Nach der Sturmflut: Wie sicher sind Deutschlands Küsten?

Defizite des Katastrophenschutzes und der Kommunikation wurden durch die Sturmflut offengelegt. Foto: Genet / CC-BY-SA 4.0

Aufräumen und Manöverkritik in Schleswig-Holstein: Dreistelliger Millionenschaden. Was die Katastrophe offenlegt.

An der Ostseeküste hat das Aufräumen begonnen. In der Nacht von Freitag auf Samstag hatte, wie berichtet, eine schwere Sturmflut besonders im Norden Schleswig-Holsteins und im benachbarten Dänemark für die höchsten Wasserstände seit zum Teil über 100 Jahren. Verantwortlich waren über mehrere Tage anhaltende, teils orkanartige Stürme aus Richtung Osten, die das Wasser in die westliche Ostsee drückten.

Ein Wasserstand von 2,27 Meter über Normal Null, wie zum Beispiel in Flensburg Freitagnacht gemessen, mag für Anwohner der Nordseeküste eher harmlos klingen. Doch in der Stadt an der dänischen Grenze war es der höchste Pegelstand seit 1904. An der Ostsee ist derartiges Hochwasser sehr selten und entsprechend ist die Infrastruktur nicht darauf ausgerichtet, sind unter anderem bisher die vielen Sportboothäfen nicht ausreichend geschützt.

Wellenbrecher sind eher eine Seltenheit, lange nicht alle Küstenabschnitte sind durch Deiche gesichert und diese nicht unbedingt für derartige hoher Wasserstände ausgelegt. In Arnis, im Kreis Schleswig-Flensburg, brach zum Beispiel der Deich, obwohl der Ort nicht einmal direkt an der Küste liegt, sondern an der Schlei, einer engen Förde, in die das Wasser von der offenen See gedrückt wurde. Wie der Norddeutsche Rundfunk berichtet, stand dort am Montag noch das Wasser in einigen Straßen. Ein Teil der Häuser sei unbewohnbar geworden.

In vielen Sportbootshäfen wurden Boote wild durcheinander gewirbelt. Manch landeten auf Land, andere wurden so stark beschädigt, dass sie sanken. Hier einige Fotos aus Lindaunis, einem anderen Ort an der Schlei. Nach NDR-Angaben geht der Versicherer Pantaesius davon aus, dass allein in Schleswig-Holstein 100 Jachten und Segelboote Totalschaden erlitten.

Angaben über die Zahl der beschädigten Boote gibt es bisher noch nicht, wie auch sonst erst mit der Schadensbilanz an Deichen, Hafenanlagen, Uferpromenaden und Häusern begonnen wird. Der Sender will allerdings aus dem Kieler Krisenstab erfahren haben, dass man dort mit einer Schadenssumme von mehr als 100 Millionen Euro rechnet.

Die im Kieler Innenministerium für den Küstenschutz zuständige Staatssekretärin Katja Günther zieht ein positives Fazit. Das Land habe zusammengestanden und: "Unsere Landesdeiche haben den enormen Belastungen weitestgehend standgehalten. Das ist eine ermutigende Nachricht. (…) Auch werden wir überprüfen, wie wir unser Küstenmanagement noch weiter verbessern können."

Katastrophenschutz-Defizite "schonungslos offengelegt"

Die Opposition ist allerdings eher der Ansicht, dass von einem guten Küstenmanagement bisher nicht die Rede sein kann. Christian Dirschauer, Landesvorsitzender des Südschleswigschen Wählerverbands (SSW), sieht "schonungslos offengelegt, wie es um den Küsten- und Katastrophenschutz und um die Krisenkommunikation an der Ostküste bestellt ist."

Feuerwehren, freiwillige Helfer und andere hätten großartige Arbeit geleistet, aber vielerorts habe es an Kommunikation und Hilfe seitens der Kommunen gefehlt. Viele hätten es zum Beispiel nicht geschafft, auf ihren Webseiten "aktuelle Lageberichte und Informationen über Straßensperrungen oder zur Beschaffung von Sandsäcken" zu veröffentlichen. "Selbst größere Städte wie Flensburg haben hier kein Glanzbild abgegeben", so Dirschauer.

Der SSW-Bundestagsabgeordnete Stefan Seidler ergänzt: "Die Menschen waren weitgehend auf sich gestellt, weil es bei uns an der Ostsee vielerorts keine präventiven Hochwasserschutzmaßnahmen gibt. Die Leute sind sauer auf die Politik." Seidler mahnt schnelle Hilfen von Bund und Land an. Viele Bürger und Gewerbetreibende würden die Schäden nicht aus eigener Kraft beseitigen können. Der für das Bundesland wichtige Ostsee-Tourismus stehe vor dem Ruin.

Ansonsten müsse mehr für den Küstenschutz getan und die Strukturen verbessert werden. Zum Beispiel könne es nicht sein, dass an der Ostsee der Küstenschutz Sache der Kreise und nicht des ganzen Bundeslandes sei, wie an der Nordsee. Die Ostseeküste müsse besser vor zukünftigen Extremereignissen geschützt werden. Dirschauer: "Wir brauchen Wellenbrecher, Schleusen, Rücklaufbecken, Molen und vernünftige Warnsysteme. All dies wird viel Geld und gemeinsame Koordination erfordern. Dafür müssen wir jetzt die Weichen stellen."

Seidler ergänzt: "Gebrochene Deiche und mangelnde Hochwasserschutzanlagen zeigen, dass neben der Westküste auch die Ostseeküste mehr ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit rücken muss. Der Nachholbedarf beim Küstenschutz ist bundesweit gewaltig, da ist der Bund auch mit Blick auf den Klimawandel gefordert. Küstenschutz ist eine nationale Aufgabe. Für eine besser gebündelte Koordinierung zwischen den zuständigen Ministerien brauchen wir unbedingt einen Bundesbeauftragten für Küstenschutz."

Der SSW vertritt die dänische und friesische Minderheit in Schleswig-Holstein. Bei der letzten Landtagswahl erzielte er mit 5,7 Prozent das beste Ergebnis seiner Geschichte. Aktuelle Umfragen sehen den SSW sogar bei sieben Prozent. Seit der letzten Bundestagswahl ist der SSW zudem erstmals seit den 1950er-Jahren wieder mit einem Abgeordneten im Bundestag vertreten. Der SSW ist als Vertreter einer nationalen Minderheit sowohl bei der Bundestags- als auch bei der Landtagswahl von der Fünf-Prozent-Hürde befreit.