Nach der Pandemie ist vor der Pandemie
Seite 2: Gewinn- oder Gemeinwohlorientierung des Gesundheitswesens?
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Klinikkonzerne wie Helios, Sana und Asklepios sind private, teilweise börsennotierte Unternehmen, die sich vorrangig um eine optimale Verwertung des eingesetzten (Aktien-)Kapitals bemühen und maximale Renditen erwirtschaften müssen. Sie wandeln Krankenkassenbeiträge der gesetzlich Versicherten in Dividenden für Aktionäre um, richten ihr Hauptaugenmerk dabei allerdings weder auf das Wohl des medizinischen Personals und der Pflegekräfte noch auf das der von diesen behandelten und betreuten Patient(inn)en.
Häufig als "Heuschrecken" bezeichnete Private-Equity-Fondsgesellschaften wie Nordic Capital, Waterland, Chequers Capital, Oaktree oder die Caryle Group haben sich im Schatten der Coronakrise auf dem Pflegesektor breitgemacht.
Man kann von einer US-Amerikanisierung des Gesundheitswesens sprechen, weil die Bundesrepublik dem Kapital nach der weltweit größten Privatisierungswelle im Krankenhausbereich einen höheren Anteil dieser Institutionen der Daseinsvorsorge als die Vereinigten Staaten überlässt.
Ein teilprivatisiertes, gewinnorientiertes Gesundheitssystem garantiert keine optimale medizinische Behandlung der Kranken und in Krisensituationen wie einer Pandemie auch keine maximale Versorgungssicherheit für die gesamte Bevölkerung.
Selbst in den Krankenhäusern fehlten zu Beginn der Covid-19-Pandemie die nötigen Desinfektionsmittel, Gesichtsmasken und Schutzkleidung. Daher ist eine der wichtigsten Lehren, die aus der Covid-19-Pandemie gezogen werden müssen, die Notwendigkeit eines leistungsfähigen, nicht durch Ökonomisierung, Privatisierung und Kommerzialisierung geschwächten Gesundheitssystems.
Pflegearbeit wurde in der Pandemie zwar ideell (durch ihre Anerkennung als "systemrelevant"), finanziell (durch Zahlung von Boni sowie Bindung der zur Versorgung zugelassenen Pflegeeinrichtungen an Tariflöhne für Pflege- und Betreuungskräfte ab 1. September 2022) und personell (Einführung eines bundeseinheitlichen Personalschlüssels ab 1. Juli 2023) aufgewertet, aber nicht substanziell gestärkt.
Möglicherweise nötigen dadurch künftig zwangsläufig steigende Personalkosten kleine oder mittelständische Pflegeheime aufgrund ihrer Konkurrenzsituation sogar, sich für kapitalstarke Investoren zu öffnen. Jedenfalls wittern diese und große Pflegeheimketten wegen der Reform bessere Chancen, nach dem Krankenhaussektor auch diesen Bereich noch stärker in einen durch Konzernstrukturen geprägten Markt zu verwandeln.
Eine neoliberale Sozial- und Gesundheitspolitik zerstört unser Gemeinwesen und Solidarität nützt der Bevölkerungsmehrheit eher als Wettbewerbswahn und Ellenbogenmentalität. Als wesentlicher Bestandteil der Daseinsvorsorge gehört die Gesundheit der Bevölkerung zurück in die öffentliche Hand. Nötig wären deshalb eine gesundheitspolitische Kehrtwende von der Gewinn- zur Gemeinwohlorientierung und ein Systemwechsel in der Krankenhausfinanzierung.
Man darf das Feld der Gesundheitsversorgung aller Bürger/innen nicht Private-Equity-Fonds, Finanzinvestoren und Kapitalanlegern überlassen. Budgets sowie das von der CDU/CSU/FDP-Koalition unter Helmut Kohl eingeführte und von der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder allgemein verbindlich gemachte Fallpauschalensystem für die Krankenhäuser sind kontraproduktiv im Hinblick auf die Extrembelastung durch eine neuerliche Pandemie.
Außerdem müssen dem Öffentlichen Gesundheitsdienst wieder mehr personelle und materielle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, soll er in der Lage sein, die Herausforderungen einer auch künftig jederzeit möglichen Katastrophe zu meistern.
Prof. Dr. Christoph Butterwegge hat von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt. Heute erscheint sein Buch "Die polarisierende Pandemie. Deutschland nach Corona" bei Beltz Juventa.