NSU: Schutz für V-Mann "Piatto" von ganz oben
- NSU: Schutz für V-Mann "Piatto" von ganz oben
- Illegales Handeln eines Geheimdienstes und seiner Quelle, abgedeckt durch ein Ministerium?
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Untersuchungsausschuss in Brandenburg beleuchtet Fall Szczepanski - Ein Lehrstück, wie der Verfassungsschutz den Rechtsstaat manipuliert
Der Zschäpe-Prozess in München wird in den kommenden Wochen voraussichtlich tatsächlich zu Ende gehen - der Skandal namens "NSU" aber bleibt. Dazu zählt die tiefe Verstrickung des Verfassungsschutzes (VS) in die Mordserie. Er hatte in den rechtsextremen Szenen eine Reihe von V-Leuten im Einsatz, lange bevor das Trio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe vor der Polizei floh.
Die VS-Geschichte lief bereits, als die NSU-Geschichte begann. Eine wichtige Figur dabei ist Carsten Szczepanski aus Berlin, Neonazi und Informant des Geheimdienstes namens "Piatto". Der Untersuchungsausschuss von Brandenburg bemüht sich, seine Rolle zu rekonstruieren - und stößt auf bemerkenswerte Funde. Auf einen Verfassungsschutz, dem es offensichtlich gelingt, rechtsstaatliche Verfahren zu manipulieren. Auf einen V-Mann, der allem Anschein nach auch aus dem Justizministerium heraus gedeckt wird. Ein Lehrstück.
"Piattos" Geschichte kurz von hinten her erzählt: Schon ab 1998 hatte er in Chemnitz Kontakt zum Umfeld des untergetauchten Trios. Spätestens im August 1998 wusste er, dass die drei sich bewaffnen und Raubüberfälle planen. Das meldete er auch dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) von Brandenburg. 1994 hatte er sich im Knast zur Zusammenarbeit mit dem Dienst bereiterklärt. Inhaftiert war er, weil er 1992 versucht hatte, einen nigerianischen Flüchtling zu ermorden. Doch weil Carsten Szczepanski auch zu jenem Zeitpunkt höchst wahrscheinlich bereits mit einer Geheimdienststelle in Verbindung stand, was offiziell aber mit Schweigen belegt wird, muss seine Geschichte an der Stelle auch von vorne erzählt werden.
Szczepanski, Jahrgang 1970, baute nach der Wende in der DDR im Umland von Berlin eine neonazistische Ku-Klux-Klan-Gruppierung auf. Bei einem Treffen im Herbst 1991 war auch der KKK-Chef aus den USA, Dennis Mahon, dabei. Im Dezember 1991 durchsuchte die Polizei seine Wohnung und fand Utensilien zum Bombenbau. Sz. tauchte unter, die Bundesanwaltschaft (BAW) leitete am 13. Februar 1992 ein Verfahren gegen ihn und den Ku-Klux-Klan Berlin-Brandenburg wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ein. Am 22. Februar 1992 wurde Sz. in Brandenburg festgenommen. Möglicherweise gab den Tipp ein Spitzel. Nur: von welcher Behörde? Der Brandenburger Verfassungsschutz kann es nicht gewesen sein, denn er durfte erst ab 1993 menschliche Quellen führen. Bemerkenswert dann: Sz. wurde am 23. Februar direkt wieder freigelassen. Warum? Vom 24. bis 26. Februar stellte er sich einer dreitägigen Vernehmung durch das Bundeskriminalamt (BKA).
Rechtsanwalt Christoph Kliesing, der das nigerianische Opfer von 1992 vertritt und im Januar 2018 im Untersuchungsausschuss (UA) gehört wurde, ist der Meinung, dass Sz. in jenen Februartagen "überredet" wurde zu reden. Sprich: Er nimmt an, dass Sz. am 23. Februar 1992 von einer Behörde als Informant "angeworben" wurde. Möglicherweise vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Entgegen anderen Fällen weigert sich das Amt bisher gegenüber dem UA zu verneinen, dass Sz. seine Quelle war.
Der Verdacht, dass Sz. schon vor seiner Kooperation mit dem VS von Brandenburg mit einem anderen Amt zusammengearbeitet hat, wird erhärtet durch zwei Briefe des früheren VS-Chefs von Brandenburg, Wolfgang Pfaff, die im Ausschuss zitiert wurden. Im Oktober 1995 schrieb Pfaff im Plural einmal von "Kontakten Szczepanskis zu Verfassungsschutzbehörden", ein andermal "zu Sicherheitsbehörden". Pfaff war einmal Bundesanwalt und lange Jahre Verbindungsbeamter der Bundesanwaltschaft beim BfV. Ein Westimport der Exekutive in den neuen Ländern sozusagen. Nicht der einzige, wie sich zeigen wird.
Interessanterweise hat Carsten Szczepanski selber als Zeuge im NSU-Prozess vor dem OLG in München erklärt, bereit 1991 Informant für eine Behörde gewesen zu sein. Der Februar 1992 läge da datumsmäßig nicht so weit entfernt. Von Bedeutung ist das auch, weil Sz. den Mordversuch an dem Nigerianer Steve E. dann als Mitarbeiter einer Sicherheitsbehörde begangen hätte. Am 9. Mai 1992 war der Asylsuchende in Wendisch-Rietz von mehreren Neonazis lebensgefährlich attackiert worden. Sz. soll dabei unter anderem "KKK!" gerufen haben. Das Gericht sah einen "direkten Tötungsvorsatz" als belegt an.
Nach seiner ausführlichen Aussage beim BKA im Februar 1992 liefen verschiedene Verfahren im Interesse Szczepanskis. Sie wurden liegen gelassen, bis sie verjährt waren, oder wurden eingestellt. Das Terrorismusverfahren der BAW wurde im September 1992 eingestellt.
Man kennt diesen Umgang bei anderen V-Leuten wie etwa Tino Brandt. Für Rechtsanwalt Kliesing muss jemand Szczepanski "geschützt" haben.
Als der Prozess Ende 1992 begann, war Sz. noch nicht einmal Beschuldigter in dem Verfahren. Das geschah erst im Dezember 1992, der Vorwurf lautete zunächst lediglich auf "gefährliche Körperverletzung". Erst 1994 wurde die Anklage auf "versuchten Mord" umgeändert und Sz. daraufhin im Mai 1994 in Haft genommen - zwei Jahre nach der Tat. Das Urteil des Landgerichts Frankfurt/Oder im Februar 1995 lautete schließlich auf acht Jahre Haft wegen versuchten Mordes.
1994 kam es in der U-Haft zur offiziell bestätigten Verpflichtung Carsten Szczepanskis als V-Mann des Verfassungsschutzes von Brandenburg mit dem Decknamen "Piatto". Wenn er schon 1992 ein V-Mann war, dann war er nach Einschätzung von Rechtsanwalt Kliesing durch den Mordversuch an seinem Mandanten danach für den entsprechenden Dienst eine "tickende Zeitbombe" geworden. Deshalb sei er von einem Dienst bei einem anderen "entsorgt" worden.
Jedenfalls bestimmte nun der Verfassungsschutz von Brandenburg die Knastregeln für seinen Schützling. Und zwar mit Wissen des Justizministeriums.