Nach dem AfD-Parteitag: Wer kann welchen Erfolg verbuchen?

Im Amt bestätigt: die AfD-Chefs Alice Weidel und Tino Chrupalla. Foto: Juergen Nowak / Shutterstock.com

AfD demonstrierte Geschlossenheit, Protestteilnehmer überwanden zunächst Ohnmachtsgefühle. Reicht das für eine Trendumkehr? Ein Kommentar.

Der Kampf um die Deutungshoheit über den AfD-Parteitag am Wochenende in Essen und die Proteste dagegen ist in vollem Gang. Während Polizei und Feuerwehr in Essen bereits betont haben, dass die Proteste verschiedenster Gruppen überwiegend friedlich verlaufen seien, versucht die AfD den Eindruck zahlreicher linksextremer Gewaltexzesse aufrechtzuerhalten.

Hinzu kommt die Streitfrage, inwieweit schon Blockaden ohne Angriffe auf Personen "Gewalt" sind – und inwieweit eine Demokratie Parteien wie die AfD "aushalten" muss.

Zugleich wird im Umfeld der AfD, aber auch unter Konservativen und Neoliberalen viel über die Protestaktionen gespottet, weil die echten Mehrheitsverhältnisse längst ganz andere seien. Tenor: Insgesamt rund 70.000 Menschen auf den Gegendemos und der verzögerte Beginn des Parteitags durch Blockaden bedeuten keineswegs, dass der Rechtstrend gestoppt oder umgedreht wurde. Wer das glaube, sei naiv.

Proteste gegen die AfD und ihre Selbstinszenierung

Die Frage ist aber auch, ob ein Großteil der Protestierenden überhaupt davon ausging, das an einem einzigen Wochenende schaffen zu können; und ob es sonst für ihre Ziele gleich sinnlos oder kontraproduktiv wäre, zwei freie Tage zu opfern.

Der Ex-AfD-Politiker Marcus Pretzell deutete am Wochenende sogar an, dass die AfD aus dem scharfen Gegenwind Kapital schlagen könnte: "Jedes Mal, wenn eine Wahlkampfveranstaltung abgesagt werden musste, haben wir innerlich gegrinst. Jedes Mal bundesweite Presse und nicht nur ein paar hundert Zuhörer. Parteitage sind echt brutal langweilig. Es gibt nur eine unterhaltsame Ausnahme. Das garantiert Rekordquoten für den Livestream", schrieb er auf der Plattform X.

Hier spricht der 2017 ausgetretene Pretzell aber von einer Zeit, in der die AfD insgesamt noch kleinere Brötchen backen und sich als Opfer inszenieren "musste", um aus der Schmuddelecke herauszukommen. Es war eine Zeit, in der bei Protesten gegen ultrarechte Parteien das "Wir sind mehr" zumindest in westdeutschen Großstädten selbstverständlich erschien.

Nach dem Rechtsrutsch bei der Europawahl im Juni 2024 ist es das nicht mehr. Der AfD ist sowieso ständige Aufmerksamkeit garantiert, weil sie laut Umfragen bei den kommenden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen stärkste Kraft zu werden droht und die Regierungsbildung ohne sie knifflig wird.

Motiv: Der AfD nicht wie das Kaninchen der Schlange begegnen

Was der Protest unter diesen Umständen maximal leisten kann, hat der Mitorganisator Alassa Mfouapon deutlich gemacht, ohne die Illusion einer Trendumkehr zu verbreiten: Er spüre jetzt endlich nicht mehr diese Ohnmacht, sagte der Sprecher der Initiative "Widersetzen", der 2014 aus Kamerun geflohen und als Asylbewerber nach Deutschland gekommen war.

Für ihn und andere Beteiligte ging also erst einmal darum, sich durch den Rechtsrutsch nicht einschüchtern zu lassen; und auch auf der Straße klarzustellen, dass sie nicht vor der AfD sitzen wie das Kaninchen vor der Schlange. Auch wenn es überwiegend weiße Menschen mit deutschem Pass oder sicherem Aufenthaltsstatus waren, die den Gesellschaftsentwurf der AfD aus den verschiedensten Gründen ablehnen und von ihr das Schlimmste befürchten.

Die "Protestwähler" der AfD umzustimmen, ist nicht das primäre Ziel von Protesten gegen AfD-Parteitage – das muss, soweit möglich, auf anderen Wegen geschehen. Und vermutlich endet da auch die Gemeinsamkeit mit manchen Bündnispartnern der Anti-AfD-Proteste.

Instabile Konstellation: CDU als Bündnispartner gegen AfD

Denn um den Rechten wirklich den Boden zu entziehen, hält zum Beispiel die Partei Die Linke eine völlig andere Politik für nötig, als sie momentan von der Ampel-Koalition betrieben und erst recht, als sie von den Unionsparteien gefordert wird.

Zwischen dem Aufruf der CDU Essen zum friedlichen Protest und mancher Äußerung des CDU-Chefs Friedrich Merz zu Migrationspolitik liegen jedenfalls Welten.

Nicht überliefert ist, ob auch AfD-Ko-Chefin Alice Weidel innerlich grinste, als sie sich öffentlich über die CDU empörte, die in Essen – neben vielen anderen Gruppen und Organisationen – zum friedlichen Protest gegen den Parteitag aufgerufen hatte. "Während Linksextremisten in Essen Jagd auf AfD-Mitglieder machen und Polizisten ins Krankenhaus prügeln, loben CDU-Ministerpräsident Wüst und CDU-OB Kufen die Proteste als Zeichen gegen Hass und Hetze. Unerträglich", befand Weidel.

Einsatzkräfte bestätigen linke Gewaltorgie nicht

Den Eindruck einer linken Gewaltorgie bestätigten Rettungskräfte allerdings nicht. Gemessen an der Teilnehmerzahl der insgesamt 32 Gegenversammlungen gab es laut Feuerwehrsprecher Christian Schmücker nur wenig zu tun.

"Fünf Verletzte wurden in Kliniken transportiert, darunter drei Polizisten", sagte Schmücker am Sonntag der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung. Das sei "wirklich nichts" angesichts von Zehntausenden Teilnehmern und fast 5.000 Einsatzkräften auf den Straßen der Stadt.

Eine skurrile Anekdote handelt von einem AfD-Politiker, der einen Gegendemonstranten ins Bein biss und sich anschließend auf Notwehr berief. Seine Version wird allerdings durch Videoaufnahmen nicht ganz gedeckt.

Die Fußball-Metaphern der AfD-Chefin auf dem Parteitag

Auf dem Parteitag selbst demonstrierte die AfD Geschlossenheit, was nach dem Debakel um ihren Spitzenkandidaten Maximilian Krah bei der Europawahl nicht selbstverständlich war – dessen Ausschluss von der AfD-Delegation im EU-Parlament umschrieb Parteichefin Alice Weidel versöhnlich mit Fußball-Metaphern: Manchmal sei es nötig, Spieler vom Feld zu nehmen, aber wenn jemand auf der Ersatzbank lande, "dann fliegt er nicht gleich aus dem Kader".

Die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit sah darin die Andeutung einer zweiten Chance für den skandalträchtigen Spitzenkandidaten, der dem Rechtsaußen-Flügel um Björn Höcke zugeordnet wird. Sowohl Weidel als auch Ko-Parteichef Tino Chrupalla wurden auf diesem Parteitag im Amt bestätigt.

Spätzünder: Wie die AfD eine Beziehung beendet

Mit einem weiteren Beschluss hat die AfD gezeigt, dass sie nicht akzeptiert, wenn mit ihr Schluss gemacht wird: Eine Beziehung ist erst beendet, wenn sie Schluss macht – so zumindest im Fall der Rechtsfraktion "Identität und Demokratie" (ID) im EU-Parlament, welche die AfD-Abgeordneten bereits wegen der Skandale und NS-Verharmlosungen von Krah ausgeschlossen hatte. Auf ihrem Parteitag hat die AfD nun den sofortigen Austritt aus der ID-Fraktion beschlossen.

Gut möglich erscheint nun ein Beitritt der AfD zur neuen Rechtsaußen-Fraktion, die Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán angekündigt hat.

Nazi-Konkurrenz: Braucht die AfD für Einigkeit "die Antifa"?

Im Umfeld der neofaschistischen Splitterpartei Die Heimat (ehemals NPD) wird die demonstrative Geschlossenheit der AfD auch als Resultat der massiven Proteste und zeitweiligen Blockaden rund um den Parteitag betrachtet.

So hieß es in einer Online-Diskussion sinngemäß, "die Antifa" habe die eigentlich zerstrittene AfD vorerst wieder zusammengeschweißt – aber auch, dass der "liberalkonserative" Flügel sich durchgesetzt habe und "eine neue Altpartei" geboren worden sei.

Daraus hofft wiederum die Neonazi-Splitterpartei, Kapital schlagen zu können, so bald sich wiederum "Protestwähler" von der AfD abwenden.

So oder so bleibt viel zu tun, wenn tatsächlich eine Trendumkehr erreicht werden soll.