Naidoo und Gerüchte über das System
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Xavier Naidoo ist kein "Systemkritiker". Wer das Unverzeihliche an seinen Texten verteidigt, läuft Gefahr, zur Marionette seiner Medienstrategie zu werden
Mit einer geschickten Provokation hat der Troubadour von Mannheim wieder einmal eine Empörungswelle in den Medien losgetreten. Das uhrwerkartig ablaufende Spiel führt zu glänzenden Chartplatzierungen und klingelnden Kassen; außerdem schließt es selbstverständlich ein, dass manche sich schützend vor die hehren Ideale des Künstlers werfen und die schnöde Kritik der Medienmeute abwehren wollen. Für Telepolis hat diese Rolle jüngst Marcus Klöckner übernommen, indem er mit viel rhetorischem Aufwand Naidoo zu einem Opfer stilisiert hat (siehe Medienhetze gegen Systemkritik).
Dem muss widersprochen werden.
"Medienhetze" oder "mediales Standgericht" - das sind einige der Beschreibungen, die Marcus Klöckner für die Pressereaktionen auf Xavier Naidoos jüngste Produkte übrig hat. Es sei einmal dahingestellt, ob es in diesem Fall eine irgendwie geartete Formierung "des" Journalismus gegeben hat; viel wahrscheinlicher ist, dass Medienakteure, wie so oft, zu einem auflagerelevanten Remmidemmi einfach voneinander abgeschrieben haben, weil das - wie damals in der Schule - halt einfach ökonomischer ist.
Für den Moment sei nur festgehalten, dass Marcus Klöckner aus meiner Sicht in seinem Artikel haarscharf an der Unterstellung vorbeischrammt, hinter den Kulissen säßen einige, die auf Knopfdruck die Puppen tanzen lassen, um Naidoo zu schaden - Rudel ohne Anführer und Standgerichte ohne militärische Befehlskette sind nunmal recht selten. Das wäre dann an sich schon sehr naidoonistisch gewesen.
Naidoo - ein "Systemkritiker"?
Klöckner bezeichnet Naidoo als einen Künstler. Das ist sein gutes Recht, obwohl man angesichts der textlichen Qualität des Liedes, um das es hier geht an dieser Aussage zweifeln kann. Ganz sicher irrt sich Klöckner meiner Auffassung nach aber mit der Behauptung, Naidoo sei ein "Systemkritiker".
Wenn das kapitalistische System, also das Verhältnis zwischen den Besitzern von Kapital und Produktionsmitteln auf der einen und den Lohnabhängigen auf der anderen Seite je das Thema von Xavier Naidoos Schaffen war, dann hat er es bisher gut verborgen.
Auch zur Marktwirtschaft als dem Frontend des Kapitalismus, zu der Tatsache, dass dieses Wirtschaftssystem gerne Rassismus und Sexismus umarmt (und bei Bedarf das Gegenteil davon simuliert), zu der Erkenntnis, dass es fortwährend gesellschaftliche Widersprüche erschafft, die es selbst nicht lösen kann, oder gar zu Ideen, wie der ganze Kladderadatsch aufzulösen sei, ist von Naidoo nichts zu hören.
Hat der größte Prophet Mannheims in seinen Prophezeiungen je irgendetwas Substanzielles zu den raffinierten Mechanismen der kapitalistischen Kulturindustrie gesagt? Wo er doch selber so deutlich dazugehört? Nicht in einem seiner Produkte, das ich kenne; ganz gewiss nicht in "Marionetten".
Das "System", das er in diesem Lied "kritisiert", stammt aus einem Baukasten, der folgende Spielsteine enthält: infantile Bösewichter auf dem Niveau von Michael Endes "Momo", rechtsradikale Falschmeldungen aus den USA und astreine Volksverhetzung. Zu diesem Gemisch gibt er als weitere Zutat den Weltschmerz und die Allmachtsphantasien eines religiösen Sechzehnjährigen hinzu, der gerade mit dem Schreiben begonnen hat.
Voilà: Es ergibt sich ein so vage waberndes Gebilde, dass Marcus Klöckner schon selbst in die Tasten greifen muss, um zu erklären, was Naidoo vielleicht *wirklich* gemeint haben könnte. Im Zentrum von Klöckners Apologetik steht die Überzeugung, dass Naidoo in "Marionetten" irgendwie den sexuellen Kindesmissbrauch thematisiert, was man tatsächlich aus ein paar Textbestandteilen herauslesen kann. Gestützt wird diese Auffassung von der Tatsache, dass sich Naidoo schon früher in maximal idiotischer Weise zu diesem Themenkomplex geäußert hat.