Panzer-Boom: Deutschland auf dem Weg zu neuen Rüstungsprojekten
Milliardenaufträge und technologische Visionen – wie Deutschland und Frankreich die Panzer für die Kriege der Zukunft planen. Teil 1.
Der Haushaltsausschuss des Bundestages steht am morgigen Mittwoch vor der Genehmigung des milliardenschweren Kaufs neuer Leopard-Panzer. Dies ist ein weiteres Zeichen dafür, dass der Panzermarkt aktuell mächtig in Bewegung ist.
Großprojekte wurden für alle erdenklichen Zeithorizonte auf den Weg gebracht: Langfristig soll es das deutsch-französische Kampfpanzersystem ("Main Ground Combat System", MGCS) richten; mittelfristig präsentierten sowohl Rheinmetall als auch Krauss-Maffei Wegmann (KMW) neue Modelle; und kurzfristig steht nun eben der Ankauf von über 100 zusätzlichen Leopard 2 A8 auf dem Programm.
Der Vorgang ist auch deshalb von Bedeutung, weil damit (und mit einer Reihe weiterer anstehender Projekte) die schon lange gängige Praxis, Rüstungsprojekte ohne haushälterische Absicherung zu beschließen und damit ungedeckte Schecks auszustellen, immer weiter auf die Spitze getrieben wird.
Panzer für die Zukunft: das deutsch-französische Projekt MGCS
Die Anfänge gehen schon auf das Jahr 2012 zurück, als erste Überlegungen für eine deutsch-französische Zusammenarbeit bei der Entwicklung einer künftigen Kampfpanzergeneration angestellt wurden.
Richtig Schub bekam das Projekt infolge des deutsch-französischen Ministerrates im Juli 2017, in dessen Abschlusserklärung eine Reihe von Großvorhaben (u.a. das Luftkampfsystem FCAS) angekündigt wurden, darunter auch der besagte Panzer:
Frankreich und Deutschland werden ihre Zusammenarbeit beim Bau eines gemeinsamen Nachfolgers der heutigen Kampfpanzer- und Artilleriesysteme fortführen. Die Zusammenarbeit soll für andere Mitgliedsstaaten geöffnet werden, wenn diese Planungen hinreichend ausgereift sind. Nach erfolgreichem Abschluss der bilateralen Konzeptstudienphase wird bis Mitte 2018 ein Fahrplan für die nächste Phase ausgearbeitet.
Deutsch-Französischer Ministerrat, Abschlusserklärung, Juli 2017
In der Folge nahm das – eine gängige deutsche Übersetzung gibt es nicht wirklich – "Main Ground Combat System" langsam Gestalt an.
Das Projekt setzt dabei ganz auf neue Technologien, wie unter anderem im Magazin des Reservistenverbandes .loyal betont wurde:
Deutschland und Frankreich haben sich daher entschlossen, den Panzer der nächsten Generation gemeinsam zu entwickeln. (…) Dahinter steckt kein einzelnes zu entwickelndes Fahrzeug mehr, sondern – wie die Bezeichnung schon sagt – ein ganzes Verbundsystem, eine Kombination aus heute zum Teil noch futuristisch anmutender Hochtechnologie, Big Data und Waffentechnik. Überlegenheit und Durchsetzungsfähigkeit lauten die Ziele.
.loyal 1.4.2021
Für den Bau war bereits 2015 die heute KMW+Nexter Defense Systems N.V. (KNDS) genannte Holding gegründet worden, an der Krauss-Maffei Wegmann (Deutschland) und Nexter (Frankreich) zu je 50 Prozent beteiligt sind.
Die Entwicklungskosten
Was die Entwicklungskosten anbelangt, gibt es kaum Schätzungen, ab und zu ist von – wahrscheinlich deutlich zu niedrig angesetzten – acht Milliarden Euro zu lesen. Als Umsatzerwartung wird dagegen von diversen Quellen rund 100 Milliarden Euro genannt. Erste Gelder wurden im März 2020 freigegeben, und zwar für eine ursprünglich auf 18 Monate geplante "System-Architektur-Definitionsstudie" (SADS).
Eingestellt wurden 75 Millionen Euro (Frankreich steuerte denselben Betrag bei), mit denen der Auftakt für den Bau eines Prototyps ("Gesamtsystemdemonstrator") gegeben wurde, der ursprünglich 2027 fertiggestellt sein sollte.
Die Gesamtkosten bis zu diesem Zeitpunkt wurden auf 1,5 Milliarden Euro geschätzt, die zur Hälfte auf Deutschland entfallen sollten. Als Auslieferungsdatum wurde ursprünglich Anfang der 2030er-Jahre angepeilt.
Auftritt Rheinmetall: Das Gezerre geht los
Doch schnell geriet das Projekt erheblich ins Stocken, was vor allem daran lag, dass Rheinmetall, der zweite große deutsche Panzerbauer, penetrant versuchte, sich in das Vorhaben hineinzudrücken.
Dies gelang auch 2019, als der Konzern aber als dritter MGCS-Partner hinzukam, ging das Gezerre um den Rüstungskuchen erst richtig los. Seither "ging auf Industrieseite praktisch nichts mehr voran", wie unter anderem die FAZ monierte.
Frankreich pochte auf seinen 50-prozentigen Anteil, während KMW keine große Neigung verspürte, die Führung mit Rheinmetall zu teilen. Zwischenzeitlich war die Lage so verfahren, dass zum Beispiel im Fachmagazin Europäische Sicherheit & Technik Ende 2023 gefordert wurde, das "MGCS in seiner jetzigen Form zu begraben."
Pistorius und Lecornu zerschlagen den gordischen Knoten
Dieser gordische Knoten wurde zumindest vorläufig bei einem Treffen des deutschen Verteidigungsministers Boris Pistorius und seines französischen Amtskollegen Sébastien Lecornu Ende April 2024 zerschlagen.
Dabei wurde ein Kompromiss erzielt, indem einige entscheidende Fragen – insbesondere, ob Rheinmetall oder KNDS France die Hauptwaffe liefert – auf später verschoben wurden. Dies ermöglichte es, bei dem Treffen eine Absichtserklärung ("Memorandum of Understanding") zum gemeinsamen Bau des MGCS zu unterzeichnen und sich auf einzelne Technologiesäulen zu verständigen.
Mit dem Memorandum of Understanding wurde die Verteilung der industriellen Verantwortlichkeiten zwischen Frankreich und Deutschland festgelegt. Vereinbart wurde, dass sich beide Länder als gleichberechtigte Partner an der Rüstungskooperation mit jeweils 50 Prozent an den Kosten beteiligen und die jeweilige nationale Industrie mit entsprechenden Arbeitsanteilen berücksichtigt wird."
bmvg.de, 26.4.2024
Nach der Absichtserklärung folgte im Juni 2024 noch eine Willenserklärung ("Letter of Intent") zur Gründung einer Projektgesellschaft noch in diesem Jahr. Auch wenn Rheinmetall nicht ganz aus dem Projekt gedrängt wurde, sein angestrebtes Ziel, beim MGCS auf Augenhöhe mit Nexter und KMW zu agieren, ist inzwischen in weite Ferne gerückt.
So pochte der Chef von KNDS unlängst mit markigen Worten noch einmal auf die Projekthierarchie:
Auch sonst sind sich Rheinmetall-Chef Armin Papperger und KNDS-Chef Frank Haun nicht grün. (…) Haun betonte, wie wichtig eine klare Führung bei einem Großprojekt wie dem MGCS sei und dass die Verantwortung für das Gesamtsystem in einer Hand liegen müsse - nämlich in seiner.
focus.de, 29.4.2024
Alternativen und Brückenlösungen
So ist es nicht weiter verwunderlich, dass Rheinmetall bereits vor einiger Zeit begann, sich über Alternativen Gedanken zu machen. Attraktiv wurde dies unter anderem auch deshalb, weil durch die Verzögerungen beim MGCS Bedarf für eine Brückenlösung bestehen wird:
Der Zeitrahmen für die Einführung des MGCS verschiebt sich immer weiter nach hinten. Der Beginn der Ausstattung der Truppe wird ab 2045 erwartet. Als Abschluss wird offiziell 2050 angegeben. Das bedeutet eine Nutzungsdauer von 20 bis 30 Jahren für die Systeme, die jetzt im Dienst bzw. in absehbarer Zeit in Dienst gestellt werden.
Europäische Sicherheit & Technik, 18.6.2024
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Brückenpanzer: Panther & Leopard 3
Auf seiner Suche nach Kooperationspartnern für mögliche MGCS-Alternativen könnte Rheinmetall unverhofft beim italienischen Leonardo-Konzern fündig werden. Der wollte nämlich eigentlich groß ins MGCS-Projekt einsteigen, wie noch Ende letzten Jahres berichtet wurde:
In Europa entsteht ein neuer grenzüberschreitender Rüstungsriese mit einem Schwerpunkt im Panzerbau. (…) Italiens größter Rüstungskonzern Leonardo wird sich in einer strategischen Allianz mit KNDS verbünden, teilten die Unternehmen mit.
Es ist der bedeutendste Konsolidierungsschritt in Europas Rüstungsindustrie seit Jahren. (…) Die neue Allianz KNDS-Leonardo ist ein Gegengewicht zum größten deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall und seinen eigenen Panzer-Ideen.
Dazu zählt die Entwicklung des eigenen schweren Kampfpanzers Panther oder zur Rolle von Rheinmetall bei der Entwicklung des von Grabenkämpfen geprägten Zukunftspanzerprojektes MGCS (Main Ground Combat System).
Die Welt, 28.12.2023
Mitte Juni 2024 wurde dann in der Welt über das Scheitern dieser Bemühungen berichtet, was wiederum in die Hände von Rheinmetall spielen könnte, da es nahezu parallel dazu im Manager Magazin hieß, Leonardo strebe nun ein Bündnis mit Rheinmetall an.
Rheinmetall arbeitet schon länger an einem eigenen Panzer, der bei der Eurosatory in Paris im Juni 2022 mit dem bereits erwähnten Panther KF51 in einem Frühstadium präsentiert wurde.
Rheinmetall (konnte, Erg. d. A.) nicht die Rolle innerhalb des MGCS spielen (…), die der Konzern angestrebt hatte – aufgrund des Zusammenschlusses von KMW und Nexter konnte man nicht genügend Einfluss nehmen, laut dem "Stern" wurde man "von den ‚Partnern‘ de facto bei der Führung (…) ausgebootet". Schließlich zog man sich größtenteils aus dem Projekt zurück, nur die Hauptwaffe sollte Rheinmetall noch entwickeln – möglicherweise die Geburtsstunde des Panthers.
IMI-Studie 2022/7
Der Panther könnte entweder als kostengünstigere MGCS-Alternative oder als Brückenpanzer zum MGCS fungieren, in den dabei erarbeitete Technologien mit einfließen könnten.
Zunächst blieb es unklar, ob es der Panther über das 2022 präsentierte Modell hinaus schaffen würde, Ende 2023 machte das Projekt dann allerdings einen großen Schritt nach vorn:
Rheinmetall ist von der ungarischen Regierung beauftragt worden, den Panther KF51 bis zur Serienreife zu entwickeln. Ein entsprechender Vertrag wurde jetzt im ungarischen Zalaegerszeg unterzeichnet.
Der Entwicklungsauftrag hat einen Wert von rund 288 Millionen Euro. Die Arbeiten sehen den Bau und die Qualifikation eines Demonstrators vor, welcher die Serienfertigung vorbereitet.
Rheinmetall-Pressemitteilung, 15.12.2023
Auch seither macht das Programm "Fortschritte", bei der Eurosatory im Juni 2024 wurde nun mit dem KF51 CUT eine Variante mit einem unbemannten Turm präsentiert.
Dennoch steht hinter der Realisierung des Panthers bislang noch ein großes Fragezeichen, außer Ungarn sind bislang noch keine weiteren Interessenten bekannt. Ob das für eine wettbewerbsfähige Serienproduktion genügt, ist durchaus fraglich, zumal KNDS bei der Eurosatory ebenfalls sein Konkurrenzprodukt präsentierte.
Teil 2 beschäftigt sich mit der riskanten Rüstungsstrategie Deutschlands, bei der milliardenschwere Panzerprojekte ohne haushälterische Absicherung vorangetrieben werden.