Nato-Beitritt von Schweden und Finnland: Ankara bremst wieder
Erdogan versucht maximales Kapital aus der Konfrontation des Westens mit Russland zu schlagen – auf Kosten der kurdischen Bevölkerung.
Der Nato-Beitritt von Finnland und Schweden wird nicht so schnell über die internationale Bühne gehen. Grund sind die Vorbehalte und Forderungen der Türkei gegenüber beiden Ländern. "Finnland und Schweden beherbergen Terroristen" erklärte jüngst Staatsoberhaupt Recep Tayyip Erdogan angriffslustig.
So soll die mögliche Auslieferung von sechs Personen, welche Finnland bereits abgelehnt hatte, nach dem Willen Ankaras noch einmal neu bewertet werden. Das finnische Justizministerium hat dies jedoch am Freitag abgelehnt, da ein entsprechendes Urteil nicht noch einmal angefochten werden kann.
Formaljuristisch korrekt, die Frage ist nur, ob in Ankara in solchen Kategorien gedacht wird. Im August hatte die Türkei zudem einen weiteren Auslieferungsantrag gestellt. Die Türkei ist eines der fünf Länder, die den Beitritt noch nicht ratifiziert haben. Bereits im Mai hatte Erdogan den Prozess der Antragsstellung beider Länder boykottiert.
Vorhaltungen waren primär die Unterstützung von kurdischen Organisationen, die Ankara als "terroristisch" einstuft, durch Stockholm und Helsinki. Vonseiten der EU-Staaten wird allein die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) so angesehen, nicht jedoch kurdische Organisationen in Syrien oder die Gülen-Bewegung.
Um den Beitrittsprozess nicht zu gefährden, gaben Schweden und Finnland in den meisten Punkten auf dem Nato-Gipfel Ende Juni in Madrid nach, so ist auch das Waffenhandels-Embargo gegen die Türkei aufgehoben, eine Unterstützung der "Volksverteidigungseinheiten" (YPG), die in Syrien operieren, sowie der "Demokratischen Kräfte Syriens" (DFS) mittlerweile verboten.
Damals verlangte die Türkei die Auslieferung von 12 Personen in Finnland und von 21 in Schweden. Mittlerweile hat die Türkei eine weitere Auslieferungsliste an Finnland geschickt, über deren Inhalt das Justizministerium in Helsinki keine Auskunft gibt.
Kein generelles Auslieferungsverbot
Grundsätzlich gibt es in beiden skandinavischen Ländern kein generelles Auslieferungsverbot an die Türkei.Schweden hat im August zum ersten Mal seit Jahren einem Auslieferungsgesuch der Türkei nachgegeben, dabei handelte es sich jedoch um einen Betrugsfall; Finnland hat bei zwei Personen die Auslieferung genehmigt, auch hier ging es nicht um Politik, sondern um Sexualdelikte.
Auslieferungsanträge an Personen, welche bereits die Staatsbürgerschaft der jeweiligen Länder haben, lehnen beide Staaten ab. Weniger stur soll es inoffiziell zugehen.
Nach Einschätzungen des finnischen öffentlich-rechtlichen Senders YLE laufen "fieberhafte Verhandlungen" auch "Handel" zwischen Helsinki und Ankara ab, damit der Beitritt Finnlands nicht weiter verzögert wird. Die offiziellen Treffen zeigen jedoch keine Fortschritte.
Sedat Önal, der stellvertretende Außenminister und Erdogan-Vertraute traf kürzlich Unterhändler beider Länder in Finnland. Auch er machte keinerlei Zugeständnisse bezüglich des Antrags, brachte jedoch Fotos von schwedischen Demonstrationen mit, wo die PKK-Flagge zu sehen sei.
Im Vorfeld hatte sich die Türkei beschwert, dass Schweden die Auslieferungsgesuche der Türkei nicht ernst nehme und das Waffenhandels-Embargo nicht umgesetzt werde.
In Schweden wurde am 11. September gewählt, dabei liegt der bürgerlich-rechte Block vorne. Das Thema Ukraine oder Nato kam nicht vor, das Gros der Parteien, bis auf die Linke und einen Teil der Grünen hat sich für den Beitritt entschieden.
Generell hatten die 100 000 Kurden mit schwedischer Staatsbürgerschaft eher auf die Sozialdemokraten, die Grünen oder die Linkspartei gesetzt. Erstere schufen mit Premierminister Olof Palme Ende der 60er Jahre die großzügige Asylpolitik, Schweden war darum lange ein sicherer Hafen jener Volksgruppe, welche auch im Irak, im Iran und Syrien verfolgt wurde.
Allerdings hat die kurdischstämmige Abgeordnete Amineh Kakabaveh dazu aufgerufen, die Sozialdemokraten nicht mehr zu wählen, da die Regierung die ihr zugesagte Unterstützung der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) in Syrien zugunsten des Übereinkommens zurückgenommen hatte.
Die Linkspartei und die Grünen warnten somit vor der Wahl vor Zugeständnissen an die Türkei auf Kosten der Türken.
Schweden war das erste Land nach der Türkei, das die PKK als Reaktion auf Morde gegen "Abtrünnige" auf schwedischem Territorium 1985 als terroristische Vereinigung einstufte. Die linken Kurden wurden von der Polizei des Landes zudem als erste Verdächtige im Mordfall Olof Palme gehandelt. Der schwedische Premier wurde am 28. Februar 1986 in Stockholm erschossen.
Mit einer Regierung unter Ulf Kristersson, dem Chef der bürgerlich-liberalen Moderaten, einer Partei, die weit früher die Nato-Mitgliedschaft befürwortete und dem Einfluss der ausländerfeindlichen Schwedendemokraten, wird auf die Belange der Kurden wohl noch weniger Rücksicht genommen.
Aber auch die Kurden in Finnland sind besorgt, am Freitag demonstrierten sie vor dem Außenministerium in Helsinki mitsamt PKK-Flagge.
Kurden, welche keine Staatsbürgerschaft des skandinavischen Landes besitzen, seien nun in Gefahr.
Gleichzeitig lässt sich feststellen, dass Erdogan letztendlich Putins Seite vertritt – mit dem Argument, der Westen habe "Russland provoziert", rechtfertigt er das russische Abstellen der Gaslieferungen. Mit einem raschen Einlenken in Ankara ist somit kaum zu rechnen.
Aber auch Finnland zeigte Entschlossenheit. Die rasche Ablehnung des erneuten Überprüfens der Auslieferungsanträge durch das Justizministerium bewies, dass Helsinki im Verhandeln um das Einverständnis Ankaras Grenzen setzen kann.