Nach der "Françafrique" kommt jetzt "Sarkafrique"
Frankreichs neue Afrikapolitik, zwischen Kolonialismus-Apologetik und Partnerschaftsangebot
Frankreich, die frühere Kolonialmacht in weiten Teilen Nord- und Westafrikas, geht auf dem afrikanischen Kontinent wieder in die Offensive. Nicolas Sarkozy auch in Deutschland heiß diskutierte Reise zum libyschen Oberst Kaddafi in Libyen, am Mittwoch und Donnerstag vergangener Woche, fand in den folgenden Tagen noch eine Fortsetzung in anderen Staaten Afrikas. Deren Ergebnisse wurden zunächst, in Frankreich und vor allem im Ausland, gegenüber dem Abstecher in Libyen vergleichsweise wenig beachtet. Inzwischen aber fällt das Augenmerk doch auf die Rede, die der französische Präsident vorige Woche in Senegals Hauptstadt Dakar hielt und die er gern als programmatisches Grundsatzmanifest verstanden hätte. Nicht nur die Berliner taz schlagzeilt an diesem Mittwoch: Sarkozy befremdet Afrika. Auch ein Gro?teil der französischen Presse hält die Übung für missraten.
Reise in die Vergangenheit?
Die Bilder erinnern an uralte Szenen, die sich so oft in der Geschichte wiederholten. Doch gehören sie nicht längst vergangenen Zeiten an, sondern wurden am Freitag vergangener Woche aufgenommen. Da kommt ein französischer Staatspräsident am Flughafen der Hauptstadt einer Ex-Kolonie an.
Zum Empfang nimmt er eine riesige Militärparade noch auf der Startbahn des Flughafens ab, zum Klang des französischen Volkslieds ‚Auprès de ma blonde’ („Bei meiner Blonden“). Danach geht es weiter in die Innenstadt. Rechts und links der Straße, welche die Präsidentenlimousine befährt, hat eine (nicht wirklich spontan zusammengekommene) Menschenmenge Aufstellung bezogen. Sie trägt T-Shirts mit den Konterfeis der beiden Präsidenten, schwingt französische Fahnen, hebt Poster mit einem Slogan über die „unverbrüchliche Freundschaft“ zwischen beiden Ländern in die Höhe. Und singt dabei: „Es lebe das Frankreich Sarkozys, es lebe die französisch-gabunesische Freundschaft!“
Im Anschluss lässt sich der Gastgeber ausgiebig feiern und versichert dem Staatsgast, dass im Lande alles in Ordnung und die gegenseitige Beziehung für die Ewigkeit gebaut sei. Der Gastgeber ist seit mehreren Jahrzehnten an der Macht und bereitet sich darauf vor, faktisch als Präsident auf Lebenszeit im Amt zu bleiben. Aktuell wird der Streit um die Nachfolge des Staatsoberhaupts zwischen seinem Sohn (und amtierenden Verteidigungsminister), seinem Neffen (und General) sowie seinem Schwiegersohn (und Finanzminister) ausgetragen.
In Lateinamerika würde man das Gastgeberland vielleicht als „Bananenrepublik“ bezeichnen. Aber wir sind nicht im südamerikanischen Hinterhof der USA, sondern im Bereich der französisch-afrikanischen Beziehungen. Und das betreffende Land lebt auch nicht vom Export von Bananen oder anderen in Monokultur angepflanzten Tropenfrüchten, sondern sitzt auf einem bedeutenden Vorrat an Erdöl. Daneben weist es noch andere Bodenschätze auf, darunter Mangan- und Eisenerz, und exportiert Tropenhölzer. Früher wurde auch Uranerz abgebaut, aber die Uran-Mine ist seit 1985 erschöpft.
Das Land ist also potenziell reich. Doch, wie die französische Ausgabe von Wikipedia knapp und richtig zusammenfasst, „in Wirklichkeit profitiert die Bevölkerung nur wenig von diesen Reichtümern, so dass der Lebensstandard vieler Einwohner trotz eines relativ hohen Pro-Kopf-Einkommens“, es beträgt rund 3.500 Dollar pro Jahr und Einwohner, „mittelmä?ig bleibt“. Und das ist noch höflich ausgedrückt.
Trotz einer ziemlich kleinen Bevölkerung von rund 1,2 Millionen Menschen (auf einem Staatsgebiet, das ungefähr 70 Prozent der Ausdehnung Deutschlands nach der Wiedervereinigung ausmacht) besteht nach wie vor eine beträchtliche Armut. Die politischen Machthaber könnten sich, aufgrund der Reichtümer ihres Landes, den sozialen Frieden kaufen. Und tun es zum Teil auch, weshalb Gabun unter den Diktaturen des afrikanischen Kontinents noch als relativ gemäßigtes autoritäres Regime durchgehen kann: Massenhaft Oppositionelle zu erschießen, hat Omar Bongo gar nicht nötig. Aber größere Sektoren des Gesundheitssystems und des Schulwesens sind in jämmerlichem Zustand, ebenso wie das Straßennetz teilweise ziemlich schlecht unterhalten ist und selbst in der Hauptstadt oft Löcher in der Asphaltdecke aufweist.
Im „Index für menschliche Entwicklung“ des UN-Entwicklungsprogramms UNPD kommt die Republik auf 124. Stelle von insgesamt 177 Ländern, obwohl sie extrem günstige natürliche Voraussetzungen bei gleichzeitig extrem geringer Bevölkerungszahl und -dichte aufweist.
40 Jahre im Amt
Der Präsident dieses idyllischen Ländchens hei?t Omar Bongo Ondimbo, von Kritikern mitunter spöttisch „Mullah Omar“ genannt (in Anspielung auf den afghanischen halbblinden Taliban-Anführer, der 2001 den vorrückenden US-Truppen auf einem Mofa entflohen sein soll). Omar Bongo kam im Jahr 1967 an die Macht, so dass seine Amtszeit inzwischen die Kleinigkeit von vierzig Jährchen erreicht. Damit ist er selbst auf dem afrikanischen Kontinent, wo Potentaten und Autokraten oftmals an ihren Sesseln festkleben, der dienstälteste Staatschef.
Frankreich verdankt er so einiges. Bevor er an die Macht kam, war Omar Bongo dereinst Offizier und Geheimdienstmitarbeiter in der Armee Frankreichs, von dem das Land 1960 offiziell unabhängig wurde. Und seitdem im Jahr 1957 die Erdölförderung in Gabun, wenige Jahre später auch vor seinen Küsten begonnen hatte, besa? der damalige französische Erdölkonzern ELF Aquitaine (inzwischen mit Total und dem belgischen Unternehmen Fina zu einem Ensemble unter dem Namen Total fusioniert) faktisch mit die stärkste Macht im Staate. Hatte nicht Loïc Le Floch-Prigent, der ehemalige Direktor von ELF Aquitaine - kurz bevor er im Juli 1996 unter dem Verdacht auf Korruption und Unterschlagung von Firmenvermögen in Untersuchungshaft wanderte - eine „Beichte“ niedergeschrieben, ein zehnseitiges Manuskript, worin er eifrig Firmengeheimnisse ausplauderte?
Dieses Manuskript sollte ihm als Faustpfand dafür dienen, dass er nicht alleine in der Haftanstalt schmoren und dort im Stich gelassen werden möge. Als daraufhin nicht viel passierte, obwohl die Existenz dieses Manuskripts ruchbar geworden war, wurde es am 12. Dezember 1996 durch das bürgerliche Wochenmagazin abgedruckt. Die Überschrift "Ma confession" schmückte die Seite Eins der Zeitschrift. Auf dem guten Dutzend Druckseiten konnte man so manche Einblicke in da Treiben von Elf Aquitaine und die Hintergründe seiner parastaatlichen Machtpolitik, meistens mit Rückendeckung des französischen Staates, vor allem in Afrika gewinnen. Und dort stand dann auch schwarz auf weiß, in der historischen Rückschau Le Floch-Prigents: „Elf ernennt Omar Bongo“, oder über den starken Mann des Naxchbarlands Kamerun: „Paul Biya kann nur mit Unterstützung von Elf die Macht übernehmen“. Diese Machenschaften spielten übrigens während des großen Elf-Prozesses, der 2001 begann und Ende 2003 mit der Verurteilung unter anderem von Le Floch-Prigent zu zweieinhalb Jahren Haft endete, keine Rolle. Denn die Debatten während des Prozesses waren von vornherein auf relativ unwichtige Fragen der firmeninternen Korruption eingeschränkt worden.
Mitunter griff Frankreich auch militärisch ein, um den Protégé der Pariser Politik bzw. der Erdölgeschäfte von Elf (später Total) zu schützen, wenn es sein musste. Im Mai 1990 kam es etwa zu heftigen Unruhen in Gabuns Hafenstadt Port Gentil, nachdem dort ein Oppositionspolitiker ermordet worden war. Kurz darauf dehnten sie sich auch auf die Hauptstadt Libreville aus. Daraufhin entsandte Frankreich, das permanent 850 Soldaten in Gabun stationiert hat, Fallschirmjäger – also Elitetruppen – zur Verstärkung in das afrikanische Land. Unter dem Vorwand, es müsse die rund 60.000 in Gabun lebenden französischen Staatsbürger retten, griff es ein und rettete Präsident Omar Bongo möglicherweise den Kopf. Präsident war damals der „Sozialist“ François Mitterrand, Premierminister der Sozialliberale Michel Rocard, und im Verteidigungsressort sa? der Linksnationalist Jean-Pierre Chevènement. Was beweist, dass es über solche Angelegenheiten einen Konsens unter allen staatstragenden Parteien gab oder noch immer gibt.
Inzwischen hat sich das Verhältnis zwischen Frankreich und seinem langjährigen Schützling freilich ein wenig verkompliziert. Denn Omar Bongo kann nicht länger nur als Vasall betrachtet werden. Denn einerseits sitzt er, dank der großzügig geflossenen Korruptionsgelder – etwa von ELF Aquitaine – für sein Regime und dank des staatlichen Anteils an der Ölrente, auf dick gefüllten Kassen. Und diese öffnet er immer wieder auch für französische Wahlkämpfe und politische Parteien der Ex-Kolonialmacht. So finanzierte er lange Zeit den einst durch Jacques Chirac gegründeten RPR (der später in der seit 2002 bestehenden bürgerlich-konservativen Einheitspartei UMP aufging).
Dadurch und weil er als Vermittler bei zahlreichen Waffendeals und „schmutzigen Affären“ - die der französische Staat nicht offen abwickeln konnte - diente, hat Omar Bongo aber auf der anderen Seite ein mächtiges Wissen angehäuft. Und dieses Wissen kann für so manchen französischen Politiker äußerst gefährlich werden, falls er es sich mit dem Präsidenten vom Äquator verscherzt.
Dessen Name fiel in den französischen Medien zum Jahreswechsel 2000/01 im Rahmen der so genannten Falcone-Affäre: Es war ruchbar geworden, dass Frankreich auf diversen Umwegen beide Kriegsparteien im damaligen Bürgerkrieg in Angola, die postsozialistische Regierung unter Eduardo dos Santos und die rechten UNITA-Rebellen unter Jonas Savimibi, gleichzeitig aufgerüstet hat. Gegen das ehemalige Präsidentensöhnchen Jean-Christophe Mitterrand – der zu Zeiten, als Vater François im Amt war, die „Afrikanische Zelle“ im Elysée-Palast, das faktische Steuerungszentrum der Pariser Afrikapolitik, leitete – und den rechten Ex-Innenminister Charles Pasqua wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet (Das Verfahren gegen Pasqua soll seit März dieses Jahres übrigens endlich Fortschritte machen). Der gabunesische Präsident wurde als Mittelsmann bei dem Deal zitiert. Prompt reagierte dieser: Ein Passus seines Buches "Blanc comme nègre" („Weiß wie Neger“, eine ironische Abwandlung des Ausdrucks "blanc comme neige" für „schneeweiß“), das im Februar 2001 bei einem Pariser Verlag erschien, enthält eine drohende Andeutung. Omar Bongo gibt darin zu verstehen, er wisse genug, „um die (französische) Fünfte Republik zehn mal in die Luft gehen zu lassen“.
Die versprochene Umwälzung fällt aus
Nicolas Sarkozy hatte im Vorjahr, anlässlich einer Kurzreise in die westafrikanischen Länder Mali und Bénin, eine "rupture" (einen Bruch), also eine radikale Veränderung in der französischen Afrikapolitik versprochen (Nicolas Sarkozy und der Rechtsruck der französischen Politik). Zumindest verbal. Damals, im Mai 2006, versprach der seinerzeitige französische Innenminister, „ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen Frankreich und Afrika“ aufzuschlagen, und bot eine „neue Partnerschaft“ an. Er werde den allzu bekannten Praktiken der „Françafrique“ – also jenes teilweise staatlichen, teilweise privaten Netzwerks, das auf mafiöse Art und Weise erhebliche Teile der afrikanischen Politik und Ökonomien kontrolliert – ein Ende setzen.
Allerdings stand der Minister zu dem Zeitpunkt in den Ländern, die er besuchte, auch unter hohem Rechtfertigungsdruck aufgrund des soeben von ihm vorgelegten und durch die Abgeordneten verabschiedeten, wesentlich verschärften Einwanderungsgesetzes. In Malis Hauptstadt Bamako fanden beeindruckende Demonstrationen gegen Sarkozys Besuch und seine Politik statt. Insofern war Sarkozy politisch geradezu genötigt, eine positiv klingende Ankündigung zu machen.
Ferner warf die Tatsache, dass auch damals schon Besuchspläne Sarkozys in Gabun bekannt wurden, einen dunklen Schatten über seine wohl klingenden Ankündigungen. Denn während Sarkozy in Mali und Bénin behauptete, er suche diese Länder deshalb auf, weil dort erfolgreiche Demokratisierungsprozesse durchgeführt worden seien – tatsächlich hatten sich die Bevölkerungen aus eigener Kraft von Diktaturen befreit -, widersprach die Absicht eines Staatsbesuchs in Gabun dieser Darstellung. Doch die linksliberale Pariser Tageszeitung ‚Libération’ berichtete am 18. Mai 2006, letzterer Besuch sei deshalb nicht zustande gekommen, weil der „Chirac-Clan“ in der französischen Politik sein Veto dagegen eingelegt habe: Er wollte Sarkozy mutmaßlich nicht an die Geldtruhe heranlassen.
2007 ist es soweit: Nicolas Sarkozy bändelt offen mit dem gabunesischen „Paten“ an. Schon am 14. Januar dieses Jahres nahm Pascaline Bongo, die Tochter des Präsidenten, als offizieller Gast an Sarkozys „Thronkongress“ – wie Kritiker den Nominierungsparteitag der UMP für ihren Spitzenkandidaten spöttisch nennen – in den Pariser Messehallen teil. Dies signalisierte eine klare Annäherung. Kurz vor dem entscheidenden Datum der französischen Präsidentschaftswahl traf dann Sarkozy, aber auch sein bürgerlicher Gegenkandidat François Bayrou jeweils mit dem Herrn Papa zusammen.
Omar Bongo war ferner der erste afrikanische Staatsgast, der sich schon am 25. Mai selbst zu Nicolas Sarkozy in den Elysée-Palast einlud, keine zwei Wochen nach dessen Amtseinführung. Nichts und niemand konnte ihn daran hindern. Die in Paris ansässige panafrikanische Zwei-Wochen-Zeitung Le Gri-Gri international schlagzeilte daraufhin auf ihrer Titelseite: "Françafrique: Sarkoy rompt déjà avec la rupture!" („Sarkozy bricht bereits mit dem Bruch“, d.h. er macht mit der Umwälzung Schluss, noch bevor sie begonnen hat). Und die Zeitung kolportiert in ihrer Ausgabe vom 7. Juni, die Berater Nicolas Sarkozy hätten daraufhin „in höchster Eile“ - um nämlich einen desaströsen politischen Eindruck abzuwenden -, noch einen zweiten Staatsbesuch für denselben Tag arrangiert. Und so wurde, wenige Stunden vor dem Eintreffen Omar Bongos, auch noch die liberianische Präsidentin Ellen Sirleaf-Johnson empfangen, deren demokratisch einwandfreie Wahl im November 2005 (trotz ihrer wirtschaftliberalen Ausrichtung) tatsächlich einen Hoffnungsschimmer für ihr von Bürgerkriegen geschütteltes Land darstellte.
Es habe sich allerdings um einen „nahezu unwürdigen Besuch“, bei dem es erheblich „an Aufmerksamkeit für sie gemangelt“ habe, gehandelt. Die Präsidentin Sirleaf-Johnson habe sich auch nur deshalb für den eilends anberaumten Besuch gewinnen lassen, weil sie ohnehin auf dem Weg zu Tony Blair gewesen sei. Aus Sicht der Pariser Staatsspitze habe er auch lediglich dazu gedient, „die notwendig negativen Eindrücke der Ankunft von Mullah Omar“ zu verwischen, so die französisch-afrikanische Zeitung. Über die eigentlich wichtigen Angelegenheiten wurde dann aber wohl eher mit Omar Bongo verhandelt. Laut der konservativen Tageszeitung ‚Le Figaro’ vom vergangenen Wochenende hat der gabunesische Präsident dem Elysée-Palast zwischenzeitlich sogar noch einen zweiten Besuch abgestattet.
Sarkozy rechtfertigt sich mit der „Rolle des Ältesten“
Am vorigen Freitag nun lief Nicolas Sarkozy in Gabuns Hauptstadt Libreville ein. Diese Etappe seiner Afrikareise scheint zu den unumgänglichen Besuchszielen französischer Staatsoberhäupter zu gehören: Auch Jacques Chirac hatte wenige Wochen nach seiner Amtseinführung, im Juli 1995, die Republik Gabun aufgesucht.
Zumindest der -- Sarkozy spürbar unterstützende -- ‚Figaro’ kolportiert allerdings, dem aktuellen französischen Präsidenten habe der Besuch bei dem alternden Omar Bongo persönlich nur geringes Vergnügen bereitet. Ihr Sondergesandter in Libreville behauptet sogar in den Spalten der konservativen Tageszeitung, Sarkozy habe einen Gesichtsausdruck sichtlichen Missmuts an den Tag gelegt. Diese Ausführungen können freilich, für das französische Publikum gedacht, vorrangig zum Herunterspielen einer höchsten problematischen Beziehung bestimmt sein. Eventuell trifft allerdings auch zu, dass Sarkozy „moderneren“ Staatschefs den Vorzug gibt- die ebenfalls für die Wahrung französischer Interessen sorgen, deren Regimes jedoch größere Transparenz und einen besseren Umgang mit den Staatsfinanzen praktizieren, kurz den Kriterien der "good governance" eher genügen.
Tatsächlich verläuft zwischen den „Alten“ und den „Modernen“ unter den französischen Afrikapolitikern eine Bruchlinie: Erstere stören sich nicht an mafiösen Präsidialregimen, sofern sie nur „berechenbar“ im Sinne der Pariser Interessen sind, während die Letztgenannten hingegen gern auch mal auf die Einhaltung wirtschaftliche Effizienzkriterien (wie sie durch Gläubiger und Kreditgeber angelegt werden) pochen.
Im Laufe seines Besuches annullierte Präsident Sarkozy 50 Millionen Euro von Gabuns Auslandsschulden, das sind 7 Prozent seiner Verbindlichkeiten gegenüber Frankreich. Unter der Auflage, die erlassenen Schulden in eine Unterstützung für Tropenwaldprojekte umzuwandeln, denn Sarkozy zeigte sich während seines Aufenthalts in Gabun darum bemüht, zumindest an der ökologischen Front Profil zu gewinnen. Per Hubschrauber lie? er sich zusammen mit Omar Bongo in den Regenwald transportieren, wo er verkündete: „Der Wald Gabuns kompensiert mehr als 400 Prozent des CO2-Aussto?es Frankreichs.“ Kurz zuvor hatte der Pariser Club – als Zusammenschluss der Gläubigerländer – auf 15 Prozent der Auslandsschulden im Gegenzug zur vorzeitigen Rückzahlung des Rests verzichtet. Die Republik Gabun schuldet westlichen Staaten und Banken nunmehr noch rund zwei Milliarden Euro. Ihr grö?ter Gläubiger, mit einem Anteil von 58 Prozent, ist dabei Frankreich.
Die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde titelte dazu am vorigen Sonntag: „Afrikapolitik: Sarkozy hat Schwierigkeiten, seinen ‚Bruch’ glaubhaft zu machen.“ Ihr Karikaturist zeichnete Sarkozy zusammen mit dem gabunesischen Autokraten, während im Hintergrund der libysche Obest Kaddafi - mit einem Geldsack sowie einem Miniatur-Atomkraftwerk ausgestattet – glücklich lächelt.
Das französische Staatsoberhaupt rechtfertigte sich Ende damit, dass „der Älteste in Afrika respektiert werden muss“. Omar Bongo sei nun einmal das dienstälteste Staatsoberhaupt auf dem Kontinent. Gewissermaßen praktiziere er also nur lokale Werte. Ferner berief er sich darauf, dass „Gabun seit 1967 ein privilegierter Partner Frankreichs“ und „ein historischer Freund und Verbündeter“ sei. Sarkozy weigerte sich auf Nachfragen von Journalisten hin, ein Werturteil über die vierzigjährige Herrschaft von Präsident Omar Bongo abzugeben. Er begnügte sich mit den Worten: „Ich sage nicht, dass dies erträglich ist. Ich sage, dass es (nun mal) eine Realität ist.“
Zuvor hatte er dem gabunesischen Regime zugute gehalten, dass es seit vierzig Jahren keinen Putsch oder Staatsstreich im Land gegeben habe. In einer Ansprache vor den Abgeordneten des Parlaments in Libreville forderte Sarkozy freilich seinen (anwesenden) Amtskollegen dazu auf, die Unabhängigkeit der Justiz und die Einhaltung der individuellen Grundrechte zu gewährleisten.
Besonders viel Gehör dürfte Sarkozy mit diesen Rechtfertigungsversuchen aber, bei den afrikanischen Bevölkerungen wie bei seinen Kritikern in Frankreich, nicht gefunden haben. Zumal bereits seine Rede von Dakar, wo er sich einen Tag früher aufhielt, zu diesem Zeitpunkt ziemlich viel Staub aufgewirbelt hatte.
Die Rede von Dakar
In der senegalesischen Hauptstadt hielt Sarkozy am vorigen Donnerstag eine Rede, die ursprünglich eine „historische“ Ansprache mit programmatischem Manifest-Charakter hätte werden sollen. `
Verfasst hatte sie Nicolas Sarkozys Redenschreiber Henri Guaino, ein traditionell orientierter Gaullist, der sich in seinen Schriften stark auf historische Werte wie den französischen Patriotismus, die Republik und die Nation bezieht. Der damalige Präsidentschaftskandidat Sarkozy hatte den früheren Gegner des Maastrichter Vertrags und EU-Skeptiker Guaino im Dezember 2006 als Redenschreiber einzuspannen begonnen. Doch in seiner Umgebung wurde Guaino, der Sarkozys „modern“-wirtschaftsliberalen Beratern ein Dorn im Auge blieb, lange Zeit abgeblockt. Seit Anfang dieses Jahres wurde Guaino jedoch zum bevorzugten Autor für Nicolas Sarkozys Reden befördert. Denn der 50jährige verstand es am besten, unter Anrufung der Geschichte, historischer Werte und sozialer Ansprüche ein idealistisches Bild von den Vorstellungen und Wünschen, den gesellschaftlichen Leitbildern des Kandidaten Sarkozy zu zeichnen. Deswegen wurde der bisherige Redenschreiber Emmanuelle Mignon, eine wirtschaftsliberale Technokratin, deren Texte als andere als Charme versprühten, herabgestuft und durch Guiano ausgetauscht.
In Le Monde vom 10. Februar dieses Jahres stellte der konservative Senator Gérard Longuet dazu fest: „In der Sache hat Emmanuelle Mignon Recht, die vor allem Steuersenkungen fordert. Aber in der Form hat Guaino Recht. Er ist sehr viel lyrischer, als ein ENA-Absolvent (Anm.: ein Zögling der Verwaltungshochschule ENA, wie Emannuelle Mignon) je wird sein können.“ Das bedeutete so viel wie: Guiano hat in der Sache nichts zu bestellen, aber für die Verpackung ist er gut, dank seiner Lyrik und seines Pathos.
Viel geschichtliches Pathos wollte Henri Guaino also auch in seine Rede von Dakar, die Präsident Nicolas Sarkozy an der Universität Cheikh Anta Diop – benannt nach dem gro?en senegalesischen Anthropologen und Historiker Schwarzafrikas, der 1986 starb – halten würde, hineinlegen. Wahrscheinlich zu viel. Nach Informationen des Canard enchaîné wurde die Rede jedenfalls erst zwei Stunden vor Sarkozys Termin fertig. Alle Journalistinnen und Journalisten, die sie vor dem Vortrag zu lesen bekamen, hätten den Tonfall „paternalistisch“, die Rede zu geschichtslastig und die Stoßrichtung bedenklich gefunden. „Wer die Geschichte nicht kennt, schreibt keine guten Reden“ haben Guiano darauf geantwortet, und dass man von dieser von ihm verfassten Rede – anders als von denen des Ex-Präsidenten Jacques Chirac – „noch in zehn Jahren“ sprechen werde. Was Le Canard enchaîné erheblich anzweifelt.
Aufgrund des Zeitmangels habe Nicolas Sarkozy gerade noch Zeit gehabt, einige oberflächliche Abänderungen an dem Redetext vorzunehmen. Die auffälligste Änderung dabei war, dass Sarkozy das „Du“, in dem er sich an einen fiktiven "Jeune d’Afrique" (Jugendlichen oder jungen Mann aus Afrika) als Repräsentanten seines Kontinents wenden sollte, in der gesprochenen Version den ganzen Redetext entlang durch „Vous“ ersetzte. Also durch das französische Wort, das sowohl zum Siezen als auch für das „Ihr“ des Plural, wenn man sich an mehrere Personen richtet, benutzt wird. Höchstwahrscheinlich wäre der Vorwurf des Paternalismus noch stärker ausgefallen, hätte der französische Präsident sich tatsächlich ständig per Du an die Jugend Afrikas gewandt. Nicht unplausibel auch, dass viele Afrikaner sich an das aggressive Duzen erinnert gefühlt hätten, das die französische Polizei ihnen gegenüber oft systematisch praktiziert...
Der Kolonialismus in der Darstellung Nicolas Sarkozys
Einer der wesentlichen Merkmalszüge der Rede;;http://www.elysee.fr/elysee/elysee.fr/francais/interventions/2007/juillet/allocution_a_l_universite_de_dakar.79184.html, die Sarkozy schließlich hielt), ist die Bewertung des Kolonialismus, die er vor allem im ersten Teil der Ansprache vornimmt.
Diese fällt insofern ambivalent aus, als der französische Präsident einerseits das Kolonialsystem und insbesondere den – ihm im ehemals französisch beherrschten Afrika zeitlich vorausgehenden – Sklavenhandel verurteilt, andererseits aber den Akteuren der Kolonialeroberung (oder zumindest vielen unter ihnen) gutgläubiges Handeln im Namen echter Werte unterstellt. So führte Nicolas Sarkozy am vorigen Donnerstag einerseits aus:
Aber ist wahr, dass die Europäer dereinst als Eroberer nach Afrika kamen. Sie haben die Erde Eurer Vorfahren genommen. Sie haben die Götter, die Sprachen, die Glaubensvorstellungen, die Gebräuche Eurer Väter verbannt. Sie haben zu Euren Vätern gesagt, was sie denken müssen, was sie glauben müssen, was sie machen müssen. Sie haben Eure Väter von ihrer Vergangenheit abgeschnitten, sie haben ihre Seele und ihre Wurzeln ausgerissen. Sie haben Afrika entzaubert. Sie hatten Unrecht.
Eine seltsame Präsentation des Kolonialismus, die sich an einer seiner Wirkung – der Zerstörung alter Glaubensvorstellungen – aufhält, aber nicht zu seinem Kern, der Ausbeutung von Menschen und natürlichen Reichtümern und der Ermordung zahlloser Menschen, vordringt. An dieser Stelle nimmt Nicolas Sarkozy allerdings bereits den anderen Teil der Rede, in dem er das Bild eines ewigen, nach wie vor von Magie geprägten Afrika zeichnet und es für die angeblichen Fortschrittsblockaden des Kontinents verantwortlich erklärt, vorweg.
An einem anderen Punkt seiner Rede kommt Sarkozy jedoch auch auf andere Aspekte der Kolonisierung zu sprechen. So führt er aus:
Der Kolonisateur ist gekommen, er hat genommen, er hat gewütet, er hat ausgebeutet, er hat Ressourcen geplündert, Reichtümer, die ihm nicht gehörten. Er hat den Kolonisierten seiner Persönlichkeit, seiner Freiheit, seiner Erde, der Früchte seiner Arbeit beraubt.
Im darauf folgenden Absatz glaubt Sarkozy dann jedoch hinzufügen zu müssen:
Er hat genommen, aber ich möchte voll Respekt sagen, dass er auch gegeben hat. Er hat Brücken, Stra?en, Krankenhäuser, Gesundheitsstationen, Schulen errichtet. Er hat jungfräuliche Landstriche fruchtbar gemacht, er hat seine Mühe, seine Arbeit, sein Wissen gegeben. Ich möchte es an dieser Stelle sagen, alle ‚colons’ (Kolonisten, Siedler) waren nicht Diebe, alle "colons" waren nicht Ausbeuter. Es gab schlechte Männer unter ihnen, aber es gab auch Männer guten Willens unter ihnen, Männer, die glaubten, eine zivilisatorische Mission zu erfüllen, Männer, die glaubten, das Gute zu tun. (...) Aber die Kolonisierung war ein Fehler, der durch die Verbitterung und das Leiden jener bezahlt wurde, die geglaubt hatten, alles zu geben und die nicht verstanden, warum man ihnen so viel Vorwürfe machte.
Die Mängel Afrikas
Aber zurück zu Sarkozys Ansprache von vergangener Woche in der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Nachdem er in ihrer ersten Hälfte sein doch recht ambivalentes Urteil über die Periode des Kolonialismus gefällt hatte, kam der französische Präsident dann im Anschluss auf die heutige Periode zu sprechen. Und darin sparte er dann - nachdem er scheinbar Selbstkritik aus europäischer Perspektive geübt hatte - nicht mit Kritik, Vorwürfen und vermeintlich guten Ratschlägen an die Adresse der Afrikaner.
Zu den seitdem meistzitierte Sätzen aus jener Rede gehören folgende, die hier zurück in ihren Kontext platziert worden sind:
Ich bin nicht gekommen, Jugend von Afrika, um Ihnen/Euch Morallektionen zu erteilen. Aber ich bin gekommen, um Euch/Ihnen zu sagen, dass der Teil von Europa, der in Euch ist, zwar aus einem gro?en Fehlverhaltens durch Arroganz seitens des Westens heraus entstanden ist – dass aber der Teil von Europa, den Ihr in Euch habt, nicht unwürdig ist. Denn er (dieser europäische Anteil) ist der Ruf der Freiheit, der Emanzipation und der Gerechtigkeit und der Gleichheit zwischen den Frauen und den Männern. Denn er ist der Ruf der Vernunft und des universellen Bewusstseins.
Das Drama Afrikas besteht darin, dass der afrikanische Mensch nicht genügend in die Geschichte eingetreten ist. Der afrikanische Bauer, der seit Jahrtausenden mit den Jahreszeiten lebt, dessen Lebensideal darin besteht, im Einklang mit der Natur zu leben, kennt nur die ewige Wiederkehr der Zeit, deren Rhythmus durch die unendliche Wiederholung derselben Bewegungen und derselben Worte bestimmt wird.
In dieser Vorstellungswelt, wo alles immer wieder von vorne beginnt, ist kein Platz für das menschliche Abenteuer, und kein Platz für die Idee des Fortschritts. (...) Nie wendet sich der Mensch der Zukunft entgegen. Nie kommt ihm die Idee, aus der Wiederholung auszubrechen, um sich ein Schicksal zu erfinden. Das Problem Afrikas, und erlauben Sie/erlaubt es einem Freund Afrikas, dies zu sagen, liegt darin. Die Herausforderung für Afrika liegt darin, mehr in die Geschichte einzutreten. (...) Das Problem für Afrika liegt darin, aufzuhören, immer zu wiederholen, immer wieder alles von Neuem durchzugehen, sich vom Mythos der ewigen Wiederkehr zu befreien. (Es liegt darin,) sich bewusst zu werden, dass das Goldene Zeitalter, dem es (Afrika) nicht aufhört nachzutrauen, nicht wiederkommen wird, und zwar weil es niemals existiert hat. Das Problem Afrikas liegt darin, dass es in der Gegenwart zu sehr in der Nostalgie des verlorenen Paradieses seiner Kindheit liegt.
Das Afrika, das Nicolas Sarkozy hier beschreibt und das seinem Redenschreiber offenkundig vor Augen schwebte, ist zu weiten Teilen allein deren Vorstellungswelt entsprungen. Ein Afrika, das vom „natürlichen“ Rhythmus, von Götterglauben und Magie beherrscht wird und das sich störrisch jedem Fortschrittswunsch verschließt. Ein Afrika, wie es vielleicht in manchen geschlossenen ländlichen Lebensgemeinschaften näherungsweise existiert haben oder existieren mag – das aber mit der Gesellschaft in der pulsierenden Metropole Dakar, wo Nicolas Sarkozy diese seine Ansprache hielt, herzlich wenig zu tun hat.
Dieses reale Afrika, das in den modernen Gro?städten anzutreffen ist, hat vielerorts enorme Probleme: Armut, Hunger, Kriege, Waffenhandel und AIDS. Aber diese Phänomene resultieren nicht aus einem Mythos von der ewigen Wiederkehr des Immergleichen, von der Rückkehr zu einem angeblichen goldenen Zeitalter. Sie erklären sich aus dem Zusammenspiel einer Weltwirtschaftsordnung, die Afrika weitaus mehr schadet denn nutzt, autoritärer und korrupter Regimes, internationaler Finanzinstitutionen und nicht zuletzt auch der Rolle von Großmächten wie beispielsweise Frankreich. Letzteres streitet Nicolas Sarkozy freilich in seiner Rede explizit ab. Denn er führt u.a. auch aus:
Afrika hat seinen Anteil an seinem eigenen Unglück. (...) Die Kolonisierung ist nicht verantwortlich für alle aktuellen Schwierigkeiten Afrikas. Sie ist nicht verantwortlich für die blutigen Kriege, die die Afrikaner untereinander führen. Sie ist nicht verantwortlich für die Genozide. Sie ist nicht verantwortlich für die Diktatoren. Sie ist nicht verantwortlich für den Fanatismus. Sie ist nicht verantwortlich für die Korruption, für den Raub. Sie ist nicht verantwortlich für Vergeudung und Umweltverschmutzung.
Nun lässt sich dagegen einwenden, dass zwar die historische Kolonisierung (jene des 19. Jahrhunderts im Falle Nord- und Westafrikas) als solche tatsächlich nicht unmittelbar und direkt für die Probleme Afrikas ist - dass aber die Fortsetzung der damaligen Dominanz mit anderen Mitteln ihrerseits durchaus ein gerüttelt’ Maß an Verantwortung für die Katastrophen des Kontinents trägt. Selbstverständlich im Zusammenspiel mit lokalen Potentaten und mit den Clans, die in vielen politischen Ländern an der politischen Macht sind und eine hemmungslose Selbstbereicherung betreiben.
Aber wenn man daran denkt, wie etwa ELF Aquitaine nach eigenem Eingeständnis seines früheren Chefs Loïk Le Floch-Prigent die Diktatoren und Präsidenten auswählt oder „platziert“, so lässt sich die suggerierte Schuldlosigkeit des Westens, Europas oder Frankreichs wohl kaum gänzlich aufrecht erhalten. Was aber die Genozide betrifft, so stehen die Dinge noch schlimmer, da der jüngste, von den Historikern anerkannte Völkermord der Geschichte an den Tutsi in Ruanda, vom April bis Juni 1994, unter erheblicher Mitwirkung Frankreichs ablief. Tatsächlich unterstützte Paris damals das Regime der ethno-extremistischen „Hutu Power“-Bewegung, auch nachdem es den Völkermord begonnen hatte, um nicht ein Land seiner Einflusssphäre in Afrika zu verlieren.
Darüber und über die direkte oder (überwiegend) indirekte Beteiligung Frankreichs ist in den letzten Jahren sehr viel geschrieben worden. Zuletzt erschien am 3. Juli 2007 eine volle Doppelseite dazu in der Pariser Abendzeitung Le Monde unter der Überschrift: Ruandischer Genozid: Was der Elysée-Palast wusste. Die derzeitige Regierung in der ruandischen Hauptstadt Kigali, die aus den damaligen bewaffneten Opponenten gegen das „Hutu Power“-Regime hervorging, hat Ende 2005 vor diesem Hintergrund die diplomatischen Beziehungen zu Paris abgebrochen.
Aber das Bild, das Nicolas Sarkozy zeichnen möchte, sieht folgenderma?en aus: In fernerer Vergangenheit, zur Zeit unserer längst verstorbenen Vorväter, mag es Unrecht und Fehlentscheidungen von unserer Seite gegeben haben. Sicherlich, die Situation bleibt ambivalent, und es kann kein eindeutiges geschichtliches Urteil über die damalige Periode gefällt werden. Heute dagegen liegen die Fehler bestimmt nicht bei uns, vielmehr ist es heutzutage klar, dass Afrika an seinen Problemen ganz allein oder überwiegend selbst schuld ist.
Reaktionen
Die Zivilgesellschaft und die nicht regierungsgebundene Presse reagierten zunächst weitgehend konsterniert und negativ auf die Auslassungen Sarkozys in Dakar. In einem Überblicksartikel über die Reaktionen fasste die Pariser Tageszeitung Libération ihren Eindruck zusammen: „Am Tag nach dem Besuch Nicolas Sarkozys im Senegal sind die meisten privaten senegalesischen Tageszeitungen empört über die Rede, die der französische Präsident am Vortag hielt.“ Le Monde hatte unterdessen notiert, Sarkozy habe anlässlich seiner Ansprache „kaum (auch nur) Höflichkeitsapplaus“ erhalten. Nur die Pro-Regierungs-Publikation ‚Le Soleil’ lobte die „republikanische Statur“ des französischen Präsidenten.
Vielleicht die virulenteste unter den senegalesischen Zeitungen war dabei Sud Quotidien, die meinte, der französische Präsident habe sich wohl „in zivilisatorischer Mission“ gefühlt. Ihr Leitartikler Walf Fadrji schrieb dazu, er habe sich bei Nicolas Sarkozys Rede an „jene Missionare erinnert gefühlt, die nach Afrika kamen, um unsere Urgroßeltern zu ‚zivilisieren’. Klischees, Klischees und nochmal Klischees. Welch eine Beleidigung!“ Seine Zeitung spottete unterdessen, nach der früheren "Françafrique" sei jetzt anscheinend die Ära der „Sarkafrique“ angebrochen. Hingegen meinte die Zeitung Le Populaire, Sarkozys Lektion für die Afrikaner laute „zusammengefasst: ‚Hört auf, wehleidig zu jammern!’“
Eine politische Partei im Senegal – die „Sammlung der afrikanischen Arbeiter“ - erinnerte ihrerseits an die massive Präsenz französischer Wirtschaftsinteressen im Land und schrieb: „(Sarkozy) ignoriert oder tut so, als ob er nicht wisse, dass das Elend der Afrikaner, deren Länder von Reichtümern überborden, zum Großteil von der Plünderung dieser Länder durch westliche Mächte wie Frankreich abhängt“. Die Partei erinnert an die Aufkäufe privatisierter Unternehmen, von der Erdnussverarbeitung – dieses Monokulturprodukt war dereinst durch die französische Kolonialmacht im Senegal in großem Maßstab angepflanzt worden und dominiert bis heute die nationale Wirtschaft – bis zum Mobiltelefon, durch französische Konzerne.
Neue französische Offensive in Afrika?
Nicolas Sarkozys Ansprache in Afrika dürfte im Nachhinein nicht unbedingt zu den Sternstunden seiner politischen Karriere gezählt werden. Der erhoffte politische Effekt, der eine neue französische Charmeoffensive auf dem Kontinent unterstreichen sollte, blieb allem Anschein nach weitestgehend aus.
Dennoch scheint Frankreich seine Präsenz in Afrika massiv erweitern zu wollen. Auch wenn Sarkozy in Dakar betonte, der frühere Begriff vom ‚précarré“ (ungefähr: Hinterhof), also die Idee einer von vornherein reservierten Einflusszone, sei „arrogant“ und die US-amerikanische sowie chinesische Konkurrenz schrecke ihn nicht. Dies war wahrscheinlich sogar ernst gemeint und gehört - aus Sicht eines (auch) wirtschaftsliberalen Präsidenten - einfach zu einem Zeitalter dazu, in dem es sich so sehr um politische Grenzziehungen, sondern eher um den Versuch der Durchsetzung ökonomischer Macht geht.
Welche Interessen Paris grundsätzlich in Afrika verfolgt, ist leicht zu überblicken. Die verbliebenen Reste des französischen Großmachtstatus hängen unter anderem an der Bereitschaft afrikanischer Präsidialregime, in der UN-Vollversammlung – wenn nötig – en bloc zusammen mit den offiziellen Vertretern Frankreichs abzustimmen. Der Zugriff auf Rohstoffe ist zumindest in den Erdölstaaten nach wie vor von hoher Bedeutung. Neben den USA, die seit den neunziger Jahren verstärkt auf den afrikanischen Kontinent drängen, ist Frankreich nun auch noch ein neuer mächtiger Konkurrent erwachsen, in Gestalt der VR China. Diese macht einen wachsenden Bedarf an Rohölimporten für ihre expandierende Industrieproduktion geltend. Im Sudan ist Peking bereits sehr präsent, und die dortigen Ausfuhren machen bereits 10 Prozent der chinesischen Importe beim Erdöl aus.
Doch dadurch kommt auch das Spiel durcheinander, das die in Afrika präsenten Großmächte in den letzten zehn Jahren geführt hatten. Mitte der neunziger Jahre war die französische Präsenz zunächst unter Druck der erstarkenden US-amerikanischen Konkurrenz geraten. Aber in der Ära der eher "multilateral" orientierten Clinton-Administration zeichnete sich ein Kompromiss ab. An einer multinational gestalteten Konfliktregelung bzw. Krisenbewältigung, deren Schirmherrschaft teilweise die Afrikanische Union (AU) übernehmen würde, sollten die westlichen Großmächte eher im Hintergrund teilnehmen. Auch in Paris war man ganz froh oder erleichtert darüber, und man sprach von einer "Selbstverwaltung der afrikanischen Krisen": Ohne den eigenen wirtschaftlichen Einfluss aufzugeben, wäre man nicht mehr so direkt verantwortlich für die Stabilität der lokalen Regime. Die Stabilisierung von Staaten, in denen oftmals ein Clan oder eine Ethnie alle Macht usurpiert hat wie im Tschad, erwies sich oft als schwieriges Unterfangen. Zudem lie?en die USA unter dem neuen Präsidenten Bush nach 2000 zunächst Afrika eher links liegen, bevor sie ab 2003 ein Comeback unter ihrer eigenen Flagge im Namen des « Antiterrorkrieges » erfuhren : Es galt nun, ein Einsickern des Netzwerks Al-Qaïda in die Sahelzone zu verhindern, etwa durch Einrichtung von Militärstützpunkten.
Aus diesen Gründen klammert Paris sich an seine herkömmlichen Machtpositionen in Afrika. Dennoch akzeptiert Paris eine gewisse Multilateralisierung der Beziehungen zu Afrika, insbesondere weil es mit der Verwaltung von Krisenfolgen und humanitären Katastrophen künftig „nicht allein gelassen werden“ möchte.
Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich
Im Gegensatz zu den „großen“ Akteuren USA, Frankreich und China hat die Bundesrepublik Deutschland bislang auf dem afrikanischen Kontinent politisch nicht viel zu bestellen. In aller Regel reiht sie sich hinter der französischen oder aber der US-amerikanischen Politik ein, was die Positionierung zu zwischenstaatlichen Fragen oder regionalen Konflikten betrifft.
Ökonomisch hingegen ist Deutschland ein wichtiger Akteur, dessen Wirtschaft übrigens auch davon de facto profitiert, dass der Vorgängerstaat der Bundesrepublik seine damaligen Kolonien im Jahr 1918 unfreiwillig verlor. Das war damals zwar eine Konsequenz aus dem Ausgang des Erstens Weltkriegs, die die damaligen politischen Machthaber im Deutschen Reich als schmählich empfanden und keineswegs hinnehmen mochten. Langfristig kam es der deutschen Politik und Wirtschaft jedoch sogar zugute, da sie in vielen afrikanischen Ländern nicht als mit einer (noch in Erinnerung der heute lebenden Generationen befindlichen) Kolonialvergangenheit „belastet“ gilt. Deutsche Firmen, Techniker und Experten können oftmals Fuß fassen. Als staatlicher und militärisch auftretender Akteur konnte die Bundesrepublik dabei bislang aber keine wichtige Rolle spielen, zumal es auch noch eine geschichtlich begründete Barriere gibt: Es gibt eine französisch- und eine englischsprachige Zone in Afrika, aber keine deutsche Sprachzone.
Im Augenblick sind die deutschen Entscheidungsträger allerdings auf ihre französischen Kollegen richtig sauer. Haben doch die Franzosen aufgrund von Nicolas Sarkozys gewagtem Sprint nach Tripolis einen Nukleardeal mit Libyen abgeschlossen, über den die deutsche Politik ihren Unmut äußerte. Vom SPD-Politiker Gernot Erler bis hin zum Grünen-Bundesvorstandssprecher Reinhard Bütikofer wetterte man gegen die unverantwortliche Weitergabe von Nukleartechnologie – auch wenn der deutsche Siemens-Konzern mit 34 Prozent an der französischen Atomfirma AREVA (früher COGEMA), die das Geschäft in Libyen tätigt. Allerdings wird diese Beteiligung, die dereinst das Ergebnis eines politisches Deals war – 1989 durfte die (west)deutsche Atomindustrie in die COGEMA als Betreiberin der französischen Plutoniumfabrik in La Hague einsteigen, musste aber im Gegenzug die umstrittenen Pläne für eine eigene deutsche Anlage in Wackersdorf (Oberpfalz) ad acta legen – ab dem übernächsten Jahr wieder zur Disposition stehen. Ab 2009 und noch bis 2011 hat der französische Staat nämlich ein Rückkaufsrecht für den von Siemens gehaltenen Anteil an der AREVA. Er kann also während dieses Zeitraums das Recht geltend machen, den Rausschmiss der Münchener Firma zu beschließen.
In Wirklichkeit dreht sich aber im Augenblick die deutsch-französische Rivalität vorrangig um die Frage, wer die erste Geige innerhalb der EU spielen wird. Die deutsche Ratspräsidentschaft der Union, im ersten Halbjahr 2007, und vor ihr die britische im Jahr 2005 hatten bereits intensive diplomatische Anstrengungen hinter den Kulissen um die Freilassung der vom libyschen Staat festgehaltenen Krankenschwestern unternommen. Ein Beleg dafür: Le Monde hat in ihrer Ausgabe von diesem Freitag ein durch die Europäische Union abgesegnetes Schreiben ausgegraben, worin dem libyschen Staat zugesichert wird, die freigelassenen Krankenschwestern dürften Libyen später nicht juristisch wegen Folter oder übler Haftbedingungen verfolgen. Dieser Brief wurde in der ersten Jahreshälfte 2007 durch den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und die EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner unterzeichnet. Die französische Seite war darüber gar nicht auf dem Laufenden, vielmehr glaubte die im Juli nach Tripolis reisende französische Delegation noch, dies sei über die Köpfe der Krankenschwestern und gegen ihren Willen entschieden worden. Sarkozys Emissäre entdeckten dann aber, dass die Gefangenen – entgegen ihrer Erwartung – lautstark ihr Einverständnis für diesen Deal reklamierten, da sie in Wirklichkeit zu dem Zeitpunkt nur eines anstrebten, nämlich aus Libyen raus zu kommen.
Kurz: Die französische Staatsführung hat sich im Falle des Libyendeals in ein längst zuvor von Anderen gemachtes Bett hinein gelegt. Ein frührer sozialistischer Minister, Pierre Moscovici, der im Canard enchaîné zitiert wird, spricht diesbezüglich von einer „Kuckusstrategie“. Wohl in Anspielung auf diesen Vogel, der seine Eier bei anderen Vogelgattungen ins (fremde) Nest legt. Darüber waren, unter anderem, die Deutschen deshalb ungehalten. Auch wenn Außenminister Steinmeier im Interview mit dem Handelsblatt unterstrich: „Wir sind nicht Sarkozys Stilberater.“ Was immerhin die Aussage impliziert, es habe sich dabei seitens von Nicolas Sarkozy um schlechten Stil gehandelt. Die Überschrift, die ursprünglich sehr viel allgemeiner formuliert war ( „Wir sollten uns nicht als Stilberater aufspielen“ lautete sie), ist wenige Stunden später nachträglich verschärft und zugespitzt worden.
Nicolas Sarkozy hat mit dem Libyendeal schlicht die Gelegenheit für sich genutzt, Profil für sich und Verträge für Frankreich herauszuschlagen. Deswegen kam es zum Konflikt mit der deutschen Politik, die sich übervorteilt und übers Ohr gehauen fühlt. Die US-Administration hingegen begrü?te den Deal zwischen Paris und Tripolis ausdrücklich, jedenfalls in der Öffentlichkeit.