Nach russischen Ärzten wurde bei Nawalny kein Gift nachgewiesen

Nawalny in Tomsk. Bild: Instagramm-Account von Nawalny

Der Oppositionspolitiker sei transportunfähig, wurde aber bereits von deutschen Ärzten untersucht. Noch ist vieles unklar und das Misstrauen groß auf allen Seiten. Update: Nawalny wird nach Berlin gebracht

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Wurde der russische Oppositionspolitiker Alexey Nawalny vergiftet? Bei seiner Rückreise aus Sibirien wurde er im Flugzeug bewusstlos und nach einer Notlandung in das Krankenhaus in Omsk gebracht, wo er weiterhin im Koma liegt. Das Krankenhaus erklärte, Nawalny sei nicht transportfähig. Kreml-Sprecher Peskow erklärte dazu, das sei alleine eine medizinische Entscheidung.

Ein deutsches, angeblich mit Spenden bezahltes Rettungsflugzeug war schon eingetroffen, um ihn zur Behandlung in die Berliner Charité zu bringen. Zunächst hatten die Ärzte eine Vergiftung nicht ausgeschlossen, jetzt hieß es, man habe kein Gift gefunden, Oxybutyrate und Barbiturate seien "mit Sicherheit" nicht nachgewiesen worden, Schlaganfall, Herzinfarkt oder infektiöse Erkrankung hatte man schon zuvor ausgeschlossen. Er sei wegen einer Stoffwechselstörung, die einen starken Abfall des Blutzuckers hervorrief, kollabiert, sagt der Chefarzt Alexander Murakhovsky des Omsker Notfallkrankenhauses.

Es war bei der Untersuchung seiner Kleidung und bei der Säuberung seiner Hände und Fingernägel eine verdächtige Substanz an seiner Kleidung festgestellt worden. Die habe sich aber als die Industriechemikalie Ethylhexyldiphenylphosphat erwiesen, die als Weichmacher Polymeren hinzugefügt werden. Der Fund könne man Berühren eines Plastikbechers herrühren. Das Innenministerium veröffentlichte dazu eine Mitteilung. Der Chefarzt sagte, er weiter im Krankenhaus behandelt, bis sein Zustand stabil sei.

Das Team Nawalnys und seine Angehörigen gehen weiter von einer Vergiftung aus. Seine Frau erklärte, sie traue dem Krankenhaus nicht. Er habe keine Drogen oder Medikamente genommen und auch an Bord weder etwas getrunken noch gegessen. Vor dem Abflug hatte er auf dem Flughafen ein Cafe besucht. Um den Verdacht zu bestärken, berichtete Iwan Schdanow, der Direktor von Nawalnys Stiftung zur Bekämpfung der Korruption, laut der Süddeutschen:

"Wir waren im Zimmer des Chefarztes, als ein Polizist in den Raum kam und sagte: 'diese Substanz haben wir gefunden'." Um welche Substanz es sich handle, hätten die Polizisten nicht verraten, angeblich um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Nur so viel habe man ihnen mitgeteilt, dass es sich um eine lebensgefährliche Substanz handle, sagte Schdanow: "Sie sagten, sie ist nicht nur für Alexej bedrohlich, sondern auch für die Menschen in seiner Nähe. Alle, die mit ihm zu tun haben, müssten Schutzkleidung tragen."

Dabei dürfte es sich um die Substanz handeln, die nach russischen Angaben eine Industriechemikalie ist. Die Situation bleibt verworren. Natürlich wird unterstellt, dass die russische Regierung etwas zu verbergen hat und dass die Ärzte Sprachrohre der Regierung sind. Es ist durchaus denkbar, dass verhindert werden soll, dass wieder ein Oppositioneller getötet oder vergiftet wird - oder dass womöglich Nowitschik gefunden werden könnte. Es müsste dabei keineswegs Moskau seine Finger im Spiel haben, unangenehm könnte Nawalny auch lokalen korrupten Politikern in Sibirien geworden sein.

Nawalny war am 13. August nach Sibirien geflogen, um Vorbereitungen für die Lokalwahlen zu treffen, die im September in Novosibirsk und Tomsk anstehen. Nawalny wirbt für ein "Smart Vote"-System, also für strategisches Wählen. Oppositionsparteien empfehlen, die Stimmen demjenigen Oppositionspolitiker zu geben, der die besten Chancen gegenüber den Kandidaten der Kremlpartei Einiges Russland hat. Neben der Werbung für strategisches Wählen machte Nawalny angeblich auch Filmaufnahmen in beiden Städten und sammelte Material für seine nächste Korruptionsuntersuchung gegen Politiker von Einiges Russland.

Möglicherweise darf Nawalny nun zwar nicht ausgeflogen, aber von deutschen Ärzten besucht werden. Das scheint nach Kira Yarmysh, einer Sprecherin für Nawalny, bereits geschehen zu sein. Deutsche Ärzte, die mit dem Flugzeug heute eingeflogen waren, hätten nach einer Untersuchung erklärt, dass er transportfähig sei. Das Flugzeug sei mit dem Notwendigen ausgestattet. Angeblich durften Mitarbeiter des Teams von Nawalny, aber auch seine Frau nicht mit den Ärzten sprechen. Außenminister Maas hat angekündigt, man sei bereit, den Oppositionspolitiker aufzunehmen. Nawalnys Frau hat sich an Putin gewandt, um ihren Mann nach Deutschland zur Behandlung ausfliegen zu lassen.

Das Misstrauen ist auf allen Seiten groß, politische Interessen sind überall vorhanden. Warum könnte Russland verhindern wollen, dass Nawalny in ein deutsches Krankenhaus kommt? Möglicherweise soll so lange gewartet werden, bis das mögliche Gift nicht mehr nachgewiesen werden kann. Aber Russland könnte auch deswegen zögern, weil befürchtet wird, im Ausland könnte behauptet werden, dass Nawalny Opfer eines Giftanschlags, womöglich mit Nowitschok, gewesen ist. John Helmer brachte diese Möglichkeit ins Spiel. An einer Wiederholung des Skripal-Schlags ist Moskau mit Sicherheit nicht interessiert und könnte daher versuchen, die Entstehung des Verdachts zu verhindern, was aber verdächtig macht. So lange keine Klarheit besteht - und Nawalny nicht schnell von unabhängigen Ärzten untersucht wird -, kann im herrschenden Informationsnebel jeder das sehen, was er sehen will.

Update: Am Abend entschied die Klinik in Omsk, dass Nawalny nun doch so weit stabil sei, um nach Deutschland geflogen und dort behandelt zu werden. Man habe keine Einwände mehr, sagte der stellvertretende ärztliche Leiter, es seien aber medizinische Handlungen und Formalitäten zu erledigen. Es gebe derzeit keine Gefahr für sein Leben.