Nach Afghanistan: Sicherheit Deutschlands wird fortan weltweit verteidigt

Deutscher Soldat nahe Feldlager Camp Marmal, 2008. Bild: U.S. Navy photo by Mass Communication Specialist 1st Class Burt W. Eichen, CC BY 2.0

Nur noch richtige Kriege mit klaren Zielen auf Basis nationaler Interessen - statt Humanitätsgedusel im Schlepptau der Supermacht

Die letzten Menschen waren noch nicht aus Kabul ausgeflogen, da ergingen sich hierzulande schon Politiker wie Journalisten in der Frage, welche Konsequenzen aus dem Afghanistan-Krieg zu ziehen seien. Zwar wurden überwiegend Schuldfragen gewälzt und viele, die über Jahre den zivilen Charakter dieses Krieges – unsere legendäre Friedensmission in Sachen Brunnenbohren und Schulaufsicht – betont hatten, traten plötzlich als Kritiker eines "sinnlosen", zwar "gut gemeinten", aber auf "Fehleinschätzungen" basierenden Krieges auf.

Telepolis hat zu dieser Legendenbildung bereits einige kritische Texte beigesteuert. Die Beschönigung der deutschen Rolle nimmt freilich kein Ende.

Selbst der letzte Kriegseinsatz zur Evakuierung verzweifelter Menschen, die durch die 20-jährige Besatzung auf die eine oder andere Weise in Not geraten sind, wird noch als humanitärer Akt gefeiert.

Bei all dem Getöse über unser militärisches "Debakel", den "heldenhaften Einsatz deutscher Soldaten und Soldatinnen" und so fort sollte man aber auch einmal einen Blick auf die Konsequenzen werfen, die bis dato gezogen und teilweise mit erstaunlichem Klartext vorgetragen werden.

"2015 darf sich nicht wiederholen"

Diesem Satz von Armin Laschet (CDU) stimmte nicht nur Alice Weidel (AfD) zu, sondern auch der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobel (CDU), Julia Klöckner (CDU) oder Markus Söder (CSU).

Eine seltsame Forderung angesichts der Schilderungen der Gräuel, die die Taliban angeblich direkt nach ihrer Machtübernahme im Lande veranstalteten! Denn es war ja die Rede von Massenerschießungen und Verhaftungen, Zwangsehen, Vergewaltigungen, Auspeitschungen usw.

Glaubt man diesen Schilderungen, dann müssten alle Afghanen hierzulande ein Recht auf Asyl haben, sind sie doch Opfer eines politischen Terrorregimes, das seinerzeit zudem mit Unterstützung des Westens an die Macht gekommen war und jetzt dank der von Deutschland mitgetragenen, also mitzuverantwortenden Nato-Entscheidung seine Wiederauferstehung feiern durfte.

Bei all den Berichten von Gräueltaten gab es im maßgeblichen deutschen Politikbetrieb jedoch nur ein Bestreben: die Klärung der Frage: Wie hält man sich die eben noch angeführten Opfer vom Leibe? Asylrecht hin, Menschenrecht her!

Einig waren sich alle, dass eine massenhafte Aufnahme von Flüchtlingen nicht infrage komme, allenfalls eine geringe Anzahl als lebender Beweis für die Unmenschlichkeit des Taliban-Systems (und die Humanität der deutschen Seite) aufgenommen werden dürfe. So wusste auch die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, zu vermelden, dass an einer Kontingentierung - sprich Begrenzung - der Aufnahme von Flüchtlingen kein Weg vorbeiführe:

Man dürfe nicht den ‚katastrophalen Fehler‘ wiederholen, zu warten, bis alle 27 EU-Länder bereit sind. Man müsse sich ‚mit den europäischen Ländern, die wollen, und vor allem mit den Amerikanern und Kanadiern zusammenschließen, damit wir klare Kontingentregeln gemeinsam vereinbaren‘, so die Co-Vorsitzende der Grünen.

Deutschlandfunk

Auch über das Wie haben sich die weitsichtigen Politiker Gedanken gemacht. Angesichts eines drohenden Flüchtlingsansturms soll man sogar geächteten Regimen wie dem in Iran wieder positive Seiten abgewinnen.

Mit Diplomatie und viel Geld müssten doch die Länder rings um Afghanistan in der Lage sein, den an die Wand gemalten Flüchtlingsstrom aufzufangen.

Außenminister Heiko Maas (SPD) machte sich gleich auf den Weg, um diese Staaten zu bereisen und sie mit ihrer neuen Statuszuweisung zu beglücken: Dass sie für die durch den Krieg entstandenen Opfer aufzukommen haben, auch wenn sie andere Sorgen und mit der westlichen Einmischung nichts zu tun haben, davon gehen deutsche Politiker wie selbstverständlich aus.

Nicht mehr "von einem einzigen Partner abhängig"

"Es könne nicht sein, dass die Bundeswehr bei Einsätzen von Personal und Kriegsgerät von einem einzigen Partner abhängig ist", das wusste gleich der Außen- und Sicherheitsexperte der CDU-Bundestagsfraktion, Roderich Kiesewetter, zu vermelden (Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), 24.08.2021). Kiesewetter machte damit deutlich, welche Konsequenzen für Deutschland und die Bundeswehr anstehen.

Mehr Aufrüstung auf jeden Fall – und da macht es gar nichts, dass der Wehretat bereits im Haushalt für das nächste Jahr eine Steigerung von fünf Prozent aufweist, von 46,93 Milliarden Euro auf 49,29 Milliarden Euro.

Wenn der Experte der Union betont, dass man von einem Partner unabhängig werden muss, dann meint er nicht nur die Unabhängigkeit von den USA und ihrer alles dominierenden Militärmacht, sondern auch von Frankreich, von dessen Präsenz etwa der Einsatz der Bundeswehr in Mali abhängig ist.

So kann man auch ausdrücken, dass Deutschland zur beherrschenden Militärmacht in Europa werden muss. Ein Bestreben, das sein positives Echo in der Presse findet:

Europa wäre gut beraten, die Afghanistan-Misere als Weckruf zu betrachten. Die USA bleiben zwar als transatlantischer Partner grundsätzlich wichtig. Aber die EU muss stärker werden: als politischer, wirtschaftlicher - und militärischer Akteur. Einsätze wie die Evakuierung von eigenem Personal und von Ortskräften in Afghanistan sollte die Gemeinschaft künftig alleine stemmen können.

Michael Backfisch, WAZ, 24.08.2021

Und mit dieser Meinung steht der Kommentator nicht allein:

Was gerade deshalb Not tut, ist eine Verringerung des in der Nato von Beginn an eingebauten Ungleichgewichts. Die größte Gefahr für die Europäer besteht nicht darin, dass die USA ihnen zu viel abverlangen, sondern irgendwann gar nichts mehr.

Daniel Brössler, Süddeutsche Zeitung (SZ), 27.08.2021

Dass Deutschland und Europa bei den internationalen Auseinandersetzungen und Kriegen keine bedeutende Rolle mehr spielen könnten, ist die größte Befürchtung, die den Kommentator der Süddeutschen umtreibt.

Und so sind sich Journalisten, Experten wie Politiker weitgehend einig, dass mehr Aufrüstung und Kriegsbereitschaft (Politikersprech: "Verantwortungsübernahme") in Deutschland dringend angebracht sind.

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