Nach Söldner-Aufstand: Putin ist angeschlagen, aber nicht angezählt

Wladimir Putin duldete bisher kaum Widerspruch. Dass Prigoschin nun trotz straffrei bleiben soll, schwächt seine Autorität. Bild: Presidential Executive Office of Russia / CC BY 3.0

Jewgeni Prigoschin lebt nun nach Meinung von Experten gefährlich. Russlands Präsident sei geschwächt. Was wird jetzt aus der Wagner-Truppe?

Der Militäraufstand unter Führung des einst dem Kreml nahen Oligarchen Jewgeni Prigoschin ist in Russland weiter Gesprächsthema Nummer eins – und nicht nur das. So ermittelt laut einer Meldung der Moskauer Zeitung Kommersant der Inlandsgeheimdienst FSB noch immer gegen Priogoschin.

Angesichts der Tatsache, dass die Strafverfolgung laut dem Deal zwischen Prigoschin und dem Kreml eingestellt werden müsste, ist das eine Überraschung. Tatsächlich läuft das Verfahren noch weiter. Die zuständige Aufsichtsbehörde teilte der Zeitung mit, die Verfügung zur Einleitung des Verfahrens sei formal noch nicht aufgehoben, die Ermittlungen seien auch noch nicht abgeschlossen.

Zukunft von PMC Wagner ist ungewiss

Um weitere derartige Aufstände zu verhindern, will jetzt der russische Gesetzgeber aktiv werden. Hierfür werde jetzt eine gesetzliche Grundlage geschaffen, erklärte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der russischen Staatsduma, Andrej Kartapolow, erklärte der Zeitung Wedomosti.

Bei der Frage nach der Zukunft der Söldnertruppe Wagner PMC, die der Rebellion ihres Gründers weitgehend folgte, hielt sich Kartapolow bedeckt. Den Kämpfern drohe individuell keine Strafe, sie hätten nur Befehle befolgt.

Man müsse aber entscheiden, inwieweit die Truppe weiter bestehen bleibe und wem sie unterstellt werden solle. Hier stehen auf jeden Fall mit Änderungen bevor. Allgemein ist damit zu rechnen, dass die russischen Freiwilligenverbände nun stärker unter die Kontrolle des Verteidigungsministeriums gestellt werden und an Autonomie einbüßen. Entsprechende Versuche mit Verträgen gab es bereits vor Prigoschins Aufstand, nun sollen auch Gesetze dabei helfen.

Eine generelle Auflösung der Gruppe Wagner schloss Kartapolow jedoch weitgehend aus. Eine Entwaffnung und Zerstreuung wäre angesichts der Kampfkraft der Söldner ein "Geschenk für die Nato und die Ukrainer". Inwieweit sich neue gesetzliche Regelungen gegenüber dem Kern der Wagner-Truppe durchsetzen lassen, ist fraglich, da sich dieser mit Prigoschin in Belarus aufhalten soll.

Warum Lukaschenko den Deal machte

Der belorussische Machthaber Alexander Lukaschenko hatte maßgeblich den Vergleich mit Prigoschin ausgehandelt, der zum Ende der Militärrevolte führte. Er hatte dem Söldnerführer und seinen Leuten den straffreien Abzug angeboten, wenn sie dafür ihren Vormarsch auf Moskau stoppen würden, der ganz Südrussland in Aufruhr versetzt hatte.

Wie es dazu kam, dass das Staatsoberhaupt eines befreundeten Nachbarlandes solche Verhandlungen für die russische Regierung führt, will das exilrussische Onlinemedium Meduza von seinen Quellen aus dem Umfeld der Kreml-Verwaltung erfahren haben.

Zunächst seien Verhandlungen Prigoschins mit untergeordneten Parlamentären der Präsidialverwaltung und Militärführung gescheitert, woraufhin auch alle regionalen Anführer dazu aufgefordert wurden, sich von Prigoschin zu distanzieren.

Hierauf sei ein militärisches Aufhalten der Söldner entlang des Flusses Oka vom Kreml geplant, aber wieder verworfen worden. Prigoschin verlangte daraufhin, mit Spitzenvertretern zu sprechen, Putin sei dazu jedoch nicht selbst bereit gewesen. So sei man auf Lukaschenko gekommen.

Putin wird Prigoschin nicht verzeihen

Die Meduza-Quellen aus dem Kreml-Umfeld sind sich sicher, dass Putin selbst Prigoschin diese Untergrabung seiner Autorität nicht verzeihen wird. Deshalb würden auch im russischen Verteidigungsministerium erst nach Ablauf einer "Anstandsfrist" als Konsequenz aus dem Aufstand Köpfe rollen.

Die Auswechslung des Verteidigungsministers und mehrerer Generäle war ja eine von Prigoschins Forderungen – und man wolle diesem nicht die Genugtuung geben, jetzt von Seiten des Kreml Spitzenfunktionäre abzusetzen.

Weiterhin pflege Putin schon seit langer Zeit die Gewohnheit, seinen politischen Kurs nie unter Druck zu ändern meint dazu der russische Analyst Alexander Baunow vom Carnegie-Zentrum für Russland und Eurasien. Dementsprechend bemühen sich aktuell die Vertreter des Systems darum, möglichst rasch wieder eine oberflächliche Normalität einkehren zu lassen. Das Antiterrorregime in mehreren russischen Regionen wurde wieder aufgehoben.

Baunow rechnet mit einer Schwächung Putins durch Prigoschins Aufstand. "Der Verlust des Gewaltmonopols kann für den ehemaligen Monopolisten nicht folgenlos bleiben. Ein aus weit hergeholten Gründen begonnener Krieg kehrt in der Regel zu seinen Initiatoren zurück" glaubt der Experte.

Die Einschätzung von Baunows Kollegen, dem russischen Journalisten und Kreml-Kenner Andrey Perzew geht in eine ähnliche Richtung. Prigoschin habe ein russisches Tabu gebrochen, wonach es verboten sei, mit Wladimir Putin zu streiten und ihm zu widersprechen.

Zwar habe er ihn als fehlgeleitet von Untergebenen noch teilweise in Schutz genommen, aber insgesamt verliere Putin in Prigoschins Rhetorik an Bedeutung. Der gesamte Aufstand sein, entgegen einer existenten Verschwörungstheorie, kein Projekt des Kreml.

Putin ist kein Gewinner und sieht auch nicht so aus

Der russische Historiker und frühere TV-Journalist Historiker Nikloai Swanidse sieht eine besondere Bedeutung des Aufstands durch den Umstand, dass das System vom Aufstand eines Mannes erschüttert wurde, der selbst ein Produkt des aktuellen Russlands sei.

Dennoch – und obwohl regierungstreue Soldaten beim Versuch, Prigoschin aufzuhalten, starben, sei der Aufstand in einer seltsamen Lösung ohne Putins Beteiligung gestoppt worden. Im Stil der aktuellen Zeit in Russland wäre eigentlich eine Lösung mit einem "Käfig für den Rebellen" angemessen gewesen. Das geschah nicht und Putin "ist in dieser Situation kein Gewinner und sieht auch nicht nach einem aus" glaubt der Historiker.

Er teilt diese Einschätzung mit dem österreichischen Russland-Experten Gerhard Mangott. Dieser meint im Interview mit der Wiener Zeitung Der Standard, Putin sei angeschlagen, aber nicht angezählt. Die Vorgänge vom Wochenende seien eine Demütigung für den Kreml-Herren, "vor allem deshalb, weil er dadurch in Teilen der Bevölkerung den Nimbus des allmächtigen, alles kontrollierenden Führers des Landes verloren hat".

Diese allumfassende Kontrolle war schon immer eine Legende, die auch im Westen verbreitet war. Doch "Russland ist groß, der Zar ist weit" war schon immer ein althergebrachtes Sprichwort, das seine Rechtfertigung nun erneut unter Beweis gestellt hat.