NSU-Kontext: Kooperierte die rechte Band "Noie Werte" mit der Polizei?

Seite 2: Wie passt der Polizistenmord mit den Morden an den Migranten zusammen?

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Existierte eine weitaus größere Tätergruppierung, zu der das Trio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe gehörte? Spielte das rechtsextreme Umfeld des Kerntrios eine Rolle? Und wenn ja, welche?

Am 25. April 2007 wurde nach den Schüssen auf die Polizeibeamten Michèle Kiesewetter und Martin Arnold, der schwer verletzt überlebte, an einer Kontrollstelle der polizeilichen Ringfahndung bei Oberstenfeld ein Wohnmobil mit Chemnitzer Kennzeichen registriert, das Böhnhardt angemietet hatte. Kam es aus Heilbronn und warum fuhr es nicht auf der Autobahn Richtung Ostdeutschland, wo das Trio wohnte? Warum fuhr es ausgerechnet nach Oberstenfeld, wo direkt oder in der Nähe gleich mehrere Aktivisten der rechtsextremen Szene wohnten? So die NPD-Funktionäre Jörg H. und Heike W. - und auch Andreas Graupner selber. Mit beiden ist sowohl er als auch ex-"Noie Werte"-Kollege Hilburger befreundet. In Oberstenfeld bei Heike W. hielt sich in der Vergangenheit aber auch Jan Werner auf, der 1998 in eine Waffenbeschaffung für das Trio eingebunden war.

Damit führt die Spur Heilbronn-Oberstenfeld zurück nach Chemnitz. Als er noch dort lebte, hatte auch Andreas Graupner Kontakt zu den drei Untergetauchten Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe. Aktenkundig ist folgender Sachverhalt: Bei einer Schulung der NPD im Januar 2000 im thüringischen Eisenberg berichtete Graupner im Kreis mehrerer Leute, "die drei [Untergetauchten] brauchen keine Unterstützung, es geht ihnen gut". Ralf Wohlleben, einer der Angeklagten in München, unterbrach Graupner barsch mit den Worten: "Das geht niemanden etwas an!" Überbringer der Nachricht war unter anderem der V-Mann Tino Brandt. Empfänger dementsprechend das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz.

Jetzt im U-Ausschuss von Baden-Württemberg bestritt Graupner den Sachverhalt entschieden. Das sei "ganz sicher" nicht so gewesen. Es sei "empörend", dass ihm "diese Kamelle" immer wieder unterstellt werde.

Die Sache hat einen entscheidenden Nerv, denn selbst wenn sie zutrifft, wovon auszugehen ist, muss Graupner sie abstreiten. Andernfalls würde er sich der Unterstützung des NSU-Trios schuldig machen und wäre der nächste Kandidat für ein Strafverfahren. Strenggenommen kann der "Zeuge" hier als "Beschuldigter" gelten, der schweigen und sogar die Unwahrheit sagen darf. Doch genau diesen Unterschied deutlich zu machen, hat der Ausschuss versäumt.

Vergleichbares ergab sich auch beim Zeugen Hendrik Lasch. Graupner, Lasch, Jan Werner und Thomas Starke waren in Chemnitz die engsten Kameraden. Sie organisierten rechte Skinheadkonzerte, bei denen mehrmals auch "Noie Werte" auftrat (Hilburger: "Lassen Sie's zehn Mal gewesen sein.") Starke war ab November 2000 V-Person der Berliner Polizei. Auch er ist NSU-Beschuldigter und hat deshalb, wie Werner, ein Aussageverweigerungsrecht. Lasch verkaufte "Noie Werte"-CDs in seinem Szeneladen "Backstreet Noise".

Alle kannten sie das Trio. Lasch räumte ein, Mundlos mindestens einmal in einer konspirativen Wohnung in der Nähe des Südbahnhofs aufgesucht zu haben. Dass Böhnhardt ebenfalls anwesend war, wollte er nicht ausschließen. Er habe von Mundlos eine Diskette mit Motiven übernommen, mit denen er T-Shirts bedruckte und verkaufte, so Lasch. Die naheliegende Frage, ob er dem Gesuchten dafür Geld gegeben habe, verneinte Lasch - was die Abgeordneten nicht glauben wollten, zumal die drei Untergetauchten Geld brauchten. Die Antwort muss aber nicht verwundern, denn hätte Lasch sie bejaht, würde er sich, wie Graupner, den Vorwurf der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung einhandeln.

Vom "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) will Lasch erst nach dessen Auffliegen 2011 gehört haben. Alles anklagefeste Angaben.

Was kann man von solchen Zeugen 20 Jahre nach den Ereignissen erwarten? Ihre Antworten sind inzwischen x-mal eingeübt und gefiltert. Und doch ergeben sich immer wieder überraschende Einblicke, wie jetzt im U-Ausschuss von Baden-Württemberg. Damit wird auch der Einwand widerlegt, Neonazis nicht als Zeugen zu laden, um ihnen im Parlament keine Bühne zu bieten. Mitunter kann man den gegenteiligen Eindruck gewinnen, sie würden auf ihre öffentliche Befragung auf dieser Bühne gerne verzichten. Antworten zu geben, aber nichts offenzulegen, kostet Energie - und dabei macht man Fehler. Sowohl bei Hilburger als auch bei Graupner kam es zu Situationen, wo sie die Befragung entnervt abbrechen wollten.

Doch was sie sich im Jahr 2013 gegenüber den Beamten des LKA erlaubten, weil dessen EG Umfeld lediglich freiwillige Befragungen vornehmen konnte, geht vor einem Untersuchungsausschuss nicht. Graupner war einer der Neonazis, die den Ermittlern damals jegliche Aussage verweigerten. Er habe Graupner persönlich aufgesucht, sagte ein Kriminalhauptkommissar des LKA vor dem Ausschuss, doch der habe ihn, so wörtlich, "ziemlich unflätig an der Haustür abgewatscht."

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