Nato-Beitrittsgesuche: Versauern in Erdogans Wartezimmer
Ankara spricht gegenüber Stockholm und Helsinki derzeit eine klare Sprache: Ihr habt mit euren Beitrittsanträgen zu warten.
Kürzlich erklärte der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu, dass Dokumente aus Schweden im Zusammenhang mit dem Nato-Beitrittsgesuch des skandinavischen Landes "nicht unseren Erwartungen entsprechen".
Somit wird es wohl auf dem Nato-Gipfel in Madrid am 29. und 30. Juni zu keiner offiziellen Akzeptanz der Beitrittsgesuche durch den Nato-Rat kommen, wenn auch die Vertreter Schwedens und Finnlands als Gäste geladen werden sollen.
Das Nato-Mitglied Türkei hat seit dem 18. Mai die Beitrittsanträge der beiden skandinavischen Länder boykottiert. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan lehnt derzeit auch trilaterale Gespräche ab. Erst müssten die Bedingungen erfüllt werden.
Beide Länder sollten Kontakte zu kurdischen Organisationen beenden, einige Personen ausliefern und das Nato-Mitglied Türkei wieder mit Waffen beliefern, so die zentralen Forderungen aus Ankara.
Die Vertreter der Türkei beklagen etwa die Unterstützung von "Terroristen", dazu gehören nach deren Lesart neben der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) auch die in Syrien operierenden Volks- und Frauenverteidigungseinheiten (YPG und YPJ), die im Westen als Gegner des Islamischen Staates geschätzt werden.
Schweden als Land mit seit den Siebziger Jahren großzügig gestalteter Asylpolitik, in deren Zuge auch viele kurdische Aktivisten aufgenommen wurden, muss als Hauptadressat türkischer Vorwürfe herhalten. Die Liste der Forderungen aus Ankara umfasst mittlerweile zehn Punkte.
Man befinde sich in einem "intensiven Dialog" mit der Türkei, versicherte die schwedische Premierministerin Magdalena Andersson auf einer Pressekonferenz mit ihrer finnischen Amtskollegin Sanna Marin Anfang dieser Woche. Doch die Mienen der beiden schienen säuerlich.
Denn bislang hat sich Stockholm vergeblich bemüht. So hat die schwedische Außenministerin Anne Linde vergangene Woche erklärt, dass das Waffenembargo von 2019 aufgehoben werden könne, zudem haben die regierenden Sozialdemokraten verschärfte Terrorismusbekämpfungsgesetze entworfen.
Doch den Auslieferungsbegehren, die sich auch gegen Kurden mit schwedischer Staatsbürgerschaft richten, kann Stockholm nicht nachkommen – auch dies wurde letzte Woche von der schwedischen Regierung kommuniziert.
Diese Schwierigkeit werden sich nicht schnell bereinigen lassen. Zumal Ankaras Blockadehaltung wohl auch mit seiner kommenden Invasion in Nordsyrien in Verbindung steht.
"Basisfinnen" wollen keine "Verknüpfung" mit Schwedens Beitrittsantrag
Die bisher neutralen skandinavischen Länder wollen bislang offiziell gemeinsam das Nato-Beitrittsprozedere durchstehen, dies betonte Finnlands Staatspräsident Sauli Niinistö nochmals Anfang dieser Woche. "Hand in Hand" heißt das Motto.
Mittlerweile regt sich in Finnlands Parteienlandschaft die Ungeduld, so etwa bei der zweitgrößten Parlamentsfraktion: Die "Basisfinnen" wollen die Nato-Mitgliedschaft nicht mit Schweden "verknüpft" sehen. Der Parteivorsitzende der rechten Partei, Jussi Halla-aho, verwies darauf, dass "die geopolitische und strategische Situation beider Länder sehr unterschiedlich ist".
Eine Anspielung auf die über 1300 Kilometer lange Grenze mit Russland – in Schweden gilt vor allem die strategisch wichtige Insel Gotland als gefährdet. Die "Basisfinnen" machen sich generell für eine Emanzipation vom schwedischen Einfluss stark, dies betrifft auch Schwedisch als Amtssprache in Finnland.
Halla-aho wirkt derzeit als Vorsitzender des Außenpolitischen Parlamentsausschuss, wie Elina Valtonen – und auch die stellvertretende Vorsitzende der ehemaligen konservativen Regierungspartei "Nationale Sammlung" will einen finnischen Alleingang nicht mehr ausschließen.
Ihre Partei, der auch Niinistö angehört, war bis Anfang des Jahres lange die einzige gewesen, die geschlossen für einen Nato-Beitritt geworben hatte. Kimmo Kijunen, der Außenpolitik-Experte der finnischen Sozialdemokraten argumentiert hingegen, dass Finnlands Mitgliedschaft ohne Schweden das Land in die Situation eines Randstaats bringen würde.
Wichtige Stimme mit kurdischem Hintergrund in Schwedens Parlament
Als problematisch für eine schwedische Einigung mit der Türkei gilt auch die kurdischstämmige unabhängige Abgeordnete Amineh Kakabaveh im schwedischen "Reichstag". Denn ihre Stimme ist entscheidend für die Mehrheit der sozialdemokratischen Minderheitsregierung, welche noch von der Tolerierung von drei Parteien abhängig ist.
Die Kurdin, die als Jugendliche in den Bergen des Iran als Widerstandskämpferin ausgebildet wurde, konnte Anfang Juni die Regierung unter Druck setzen, als deren Justizminister Morgan Johansson durch ein Misstrauensantrag der Opposition gefährdet war.
Denn mit den Sozialdemokraten hat die 51-jährige ein nicht näher publiziertes "Abkommen" zur Türkei-Politik Schwedens abgeschlossen. Wenn diese Vereinbarung auch nicht offengelegt wurde und ist, so geht es vermutlich um eine intensivere Zusammenarbeit mit der Partei der Demokratischen Union (PYD) einer syrisch-kurdischen Partei, die in Ankara als verlängerter Arm der PKK angesehen wird.
Ein Einhalten dieses Deals war ihre Bedingung, Johansson nicht zu stürzen. Ein Kuhhandel, der in den türkischen Medien ausgeschlachtet wurde. Und ein neuer Aufreger droht, denn die eigenwillige Abgeordnete setzt einen weiteren Hebel an – in der aufreibenden Verhandlung um den Staatshaushalt, über den in der kommenden Woche abgestimmt wird, verlangt sie ein verbindliches Verbot von Waffenlieferungen an die Türkei, sonst stimmt sie gegen den Regierungsvorschlag.
Selbst Sauli Niinistö, der seit den Nullerjahren als konservativer Politiker für den Nato-Beitritt seines Landes warb, erklärte kürzlich, dass er die finnische Bewerbung nicht unterstützt hätte, wenn er von dem Veto der Türkei gewusst hätte.
Am Mittwoch wird sich der US-Senat mit den Nato-Beitrittsanträgen beider Länder befassen.
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