NSU-Prozess: Ankläger verteidigen ihre tendenziöse Anklage

Seite 2: Flexible Bundesanwaltschaft

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Wie flexibel die Bundesanwaltschaft reagieren kann, zeigte sich beim folgenden Sachvortrag durch die BAW-Vertreterin Annette Greger, die zunächst Zschäpes Werdegang in der rechten Szene Jenas und dann, nach dem Untertauchen des Trios, die Gründung des NSU im rechtsextremen Umfeld in Chemnitz referierte. Viele Monate hatte das Gericht, den Initiativen der Nebenklage folgend, das sächsische Umfeld um die Organisation Blood and Honour ausgeleuchtet und tatsächlich erstaunliche Vernetzungen offengelegt. Die BAW hatte dagegen angekämpft und zahlreichen Beweisanträgen widersprochen.

Jetzt nimmt sie die Ergebnisse und baut sie in ihre ausschließliche Uwe-Uwe-Theorie ein. Sie modernisiert ihre Theorie sozusagen und greift dabei auch auf Aussagen sowohl von Hardcore-Neonazis als auch von V-Leuten in der Szene zurück. Bemerkenswerte Kronzeugen, die sich die Bundesanwaltschaft zurechtbastelt und wahlweise als "glaubhaft" bezeichnet. Allerdings ohne die Schlussfolgerung in Betracht zu ziehen, dass Nachrichtendienste in den Komplex verstrickt sein könnten. Mit dieser Methode ist fast alles in die eigene Theorie integrierbar.

Die Bundesanwaltschaft (BAW) räumt sogar ein, dass es - eben nach Aussage eines dieser V-Männer - einen ersten Raubüberfall im Jahre 1998 gegeben haben kann, von dem sie selbst bisher nichts wusste, und der in der Hauptverhandlung nicht aufgeklärt werden konnte. Und auch, warum die Anschlagserie 2007 endete, kann die oberste Staatsanwaltschaft der Bundesrepublik, wie Greger gestand, nicht beantworten.

Gleichwertiges Tätermitglied

Die Ankläger reduzieren den NSU auf das Trio - aber sie sehen in Beate Zschäpe neben den toten Männern ein gleichwertiges Tätermitglied. Sie habe alle Entscheidungen mit getroffen, die Männer abgesichert und das "System NSU" abgetarnt. Zschäpe sei der entscheidende "Stabilitätsfaktor" gewesen, ohne sie wären die Taten nicht gelungen.

Insgesamt nahm das Plädoyer an Tag eins etwa zwei Stunden in Anspruch, unterbrochen wurde es durch mehrere Pausen. Bereits nach einer Viertelstunde machte ein Verteidiger Zschäpes geltend, sie könne nicht folgen, der Vortrag sei zu geschwind. Am Nachmittag reklamierte ein Verteidiger ähnliches für Ralf Wohlleben. Daraufhin wurde der Angeklagte vom Gerichtsarzt untersucht. Man einigte sich auf Vortragsblöcke von je 45 Minuten mit anschließender Pause von je 15 Minuten.

Vier Tage bleiben der Bundesanwaltschaft vor der Sommerpause für ihr Plädoyer noch. 22 Stunden will sie insgesamt reden. Der Beginn des Plädoyers war vor einer Woche unerwartet angesetzt worden, hatte sich aber um eine Woche verschoben, weil die Verteidigung der Angeklagten Zschäpe und Wohlleben verlangte, einen Tonmitschnitt anfertigen zu lassen oder eine Kopie des Ankläger-Plädoyers ausgehändigt zu bekommen. Beides lehnte der Senat unter Vorsitz von Richter Manfred Götzl ab. Auf angekündigte Befangenheitsanträge verzichtete die Verteidigung daraufhin aber.

Ein Tonmitschnitt wäre zwar kein absolutes Novum, kommt aber in deutschen Gerichtssälen so gut wie nicht vor. Mit Jahren Verspätung wurde bekannt, dass im RAF-Prozess in Stuttgart-Stammheim vom Gericht heimlich Tonmitschnitte gefertigt wurden, die heute öffentlich sind. In Deutschland ist die Diskussion um Video- oder Audiomitschnitte von Prozessen oder gar -Übertragungen aufgrund der NS-Zeit mit ihren Schauprozessen unterentwickelt.

Möglich gemacht werden soll zunächst die Übertragung von Urteilsbegründungen oberer Gerichte. Die Aussicht gar einer Live-Übertragung der Plädoyers im NSU-Prozess hätte durchaus seinen Reiz - und seinen politischen Wert. Man könnte nicht nur die Argumentation der Bundesanwaltschaft im Original verfolgen, sondern auch die Entgegnungen der kritischen Opferanwälte. Vielleicht ist das der Grund, warum dieses Gericht von einem Tonmitschnitt die Finger ließ und darauf verzichtete, Justizgeschichte zu schreiben.

Fortgesetzt wird das Plädoyer der Bundesanwaltschaft diesen Mittwoch und Donnerstag.