Nach der Wahl: Quo vadis Energiewende?
Die Energie- und Klimawochenschau: Industrie will Energiewende mit Quotenregelung und Moratorium ausbremsen, doch die Bundestagsmehrheit verteidigt den Vorrang der Erneuerbaren, eigentlich…
Die Wahl ist ausgezählt, die Union hat ihre Position ausgebaut, aber die absolute Mehrheit verfehlt, und nun heißt es Koalitionsverhandlungen führen. Was bedeutet das für die Energiewende, die bei der scheidenden Regierung alles andere als in guten Händen war? Folgen aus einer Schwächung der Grünen auch schlechtere Chancen für den Umbau der Stromversorgung?
Ganz so einfach sind die Zusammenhänge wohl nicht. Unter anderem ist da ja noch der Bundesrat, in dem die Position der Union abermals geschwächt wurde. Viele Gesetze benötigen dort eine Zustimmung, und selbst bei den nicht zustimmungspflichtigen kann die Länderkammer noch Einfluss nehmen. Im Bundesrat verfügt die Union derzeit nur über die sechs bayerischen Sitze allein, aber ob die CSU bereit ist, Politik gegen bäuerliche Solaranlagenbesitzer zu betreiben? Daneben gibt es noch ein schwarzgelbe Landesregierung in Sachsen, die vier Stimmen im Bundesrat hat, sowie 18 Stimmen von schwarz-roten oder rot-schwarzen Koalitionen. Macht 28 Sitze, auf die die Union Einfluss hat.
Wer die fünf hessischen Stimmen künftig kontrollieren wird, ist offen, aber die restlichen 36 Stimmen werden von Landesregierungen kontrolliert, in denen meist die SPD den Ton angibt und an denen in unterschiedlichen Konstellationen die Grünen, die Linkspartei und der SSW, die Partei der friesischen und dänischen Minderheiten in Schleswig-Holstein, beteiligt sind. Für gewöhnlich enthalten sich Koalitionsregierungen im Bundesrat, wenn sich die Partner nicht einig sind.
Die SPD könnte den Bundesrat also, wenn sie dafür den Mumm hat, in einer Koalition mit der Union als Druckmittel einsetzen, sofern sie sich in den jeweiligen Sachfragen mit den anderen Parteien verständigen kann. Dafür bräuchte ihr Führungspersonal aber jede Menge Fingerspitzengefühl, Augenmaß und Rückgrat.
EEG-Revision
Einst ist klar. Eines der ersten Projekte der neuen Koalition könnte eine Revision des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sein, wenn denn mit dem künftigen Partner in dieser Frage eine Einigung gelingt. Die neue alte Bundeskanzlerin hatte bereits vor der Wahl deutlich gemacht, dass sie das EEG zügig angehen will, und am entsprechenden Druck mangelt es auch nicht. Kaum waren die Wahllokale geschlossen, meldete sich erneut der EU-Energiekommissar Günter Oettinger, 2010 als Mann der Energiekonzerne von Merkel auf diesen Posten gehoben, mit der Forderung nach einer grundlegenden Änderung des EEG zu Wort.
Wohin die Reise gehen soll, ist klar. Die Monopolkommission, ein Gremium, das sich mehrheitlich aus Unternehmern und wirtschaftsnahen Ökonomen zusammensetzt und die Bundesregierung in Wettbewerbsfragen beraten soll, hatte Anfang September völlig neue Prinzipien im Umgang mit dem Ausbau der erneuerbaren Energieträger gefordert. Einspeisevorrang und garantierte Vergütung solle durch ein Quotenmodell ersetzt werden. Die Menge an sauberem Strom, die von Netzbetreibern abgenommen oder anderweitig in den Markt gebracht wird, würde dann im Vorfeld festgesetzt. Statt wie bisher so viel Strom wie möglich zu produzieren, würde nur noch eine feststehende Abgabemenge erzeugt.
Die Monopolkommission kommt in ihrem Gutachten übrigens auch zu dem Ergebnis, dass 68 Prozent der konventionellen hiesigen deutschen Erzeugungskapazitäten von den vier Großen, nämlich RWE, E.on, Vattenfall und RWE, kontrolliert werden. Eine Marktbeherrschung liege aber "derzeit" nicht vor.
Forderungen des BDI
Ähnliche Vorschläge wie von dem oligopolfreundlichen Beratergremium kommen vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der seine Wunschliste in der Schlussphase des Wahlkampfes präsentierte: Die Einspeisevergütung und -vorrang sollen abgeschafft, und der Strom erneuerbarer Energieträger von den Erzeugern selbst vermarktet werden. Für letzteres wird eine Marktprämie ausgegeben. Erste Ansätze eines solchen Systems wurden übrigens bereits von der abgewählten Koalition geschaffen. Rund 15 Prozent der EEG-Umlage werden derzeit für diese Prämien aufgewendet. Außerdem sollen, ginge es nach dem BDI, Besitzer von neuen Windkraft-, Solar, Biogas- und anderen bisher durch das EEG geförderten Anlangen die Anschlusskosten selbst tragen.
Das europäische Emissionshandelssystem ETS, das Ausgabe, Kontrolle und den Austausch von CO2-Zertifikaten für Kraftwerke und Industrieanlagen regelt, hält der BDI für ein wirksames Instrument der Energie- und Klimaschutzpolitik. Kein Wort hingegen über den durch Überangebot verursachten Preisverfall der Zertifikate in den letzten Jahren und die unter anderem von Deutschland auf Druck der Industrie blockierten Versuche, den Preis durch Verknappung wieder auf ein wirksames Niveau zu drücken. Nach 2020, so die Vorstellung des BDIs, soll der Emissionshandel zum "Leitinstrument der europäischen und deutschen Klimapolitik" werden.
Verräterisch dabei die Leitvorstellung des Industriellenverbandes: "Das bedeutet, dass sowohl die Ziele als auch die Instrumente zum Klimaschutz so zu koordinieren sind, dass die Gesamtkostenbelastung nicht weiter steigt." Klimaschutz und Energiewende also nur dann, wenn es nichts Zusätzliches kostet. Passend dazu wird der BDI-Chef regelrecht rabiat (man beachte den aggressiven Ton):
Wenn die EEG-Reform ausbleibt, fordere ich einen Stopp im Sinne eines konditionierten Moratoriums. Dann wird der BDI dafür kämpfen, die milliardenschwere Förderung der erneuerbaren Energien so lange zu stoppen, bis ein wirklich tragfähiges Gesamtkonzept vorliegt.
BDI-Präsident Ulrich Grillo
Kein Wunder, dass Proteste aus den Umwelt- und Brachenverbänden nicht lange auf sich warten ließen. "Statt Atom, Kohle und Öl zu verteidigen, sollte auch die Industrie mithelfen, die politisch gewollte und von der Bevölkerung unterstützte Energiewende zum Erfolg werden zu lassen", antwortet Sylvia Pilarsky-Grosch vom Bundesverband Windenergie (BWE) auf die BDI-Forderungen. Mit knapp über neun Cent selbst an Standorten im Binnenland sei die Onshore-Windenergie preiswert. Dadurch, dass die Preise für 20 Jahre feststünden, entstehe Planungssicherheit, wobei angesichts der Inflation die Preise sogar im Laufe der Jahre im Vergleich zu anderen Gütern günstiger werden.
Der BDI wolle die Energiewende abwürgen, meinen der World Wide Fund for Nature und die entwicklungspolitische Organisation Germanwatch. Auch wenn man sich durchaus mehr Marktelemente vorstellen könne, so müsse doch auf jeden Fall der Ausbau der Erneuerbaren weitergehen. Die vom BDI vorgeschlagenen Auktions-Modelle würden die Dynamik brechen und für Bürger und Genossenschaften den Einstieg massiv erschweren.
Welche Regierung wird zustande kommen?
Die große Frage wird sein, was Bundestag und Bundesrat aus all dem machen. Dass das EEG mal wieder angepasst werden muss, steht auch bei den Umweltverbänden und den Branchenorganisationen der Erneuerbaren außer Frage. Der BWE spricht sich zum Beispiel für eine Neuregelung aus, die zum ersten Januar 2015 in Kraft treten würde. Statt des enormen Zeitdrucks der vom BDI mit der Forderung nach einem Moratorium aufgebaut wird, wäre dann noch hinreichend Raum für eine breite Debatte.
Allerdings ist klar, dass es um eine einschneidende Richtungsentscheidung geht. Die Positionen zum Beispiel des BWE auf der einen und des BDI auf der anderen sind kaum kompatibel:
Wir brauchen weiter einen verlässlichen gesetzlichen Rahmen, um Investitionen abzusichern. Gerade die Mindestpreisvergütung und der Einspeisevorrang machen den Erfolg der Energiewende in Deutschland aus. Wer es mit der Energiewende ehrlich meint, muss beides erhalten.
Sylvia Pilarsky-Grosch, Präsidentin des Bundesverband Windenergie
Die Union ist einerseits besonders offen für die BDI-Forderungen, wie ihr Wahlprogramm zeigt, in dem ein klares Bekenntnis zu Einspeisevergütung und -vorrang fehlen. Andererseits gibt es aber an der Basis der Union vor allen in ländlichen Regionen viel Unterstützung für die Energiewende. Mancher konservative Kommunalpolitiker weiß die Steuereinnahmen und Arbeitsplätze, die die dezentrale Erzeugung mit sich bringt, sehr zu schätzen.
Derweil sind Teile der SPD zwar mindestens ebenso in die Kohle vernarrt wie BDI und CDU-Wirtschaftsflügel. Ein Blick in die Wahlprogramme von Grünen, SPD und Linkspartei zeigt jedoch, dass es im neuen Bundestag eine Mehrheit zur Verteidigung der Energiewende gibt. Alle drei Parteien links von der Union wollen die Einspeisevergütung erhalten und machen zugleich unterschiedliche Vorschläge, wie die Kosten für Verbraucher und kleine Gewerbetreibende im Rahmen gehalten werden können.
Eine der spannenden Fragen der nächsten Wochen wird sein, wie viel von dieser Programmatik einem Koalitionszwang geopfert wird. Natürlich könnte auch eine Minderheitenregierung gebildet werden, wie es zum Beispiel bei unseren skandinavischen Nachbarn gute Tradition ist. Dann müsste über die jeweiligen Themen tatsächlich im Parlament öffentlich verhandelt werden, statt alles hinter den Türen der Fraktionssitzungen und Koalitionsrunden zu entscheiden und über Fraktionszwang durchzudrücken. Aber so viel Offenheit traut sich hierzulande wohl keine der großen Parteien.