Namensstreit um Mazedonien: Ausnahmezustand wegen Großdemonstration in Athen

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Ein Anlass, viele Konflikte und großer politischer Sprengstoff

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Am Wochenende wird Athen erneut einen Ausnahmezustand erleben. Für Sonntag ist ab 14 Uhr eine große Demonstration in Athen angekündigt. Es geht vorgeblich um den Namensstreit mit der nördlichen Nachbarrepublik, deren seit sechsundzwanzig Jahren vorläufiger offizieller Name "Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien" (EJRM) lautet. Mit mehr als 1.500 Bussen, Sonderflugzeugen und mit von der Reederei ANEK gesponserten Tickets für Fähren werden zahlreiche Griechen nach Athen kommen, um zu protestieren.

Die mit vorläufigen Namen ausgestattete Republik wird vom Großteil der Staatengemeinschaft nur kurz "Mazedonien" genannt, nur im offiziellen, staatlichen Gebrauch ist der provisorische Name - auf Englisch "FYROM" - bekannt. Der Namensstreit birgt außer zahlreichen damit zusammenhängenden diplomatischen Verwicklungen jedoch auch weiteren politischen Sprengstoff. Dieser, und nicht die Namensfrage ist Thema des aktuellen Beitrags.

Denn rund um den Anlass des Namensstreits brechen in Griechenland zahlreiche andere Konflikte aus. Die Regierungskoalition selbst droht an ihrer uneinheitlichen Haltung zu zerbrechen. So unterstützen die Unabhängigen Griechen einen ihrer Meinung nach patriotischen Kurs und verweigern der Nachbarrepublik jeden Namen, der als Bestandteil "Mazedonien" hat.

Die Nea Dimokratia und der Namensstreit - ein problematisches Verhältnis

Das Problem ist, dass der Großteil der Politiker der Unabhängigen Griechen aus den Reihen der Nea Dimokratia stammt. Diese hatte unter der Führung von Konstantinos Mitsotakis 1993 die Macht verloren, weil die Partei der Nachbarrepublik den Namen "Mazedonien" zugestehen wollte.

Damals hatte der amtierende Außenminister Antonis Samaras aus Protest gegen Mitsotakis die Partei verlassen und war zeitweise mit seiner eigenen Partei, der "Politiki Anoixi" (politischer Frühling) aktiv.

Später wurde Samaras wieder in die Nea Dimokratia aufgenommen, wurde deren Parteichef und von 2012 bis 2014 Premierminister. Zeitgleich mit Samaras Wiederaufstieg in der Parteihierarchie verabschiedete sich der heutige Parteichef der Unabhängigen Griechen, Panos Kammenos, im Protest von der Nea Dimokratia. Er hatte 1993 bei den damaligen vorgezogenen Neuwahlen noch unter Mitsotakis seinen Parlamentssitz gewonnen. Heute betont Kammenos, dass er niemals dem strittigen Namensbestandteil zustimmen würde.

Kammenos Partei wird an der strittigen Demonstration teilnehmen. Dass damit eigentlich die Regierungskoalition ad Absurdum geführt wird, scheint allen klar zu sein, nur nicht Kammenos. Dieser verkündet einerseits, dass er volles Vertrauen zu Tsipras habe, andererseits jedoch dem strittigen Namen niemals zustimmen würde. Er selbst wird nicht an der Demo teilnehmen, sondern ins Ausland reisen. Allerdings ließ er die Griechen wissen, dass er seine Familie zur Demonstration schicken würde.

Samaras hingegen gelang es im letzten Moment, der lange im Namenstreit unentschlossen agierenden Partei seinen Stempel aufzudrücken. Am Donnerstag speiste er gemeinsam mit Parteichef Kyriakos Mitsotakis und verkündete danach, dass "am Sonntag ein großer Tag für das Land bevorsteht".

Abgleiten nach rechts

Mitsotakis, der auch aufgrund seines im Frühjahr verstorbenen Vaters im Namensstreit nicht viel zu sagen hat, schwieg. Der Parteichef der Nea Dimokratia hatte bislang versucht, in der Handlungsweise der Regierung im Namensstreit Fehler aufzuzeigen. Konkret gegen das Credo seines Vaters argumentieren konnte er nicht.

So überließ er den rechtskonservativen Vertretern seiner Partei, seinem Vizevorsitzenden Adonis Georgiadis und Makis Voridis das Feld. Über den Namensstreit glitt die Nea Dimokratia in den letzten Wochen immer weiter nach rechts ab.

Die Partei als solche hatte 2007 einem Namen mit "geographischem Bestandteil Mazedonien" - damals unter dem Premierminister Kostas Karamanlis - zugestimmt. Weil die Nachbarrepublik jedoch schlicht "Mazedonien" heißen wollte, legte die damalige griechische Regierung für die Aufnahme der EJRM ihr Veto ein. Im Prinzip hat die aktuelle griechische Regierung, respektive die zu Syriza gehörende Fraktion, dort angeknüpft, wo Karamanlis der Jüngere aufgehört hatte.

Karamanlis der Ältere, Konstantinos Karamanlis - auch Ethnarch genannt - hatte bereits in den Fünfzigern Dokumente unterschrieben und Veröffentlichungen im Staatsanzeiger veranlasst, bei denen das damalige Bundesland Jugoslawiens schlicht als "Mazedonien" bezeichnet wurde.

Synaspismos: Kommunistische Reformatoren, einst auf Seiten der Namensgegner!

Die Nea Dimokratia, gegründet von Konstantinos Karamanlis, hat hinsichtlich des Namensstreits selbst mit zahlreichen internen Widersprüchen der eigenen Geschichte zu kämpfen. Dass der Name Karamanlis zudem auf den in der heutigen Türkei befindlichen ehemaligen Siedlungsraum der Karamanlis hinweist, ist dabei nur ein Detail.

Allerdings hat Syriza selbst die gleichen Probleme. Denn 1992, als die damaligen Demonstrationen (Video) wegen des Namensstreits auf einem Höhepunkt waren, wählte die Vorgängerpartei eine andere Seite als heute. Leonidas Kyrkos, die Ikone der reformierten Kommunisten, demonstrierte lautstark zusammen mit rund einer Million Griechen in Thessaloniki gegen eine Benennung des Nachbarstaats als Mazedonien.

Der Hintergrund ist vielfältig. Kyrkos gehörte zu den Kommunisten, die sich von der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) ablösten und mit der Kommunistischen Partei Griechenlands (Inland) eine eigene Strömung begründeten. Aus dieser ging schließlich Syriza hervor.

Eine zwischenzeitliche Wiedervereinigung der KKE und der KKE (Inland) Ende der achtziger Jahre unter dem Dachverband Synaspismos zerbrach und Synaspismos verblieb als Partei ein Sammelbecken für weitere reformistische Strömungen der Linken.

Die Präsenz Kyrkos bei den Demonstrationen geschah nicht nur aus patriotischen Gründen, sondern auch, weil sich die Reformer von der KKE differenzieren wollten. Die Kommunisten der KKE sahen nämlich damals wie heute, das Problem nicht im Namen, sondern im Einfluss von NATO und EU, sowie in strittigen Passagen der Verfassung des Nachbarstaats.

Heute bezeichnen Syriza-Politiker Teilnehmer an den Demonstrationen pauschal öffentlich als "Rechtsradikale", als "ungebildete Mitläufer" oder im privaten Rahmen mit nicht druckreifen Charakterisierungen. Dass einige von ihnen selbst 1992 mit Kyrkos und Griechenlandfahnen in der Hand marschierten, haben sie scheinbar vergessen.

Die Kirche: In Machtspielen der Bischöfe gefangen

Unter den Demonstranten befinden sich nicht nur Christen, sondern auch Anhänger des antiken Glaubens. Es gibt unter Griechenlands Nationalisten einen harten Kern, der das Christentum als Grund allen Übels, welchen den Griechen widerfahren ist, ansieht. Diese Gruppe huldigt lieber Zeus, Poseidon und Aphrodite.

Zudem wird die orthodoxe Kirche, die anders als die Katholiken nicht über einen Papst verfügt, auf geistlicher Ebene vom Ökumenischen Patriarchen zu Konstantinopel geführt. Dieser hat seinen Sitz in der heutigen Türkei, in Istanbul.

Die strittige Region - das geographische Gebiet Mazedonien mit all seinen Teilen, untersteht theoretisch dem Patriarchen. Die orthodoxe Kirche der EJRM will sich jedoch selbst autokephal verwalten, hat diesbezüglich jedoch keine Anerkennung und gilt somit als schismatisch.

Dem Patriarchen unterstehen allerdings auch praktisch die "neuen Länder", sprich die Errungenschaften Griechenlands bei den balkanischen Kriegen des vergangenen Jahrhunderts. Aus praktischen Gründen übernimmt der Erzbischof von Athen und ganz Griechenland die Funktion eines Truchsess, während auf der anderen Seite Kreta, das ebenfalls erst im vergangenen Jahrhundert Griechenland angegliedert wurde, weiterhin vollständig dem Patriarchen untersteht. Seine Heiligkeit Patriarch Bartholomäos ruft im Namensstreit alle Seiten zur Mäßigung und Zurückhaltung auf.

Der Erzbischof Athens Ieronymos verfuhr bis vor wenigen Tagen ähnlich. Auch er ist nominell ein Oberhaupt, das der griechischen Kirche, muss sich jedoch anders als ein Papst, mit seinem Bischofskollegium in der heiligen Synode abstimmen. Und hier sitzen neben liberalen Geistlichen auch Hardcore-Nationalisten wie der Bischof von Piräus Serafeim, der Bischof von Kalavrita Amvrosios und der Bischof von Thessaloniki Anthimos. Alle drei gehören zu denjenigen, die sich in der Vergangenheit wiederholt fremdenfeindliche Äußerungen leisteten und der Goldenen Morgenröte zusprachen.

Es ist anzumerken, dass der Bischof von Thessalonikis nördlicher Nachbarstadt, dem an der Grenze liegenden Bistum Kilkis, nicht an der Demonstration in Thessaloniki teilnahm, während Anthimos aus seinem Segen für die Demo keinen Hehl machte.

Erzbischof Ieronymos, ein auf Ausgleich bedachter Theologe versuchte lange, die Kirche aus dem Disput herauszuhalten und den politischen Streit von Glaubensfragen zu trennen. Er musste in den letzten Tagen kapitulieren. Für die Demonstration in Athen haben die Gläubigen nun den Segen der Kirche.

Die Sozialdemokratie - uneinig!

Nur wenige Wochen nachdem sich mit dem Kinima Allagis, einer Sammlungsbewegung von Pasok, der Demokratischen Linken, der Pasok-Abspaltung von Giorgos Papandreou KiDiSo und To Potami steht die neue sozialdemokratische Bewegung Griechenlands vor einer Zerreißprobe.

In den Neunzigern stand die Pasok in Gegnerschaft mit Mitsotakis als Garant gegen eine Benennung des Nachbarlands mit dem strittigen Namen ein. Heute ist die Lage komplizierter und ähnelt im Großen und Ganzen dem Dilemma der Nea Dimokratia.

Einig in der Ablehnung des Namens ist die Zentristenunion unter Vasilis Leventis, der seinen Parlamentseinzug vor allem den Wählern von Thessaloniki verdankt. Ein Treffen von Premierminister Alexis Tsipras mit allen Vorsitzenden der im Parlament vertretenen politischen Parteien - außer der Golden Morgenröte - am vergangenen Samstag blieb ergebnislos.

Medien: "Demonstriert gegen Tsipras!"

In diesem landesweiten Klima hin zu nationalistischen Tönen hatten die Medien bei der Demonstration in Thessaloniki den Zug der Zeit verpasst. Sie vermuteten hinter den Organisatoren offenbar vornehmlich Anhänger rechtsradikaler Tendenzen. Daher wurde die Demonstration in Thessaloniki am 21. Januar schlicht so lange wie möglich totgeschwiegen (Nieder mit dem Volksverräter - Er hat das M-Wort gesagt!"). Die privaten Rundfunkanstalten erkannten jedoch schnell das Potential der aufgebrachten Menge. Für Sonntag wurden bereits früh am Morgen beginnende Live-Übertragungen angekündigt. Führende regierungskritische, konservative Journalisten und Kommentatoren nutzen ihren Einfluss und ihre Sendezeit um die Demonstration zum Fanal gegen die ungeliebte Regierung zu erklären.

Plötzlich wurden die vor wenigen Wochen verteufelten Organisatoren der Demonstrationen ins Studio eingeladen. Die Berichterstattung über die Demonstration vom 4. Februar nimmt bereits im Vorfeld bei den täglichen Nachrichtensendungen mehr als ein Viertel der Sendezeit in Anspruch.

Zusätzlich aufgeheizt wird das Klima durch verzerrte Berichterstattung über den Lieblingsfeind der privaten Medien, die Anarchisten. Ein Mitglied einer anarchistischen Gruppe, Rouvikonas, hatte in einem Internetpost erklärt, er befürchte, dass am Sonntag, dem Demonstrationstag, Blut fließen könnte.

Damit spielte er zu Recht darauf an, dass in Thessaloniki von rechtsradikalen Demonstranten eine Hausbesetzung abgebrannt wurde, wobei nur durch Zufall keine Menschen zu Schaden kamen. Die Polizei hatte der Brandstiftung tatenlos zugesehen. Die anarchistische Gruppe Rouvikonas will in Athen Flüchtlinge beherbergende Hausbesetzungen schützen.

Seitens der Veranstalter gab es Videos, in denen "Verrätern" Kugeln in Aussicht gestellt wurden. Von erklärten Anhängern wurden in sozialen Netzwerke vielfach Erklärungen abgegeben, dass sie mit Messern und Knüppeln bewaffnet Jagd auf "Anarchisten und Bolschewiken" machen würden.

Die Reaktion der Medien war eindeutig. Sie sahen im Posting von Rouvikonas einen Gewaltaufruf und berichteten intensiv darüber. Der Clou des Ganzen ist, dass die Staatsanwaltschaft umgehend Ermittlungen gegen die Anarchisten einleitete.

Drohbriefe an Minister

Die Einstellung der Strafverfolger änderte sich erst am Freitag. Denn es wurde öffentlich, dass Außenminister Nikos Kotzias einen Drohbrief erhalten hatte, in dem ihm und seiner Familie der baldige Tod angekündigt wurde.

Bis zum Abend traf ein weiterer, handschriftlicher Drohbrief ein. Damit wurden weitere Minister, unter anderem Justizminister Kontonis bedroht. Zudem kündigten die Verfasser an, dass Militärs das Parlament stürmen würden.

Was genau hinter den Drohbriefen steckt, ist zurzeit nicht erkennbar. Die Nachrichten in Athen überschlugen sich am späten Freitagabend. Es habe auch auf der Insel Kalymnos einen verdächtigen Vorfall gegeben, hieß es.

Ein Mann, der sich selbst als rechtsnational und Angestellten des Außenministerium bezeichnet habe, hätte versucht, ein Boot zu finden, um gemeinsam mit Gesinnungsgenossen auf der von der Türkei beanspruchten Felseninsel Imia eine Provokation gegenüber der Türkei zu inszenieren.

Am 31. Januar 1996 verstarben beim Überflug über die von türkischen Kommandos besetzen Insel Imia die griechischen Offiziere Christodoulos Karathanasis, Panagiotis Vlachakos und Ektoras Gialopsos. Ihrer wird alljährlich zum Jahrestag gedacht.

Unter anderen veranstaltet die Goldene Morgenröte aus diesem Anlass zum Gedenktag Fackelzüge. Dieses Jahr jedoch wurde der Fackelzug auf den 3. Februar, den Vorabend vor der großen Demonstration verlegt.

Es gibt bereits angekündigte Gegendemonstrationen und die Botschaft, dass die Demonstration vom 4. Februar von Verbänden pensionierter Militärs geschützt wird. Athen steht ein heißes Wochenende bevor.