Nach Sperre im Exil: Solidarität mit oppositionellem russischen TV-Sender Doschd

Die Mentalität des Kalten Krieges greift wieder um sich. Für einige Medienschaffende wurde jetzt der Bogen überspannt. Symbolbild: sithuarkaryangon auf Pixabay (Public Domain)

Nach Lettland floh der oppositionell-russische Kanal Doschd vor knapp einem halben Jahr. Dort obsiegte nun ein Generalverdacht. Doch die Sperre der neuen Obrigkeit löst eine Solidaritätswelle aus.

Als Doschd (zu Deutsch "Regen", international auch "TV Rain") 2010 gegründet wurde, hatte der Kreml die TV-Landschaft in Russland schon weitgehend in seiner Hand – alle großen Kanäle waren staatseigen oder auf Linie gebracht.

Auch die kritische Berichterstattung von TV Rain hatte schnell Folgen, eine Verbannung aus dem Kabelangebot, die Brandmarkung als "ausländischer Agent" und nach Einführung der Militärzensur im März 2022 die Abschaltung des Sendebetriebs durch die Generalstaatsanwaltschaft.

Glücklich waren die Macher zunächst, als sie im lettischen Riga ein neues Hauptquartier aufbauen und von dort ab Juni das Programm fortsetzen konnten, das von vielen nicht mit der Kreml-Politik einverstandenen Russen etwa via YouTube weiter verfolgt wird.

Auch westliche Kollegen nutzen Doschd gerne als Quelle oder Kooperationspartner - für Arte produziert man aktuell etwa eine erfolgreiche Videoreihe über die Methoden russischer Staatspropaganda.

Anfang Dezember forderte Moderator Alexei Korostelew Russen auf, dem Kanal News über die Mobilmachung anonym nach Riga zu schicken. In diesem Zusammenhang sprach er einen Satz, dessen Tragweite wohl niemandem in diesem Moment bewusst war: dass man so auch den Mobilisierten helfen könne, etwa "mit Ausrüstung und dem nötigsten an der Front".

Generalverdacht selbst gegen politische Flüchtlinge

Diese eigentlich humanitär gemeinte Erklärung – niemand bei Doschd unterstützt die russische Ukraine-Invasion, die Gegnerschaft führte ja zur russischen Sperre des Senders – wurde von den lettischen Offiziellen zum Anlass genommen, wüste Drohungen auszusprechen.

Etwa die Mitarbeiter zurück nach Russland auszuweisen, wo ihnen die Verhaftung sicher ist. Doschd entließ Korostelew, die Spitze des Senders entschuldigte sich für dessen missverständliche Aussage, doch alles vergebens: Die lettische Regierung entzog dem Sender die Lizenz für eine weitere Ausstrahlung seines Programms. Ein Schritt, dem sich Litauen inzwischen anschloss.

Diese harte Reaktion hat auch zu tun mit einer extrem negativen und misstrauischen Einstellung, mit der im Baltikum oder in Polen viele Russen, sogar politische Flüchtlinge, pauschal bedacht werden – insbesondere seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Bereits zuvor hat es gegen Doschd Verwarnungen und Geldbußen gegeben, die etwa für den Journalisten Maxim Kireev, der im Auftrag von Spiegel und ARD aus Sankt Petersburg berichtet, "mehr nach Schikane" klingen.

So soll Doschd mit der Bezeichnung "unsere Armee" für die Russlands den Eindruck erweckt haben, die russische Armee sei Teil der lettischen Streitkräfte. Es war jedoch offensichtlich, dass mit "unsere" eben die russische Armee gemeint war, die von einem exilrussischen Sender so bezeichnet wurde und über deren Kriegsverbrechen er offen und ehrlich berichtet.

Offene Häme aus dem Kreml

Nicht zuletzt deshalb sorgte das Schicksal von Doschd in Lettland im Kreml für eine gehörige Portion Schadenfreude. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow gab angesichts der Sperre von TV Rain zu Protokoll:

Ständig scheint es jemandem, dass es woanders besser ist als zu Hause und ständig scheint es jemandem, dass es überall Freiheit gibt, nur nicht daheim. Dies hier ist eines der drastischsten Beispiele, die zeigen, dass das eine Illusion ist.


Kreml-Sprecher Dmitri Peskow, zitiert nach Nesawisimaja Gaseta vom 6. Dezember 2022

Um die Freude des Kreml noch ein bisschen deutlicher zu zeigen, scherzte Peskow daraufhin, heute gäbe es keinen Regen, sondern Sonnenschein. Die regierungsnahe Nesawisimaja Gaseta sekundierte ihm, dass offenbar die Einschätzungen des Senders in Moskau und Riga gar nicht so unterschiedlich seien und der exilrussische Sender der russischen Heimat nicht entfremdet genug sei.

Solche Einschätzungen bekommen eine zusätzliche Relevanz dadurch, dass nach der Entscheidung mehrere Journalisten in Sozialen Netzwerken daran erinnerten, dass der verantwortliche Chef der lettischen Medienaufsicht, Ivars Abolins, 2014 den russischen Präsidenten Wladimir Putin und Rede zur Annexion der Krim gelobt und anti-ukrainische Tweets abgesetzt habe.

Große Solidarität von exilrussischen Medien

Währenddessen kochte der Zorn über die lettische Entscheidung hoch – vor allem bei denen, die selbst vom System Putin unter Gefahr einer langjährigen Inhaftierung fliehen mussten. Die ebenfalls in Lettland beheimatete exilrussische Online-Zeitung Meduza initiierte einen Solidaritätsaufruf für Doschd, dem sich inzwischen mehr als 400 Personen und Organisationen anschlossen.

Mit dabei sind alle wichtigen Medien, die Anfang des Jahres aus Russland fliehen mussten und nun versuchen, den Betrieb aus dem Ausland wiederherzustellen, wie die Nowaja Gaseta, Media.zona oder Republic. Meduza, schon vor dem Krieg in Lettland beheimatet, nannte den Lizenzentzug für TV Rain "unfair, falsch und unverhältnismäßig".

Ähnlich äußerten sich der lettische Journalistenverband und die Vereinigung "Reporter ohne Grenzen". Ähnlich äußerte sich auch der Editorial Board Award, der den stark gebeutelten unabhängigen Journalismus in Russland unterstützt.

Die Entscheidung, dem Fernsehsender Doschd die Lizenz zu entziehen, wird der russischen Aggression in der Ukraine erheblich helfen (…) Deren Potential besteht nicht nur aus Militär, Ausrüstung und Munition. Dazu gehören auch Informations- und Propagandatruppen. Diejenigen, die die Lizenz entzogen haben, haben diese gestärkt.


Jury des Editorial Board Awards am 7. Dezember 2022

Unterstützung für TV Rain kam sogar vom wohl prominentesten Häftling Russlands: Alexej Nawalny lobte auf Twitter den Kanal als unabhängigen Sender, der den Krieg kompromisslos verurteile.

Tatsächlich wirft die Sperre von Doschd die Frage auf, was es bedeutet, wenn ein Sender in einem EU-Land bei einem geringfügigen Abweichen von einer "offiziellen Linie" sofort aus dem Äther verbannt wird - obwohl seine Absichten über jeden Zweifel erhaben sind.

Inwieweit ist es dann glaubwürdig, sich im Kampf gegen Russland die "Pressefreiheit" auf die eigenen Fahnen zu schreiben? Zusätzlich stellt sich die Frage, mit welchen Russen man vor Ort eine Gegenöffentlichkeit zum Kreml-Mainstream aufbauen will, wenn man diese nach Kreml-Art mit Strafen und Verboten vor den Kopf stößt.