Nachwuchs für den Dschihad: Droht ein Islamischer Staat 2.0?

Seite 2: Keine Kindeswohlgefährdung?

Eine alternative Lösung konnte die UN-Sonderbeauftragte jedoch nicht vorschlagen. Wäre es denn besser, die Jungen in der Obhut ihrer radikalen Mütter zu lassen, wohl wissend, dass damit der IS 2.0 herangezogen wird? In der deutschen Gesetzgebung gibt es den Paragraphen der Kindeswohlgefährdung. Dies bedeutet, dass Jugendämter auch gegen den Willen der Erziehungsberechtigten die Kinder ihren Eltern entziehen können. Ist es nicht Kindeswohlgefährdung, wenn Kinder zu Killermaschinen erzogen werden?

Sie habe bei ihrem Besuch nur wenige Einblicke in die Lager bekommen, kritisierte die Sonderberichterstatterin. "Wir wissen überhaupt nicht, was in diesen Einrichtungen passiert. Die Aussage, dass hier internationales Recht gebrochen wird, ist wahrscheinlich die größte Untertreibung, die es gibt."

Vermutlich war ihr entgangen, dass es lebensgefährlich ist, bestimmte Areale der Lager zu besuchen, weil die extrem radikalen IS-Frauen und auch ihr Nachwuchs jederzeit eine Delegation angreifen können: "Komplett schwarz verschleierte Frauen huschen wie Schatten zwischen den weißen Zeltplanen umher, Jugendliche schmeißen Steine und machen Kopf-ab-Gesten in Richtung von Besuchern, die sich ihnen aus Sicherheitsgründen nur in gepanzerten Fahrzeugen oder zu Fuß an der Seite schwerbewaffneter Soldaten nähern", berichtete im März dieses Jahres die ARD.

Der Fotograf Caspar Ermert besuchte Anfang 2023 das Al-Hol-Camp und berichtete: "Als ich und meine Kollegin Khabat den Teil der ausländischen IS-Anhänger:innen betraten, beschimpften uns Kinder als "Hunde". Zeitgleich kommen Vertreter:innen der UNHCR aus dem Inneren des Camps zurück, weil sie mit Steinen beworfen wurden und kleine Kinder ihnen drohten…" (Broschüre Ziyaret, S. 35).

Die Selbstverwaltung ist um die Sicherheit ihrer Besucher besorgt und lässt daher Besuche in gefährlichen Arealen nicht zu. In ihrer Verfassung hat sie sich verpflichtet, internationale Konventionen einzuhalten. Es gibt dort auch keine Todesstrafe. Die Vorwürfe werden daher von der Selbstverwaltung (AANES) mit großer Irritation aufgenommen. Man müsse die eigene Bevölkerung vor Terroristen schützen, heißt es.

Außerdem sei in den vergangenen Jahren ja versucht worden, ausländische Verbündete dazu zu bewegen, deren Staatsbürger aus den Gefängnissen in die Heimatländer zurückzuführen, damit ihnen dort ein Prozess gemacht werden könne.Auch bei der Frage, die Strafverfolgung gemeinsam zu organisieren, sei die Selbstverwaltung im Stich gelassen worden.

Es hieß immer, es sei zu kompliziert und zu teuer. Damit entzieht sich die Weltgemeinschaft ihrer Verantwortung, ihre Staatsbürger im eigenen Land einem Gerichtsverfahren zu unterziehen und sich um Resozialisierung ihrer Islamisten zu kümmern.

Auch im ARD-Beitrag wird richtigerweise festgestellt, dass es eine Jahrhundertaufgabe sei, den tausenden "vermeintlichen oder tatsächlichen IS-Terroristen einen fairen Prozess zu machen". Die lokalen Institutionen des "Kurdengebietes", das sich weiterhin in einer Art Dauerkriegszustand mit dem Nachbarn Türkei befinde, könne dies logistisch kaum stemmen.

Bei dem als "Kurdengebiet" bezeichneten Territorium handelt es sich allerdings um ein multiethnisches und multireligiöses Gebiet, in dessen Verwaltung ethnische und religiöse Gruppen prozentual analog zu ihrem Bevölkerungsanteil repräsentiert sind. In den mehrheitlich arabisch bewohnten Regionen ist die Verwaltung also ebenfalls mehrheitlich arabisch, in den mehrheitlich christlich bewohnten Region daher überwiegend christlich.

Keine Würdigung der Gefallenen und Kriegsversehrten

Der Widerstand gegen die Terrormiliz IS kostete die Menschen in Nord- und Ostsyrien mehr als 11.000 Gefallene, etwa doppelt so viele Verletzte beziehungsweise Kriegsversehrte und eine weitgehend zerstörte Infrastruktur. Weltweit hat niemand sonst einen so hohen Preis gezahlt und trägt noch heute eine so hohe Last im Kampf gegen den IS.

Diese Menschen haben auch Westeuropa mit ihrem Kampf vor Ort bisher vor weiteren IS-Anschlägen bewahrt. Im eigenen Interesse sollten wir alles dafür zu tun, dass sich nicht ein IS 2.0 etabliert und die Welt terrorisiert.

Denn der IS ist längst international unterwegs. Die Entwicklungen in Afrika sind bedenklich. Und die Verstrickung der Türkei in Mafia- und IS-Strukturen im Nahen Osten sollten deren Nato-Partner wie auch die EU im Auge behalten. Denn was erhoffen sich wohl deutsche IS-Terroristen wie Martin Lemke alias Al-Amani davon, dass die Türkei, "das Nachbarland am Machen ist"?