NSU-Morde: Hat Beate Zschäpe wirklich eine neue Version erzählt?
Angeblich gab es keine Helfer an den Tatorten. Da ist die Verurteilte scheinbar sicher. Dabei will sie nach wie vor nicht an der Planung beteiligt oder vor Ort gewesen sein.
Beate Zschäpe "trendet" immer noch gelegentlich in Nachrichten und sozialen Netzwerken – auch wenn sie nicht viel sagt oder zumindest nicht viel nach außen dringt. Am Montag soll die zu lebenslanger Haft verurteilte Rechtsterroristin ihre Mitschuld an den Morden des "Nationalsozialistischen Untergrunds" deutlicher als je zuvor eingeräumt haben, als sie in der JVA Chemnitz von Mitgliedern des bayerischen NSU-Untersuchungsausschusses befragt wurde. Zumindest hatte sie dort erstmals direkt auf Fragen geantwortet.
Der Ausschussvorsitzende Toni Schuberl (Grüne) erklärte nach der Vernehmung, ihr Schuldeingeständnis habe eine "neue Qualität" gehabt. Zschäpe habe gesagt, dass sie die Schuld ganz klar auch bei sich sehe, sagte Schuberl. "So, als hätte sie selbst abgedrückt". Zschäpe habe gesagt, dass sie die Taten nicht gewollt habe – aber auch, dass sie nur durch sie möglich gewesen seien. Und dass sie die Verbrechen hätte verhindern können – nämlich wenn sie sich gestellt hätte, als sie vom ersten Mord erfuhr.
Allerdings bestreitet Zschäpe weiterhin, an der Planung der Mord- und Anschlagsserie oder der Ausspähung der Tatorte beteiligt gewesen zu sein. Die mit ihr untergetauchten Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sollen es alleine gewesen sein – da sie seit Ende 2011 tot sind, können sie dazu nicht mehr befragt werden.
Zschäpes aktuelle Version weicht nicht wirklich von ihrer bisherigen ab, nur dass ihre gefühlte Mitschuld jetzt größer zu sein scheint. Im fünfjährigen Münchner NSU-Prozess, dessen Hauptverhandlung im Sommer 2018 geendet hatte, waren die Einlassungen der heute 48-Jährigen stark von Ausflüchten geprägt: Nach langem Schweigen hatte sie ihren Anwalt Mathias Grasel eine Erklärung verlesen lassen, in der sie sich als emotional abhängige, schwache Frau dargestellt hatte.
Sinngemäß hatte sie 2015 vor dem Oberlandesgericht München erklärt, sie sei zwar nach jedem weiteren Mord schockiert, entsetzt und "enttäuscht" gewesen, weil ihr Geliebter Uwe Böhnhardt und der gemeinsame Freund Uwe Mundlos schon wieder getötet hatten, sie habe es aber nicht fertiggebracht, mit ihnen zu brechen. "Ich hatte Angst davor, dass sich beide umbringen und dass ich mit ihnen meine Familie, allen voran Uwe Böhnhardt, verlieren würde", heiß es in dem von Grasel verlesenen Statement.
Im Endeffekt schien sie niemanden belasten zu wollen, der noch lebte, weder sich selbst noch mögliche weitere Mittäter.
Auffällig viele Taten in Bayern
Insgesamt hatte der NSU in den Jahren 2000 bis 2007 bundesweit zehn Menschen aus überwiegend rassistischen Gründen ermordet – fünf von ihnen in Bayern. Hinzu kamen zwei Sprengstoffanschläge mit mehreren Verletzten in Köln und einer mit einem Verletzten in Nürnberg, der vor den anderen Taten verübt, aber als letzter aufgeklärt wurde.
In der Anklageschrift gegen Zschäpe und vier mutmaßliche NSU-Unterstützer aus Ostdeutschland kam dieser Anschlag mit der Taschenlampenbombe von 1999 noch nicht vor. Erst durch die Aussage von Carsten S., dem einzigen glaubwürdigen Aussteiger auf der Anklagebank, konnte er der Gruppe zugeordnet werden; aufgrund einer prahlerischen Andeutung von Böhnhardt und Mundlos gegenüber dem damals Heranwachsenden. Im Jahr 2000 war dann bereits der Blumenhändler Enver Simsek in Nürnberg vom NSU erschossen worden.
Die Gruppe – oder das Netzwerk – mit dem Rückzugsgebiet Sachsen hatte sich also in Bayern vom versuchten zum vollendeten Mord gesteigert.
Der erste NSU-Untersuchungsausschuss im bayerischen Landtag schon vor Beginn der Hauptverhandlung seine Arbeit aufgenommen. Er sollte die Rolle der Sicherheitsbehörden und ihre Beobachtungen über Kontakte des NSU-Kerntrios zu bayerischen Neonazis untersuchen. Dafür blieb dem 2012 einberufenen Gremium nicht viel Zeit, weil im Folgejahr bereits die Wahlperiode endete.
Der damalige Ausschussvorsitzende Franz Schindler (SPD) hatte sich wegen zahlreicher offener Fragen für eine Fortsetzung in der nächsten Wahlperiode ausgesprochen – dazu kam es aber erst in der übernächsten.
Der Verfassungsschutz behinderte polizeiliche Ermittlungen
Verfassungsschutzmitarbeiter hatten im Zeugenstand des ersten Ausschusses keine gute Figur gemacht: Das Bayerische Landesamt des Inlandsgeheimdienstes hatte sich vor der Aufdeckung des NSU beispielsweise geweigert, Informationen über Neonazis an die Polizei herauszugeben, als diese einen "Einzeltäter mit fremdenfeindlichem Hintergrund" suchte.
Ein Beamter erklärte dazu, mehr als "dieser Denkansatz" sei ihm damals nicht bekannt gewesen; seine Behörde habe datenschutzrechtliche Bedenken gehabt. 2006 wohlgemerkt – nach dem neunten Mord bundesweit und nach fünf Morden in Bayern, bei denen dieselbe Waffe zum Einsatz gekommen war.
Der zehnte Mord, der heute dem NSU zugeordnet wird, war 2007 in Heilbronn mit einer anderen Waffe begangen worden. Beide Opfer, des versuchten Doppelmordes, die getötete Polizistin Michèle Kiesewetter und ihr Kollege Martin A., der knapp überlebte, fielen aus dem Rahmen, da alle anderen Opfer Männer mit Migrationshintergrund waren, die bei der Arbeit in kleinen Geschäften erschossen wurden. Das rassistische Motiv lag auf er Hand und wurde auch in dem später verschickten NSU-Video auf zynische Weise bestätigt.
Der Mordanschlag auf die Polizeibeamten bleibt bis heute mysteriös. Nicht zuletzt aufgrund der Art und Weise, wie er dem NSU zugeordnet werden konnte: Die Dienstwaffe der Toten wurde nach dem mutmaßlichen Doppelselbstmord von Mundlos und Böhnhardt im November 2011 neben deren Leichen in einem ausgebrannten Wohnmobil gefunden.
Die untergetauchten Neonazis hatten demnach die Waffe zu einem Banküberfall in Eisenach mitgeschleppt und riskiert, im Fall einer Verhaftung nicht nur als Bankräuber, sondern auch als Polizistenmörder angeklagt zu werden – obwohl sie bis dato niemand mit diesem Mord in Verbindung brachte.
Zschäpe war nach bisherigen Erkenntnissen an keinem der Tatorte dabei gewesen, aber nach Überzeugung des Gerichts gleichberechtigte Planerin der NSU-Verbrechen. Letzteres hat sie aber nach allem, was berichtet wird, bis heute nicht zugegeben.
Der eigentliche Auftrag des Untersuchungsausschusses war auch nicht, herauszufinden, wie weit ihre gefühlte Mitverantwortung inzwischen geht, denn verurteilt ist sie ja bereits.
Szenekontakte und ein V-Mann in Kaderfunktion
Entscheidend ist für das Gremium etwas anderes: Die Auswahl der Opfer in Nürnberg und München sprach zum Teil für gute Ortskenntnisse der Täter, obwohl das mutmaßliche NSU-Kerntrio aus Jena stammte und nach seinem Untertauchen zuerst in Chemnitz und dann in Zwickau lebte.
Aus der Zeit vor dem Untertauchen waren jedoch Kontakte zur bayerischen Neonaziszene bekannt. Eine Wohngemeinschaft von Münchner Neonazikadern lag sogar in auffälliger Nähe zu einem der Tatorte in der Landeshauptstadt. So stellte sich die Frage nach Hinweisgebern und Helfern – und nicht zuletzt die Frage, ob die bayerischen Sicherheitsbehörden genug getan haben, um solche Netzwerke aufzudecken.
Zschäpes Vernehmung fand am Montag in der JVA unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt – sie soll aber mehrstündig gewesen sein. Obwohl sie weder an der Planung noch an der Ausführung beteiligt gewesen sein will, gibt Zschäpe zu wissen vor, dass es keine Helfer an den Tatorten gegeben habe – auch nicht in Bayern. Alle neun getöteten Männer seien Zufallsopfer gewesen, die nur nach ihrem türkischen Erscheinungsbild ausgesucht worden seien.
Wenige Wochen vor der Zugabe-Vernehmung hatte der ehemalige V-Mann Kai Dalek für Ärger im Untersuchungsausschuss gesorgt: Seine Aussagegenehmigung war vom bayerischen Verfassungsschutz eingeschränkt worden. So kam wieder einmal der Verdacht auf, dass die Behörde bis heute etwas zu verbergen hat, zumal Dalek eindeutig eine Kaderfunktion in der militanten Neonaziszene übernommen hatte. Das war auch bei seiner Vernehmung 2014 im Münchner NSU-Prozess deutlich geworden.
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