NSU-Prozess: "Verfassungsschutz, Bundesanwaltschaft und Gericht haben die Aufklärung behindert"

Seite 2: Ungeklärte Fragen zu jeder Tat

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Ungeklärte Fragen gibt es zu jeder Tat. Beim siebten Ceska-Mord an Theodoros Boulgarides mitten in München konnten nur Ortskundige wissen, dass der Schlüsseldienst-Laden von einem Migranten geführt wurde. Dasselbe gilt für den achten Mord an Mehmet Kubasik in Dortmund.

Beim neunten Mord in Kassel sei der VS-Beamte Andreas Temme anwesend gewesen. Er und das LfV Hessen behinderten bis heute die Aufklärung. Dass Temme an der Tat mitwirkte, könne bis heute nicht ausgeschlossen werden. Und selbst wenn nur Zeuge war, hätten seine Angaben den folgenden Mord an der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter verhindern können.

Beim Polizistenmord von Heilbronn, den Antonia von der Behrens ebenfalls dem NSU-Trio zurechnet, sei das Motiv bis heute nicht geklärt, genauso wie die Frage weiterer Täter. Nicht erklären könne man, warum die Serie nach dem Polizistenmord abbricht.

Bei 17 von insgesamt 20 Waffen, die das Trio in Besitz hatte, konnte das Bundeskriminalamt (BKA) die Herkunft nicht klären.

Das Plädoyer der Nebenklageanwältin Antonia von der Behrens war nicht nur eine Demonstration eigener Beweisführung, die der offiziellen fundamental widerspricht. Es kann auch als Diskussionsbeitrag verstanden werden, der in den politischen Raum zielt, weil er nach Konsequenzen und politischem Handeln ruft.

Denn die Frage, die sich zwangsläufig aus der Darstellung ergibt, ist die nach dem Warum. Warum werden die Hintergründe nicht aufgeklärt? Warum sollten die drei nicht gefasst werden? Um die Quellen der Ämter zu schützen - oder um die drei zu schützen? Ob einer oder zwei oder alle drei nicht selber im Dienst eines Dienstes standen, dieser Verdacht ist bisher nicht zweifelsfrei ausgeräumt. Übrigens der beim Angeklagten Ralf Wohlleben noch weniger. Sollte das eine oder das andere bestätigt werden, läge sowieso der politische Super-GAU vor.

Widersprüche führen auf die politische Ebene

Jedenfalls führen alle Widersprüche unweigerlich auf die politische Ebene. Die sparte Antonia von der Behrens aus. Das manipulative und rechtsstaatswidrige Verhalten so vieler Sicherheitsbehörden ist ohne politische Abdeckung aber schwer vorstellbar. Erinnert sei auch an die Entscheidung der politischen Behörde Bundesanwaltschaft, die sich selbst nach dem neunten Mord an einem Migranten weigerte, die Ermittlungen zu übernehmen. Dabei war der Zusammenhang aller Morde durch den Einsatz ein und derselben Waffe offenkundig. Folge war, dass alle Mordkommissionen an den einzelnen Tatorten isoliert ihre einsamen Ermittlungen weiterführen mussten - letztlich erfolglos.

Was war der NSU? Man muss die Bewertung von Antonia von der Behrens nicht in allen Punkten teilen, wenn sie auch in die richtige Richtung führt. Das Zusammenspiel von Neonazis und organisierter Kriminalität (OK) kam bei ihr zum Beispiel ebenfalls nicht vor.

Auch der bis heute ungeklärte Sonderfall Polizistenmord in Heilbronn scheint nicht ausreichend verstanden zu sein. Er führt, nach dem was man weiß, zu einer etwas anders gelagerten, größeren Tätergruppierung, zu der das NSU-Trio durchaus gezählt werden kann, in der es mutmaßlich aber nicht die Hauptrolle spielte. Welche Rolle es spielte, weiß man bisher nicht. Das jedoch gibt dem NSU-Komplex eine bislang unbekannte Dimension.

Antonia von der Behrens setzt ihr Plädoyer vor dem OLG München kommende Woche fort mit einer Kritik des NSU-Prozesses selbst.