in Dortmund und Heilbronn weiter untersucht hätte.

Wiederholt war die Sitzung im Bundestag gut besucht. Das öffentliche Interesse ist groß. Die Medien boykottieren diesen Ausschuss allerdings weitgehend.

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