Nato: Die Türkei fordert die Einstufung der YPG als Terrororganisation
Andernfalls droht Erdogan bei seinem Veto gegen den Verteidigungsplan der Nato für Polen und das Baltikum zu bleiben
Wenn es um die Kurden geht, lässt der türkische Präsident nicht locker, eine Forderung folgt der anderen. Zum aktuellen Nato-Treffen stellt er eine neue Variante seiner altbekannten Forderung auf, wie immer begleitet von einer Drohung: Sollte die Nato nicht der Auffassung der Türkei folgen und die kurdischen Selbstverteidigungseinheiten YPG als "Terrorgruppen" einordnen, dann würde die Türkei den Verteidigungsplan der Nato für Polen und das Baltikum weiter blockieren.
Die Nato müsse sich nach heutigen Sicherheitsprioritäten updaten, wird Erdogan von Hürriyet zitiert. In diesem Rahmen verlange er eine "sehr starke Solidarität von unseren Verbündeten gegen Bedrohungen, mit denen wir konfrontiert sind". Es gehe ihm um eine auf Prinzipien basierte, einige Haltung gegen Terrororganisationen.
Kritik am türkischen Vorgehen in Syrien weist der türkische Präsident wie üblich von sich, eine Diskussion "mit schlechten Absichten" werde nicht in Betracht gezogen, so Erdogan, der bei seinen Erklärungen die Beiträge des "unverzichtbaren Nato-Mitglieds" Türkei seit 1952 betonte. Macron, der Kritik am türkischen Angriff geübt hatte, bekam neuerlich einen Seitenhieb ("Staatschefs sollten sich von populistischen Äußerungen distanzieren", sagte Erdogan, der damit sein Talent zur selbstkritischen Wahrnehmung erneut unter Beweis stellte).
Im Zentrum seiner Äußerungen stand das türkische Veto gegen die Nato-"Vereidigungspläne" an der sogenannten Ostflanke, die von ihm mit einer Art Gegengeschäft verbunden wird - der Einstufung der YPG als Terrororganisation.
Wir werden mit ihnen (den Staatschefs der baltischen Staaten und Polens, Anm. d.Red.) diese Themen besprechen. Aber wenn unsere Freunde in der Nato die Terrororganisationen, die als Terroristen unsere Gegner sind, nicht anerkennen, dann werden wir uns gegen jeden Schritt wenden, der in der Angelegenheit der baltischen Länder und Polens unternommen wird.
Recep Tayyip Erdogan
Die Haltung der USA und Frankreichs
Geht es nach dem US-Verteidigungsminister Mark T. Esper, so sind die USA nicht bereit, auf diese "speziellen Sorgen der Türkei" einzugehen. Dem stellte Esper die Ansicht gegenüber, dass es wichtigere Herausforderungen für die Nato gebe, dass nicht jeder die Bedrohung sehe, die die Türkei so herausstellt ("not everybody sees the threats that they see"). Der Pentagonchef sprach sich gegen eine Einstufung der YPG als Terroristen aus.
In Nordost-Syrien sind die YPG-Einheiten weiterhin Verbündete am Boden in einer Mission, die offiziell das "syrische Öl sichern" und den Kampf gegen Reste der IS-Terroristen weiterführen soll, die hauptsächlich aber dazu da ist, die Präsenz von US-Truppen in Syrien zu rechtfertigen. Dafür sind die kurdischen Verbündeten unabdingbar. Darüber hinaus gibt es in der US-Administration und unter den Militärs starke Fürsprecher der kurdischen Verteidigungseinheiten.
Auch die französischen Truppen in Syrien arbeiten eng mit den kurdischen Milizen zusammen, die die Federführung in den SDF haben. Macron erklärte im Frühjahr sehr deutlich, dass er in den Kurden Verbündete sieht. Es ist derzeit nicht vorstellbar, dass der französische Präsident von seiner Haltung abrückt, weil die Türkei dies fordert.
Anders mag der Fall bei Trump liegen, der aus seiner Sympathie zu Erdogan kein Hehl macht und den Wünschen der Türkei in derem erbitterten Kampf gegen die kurdische Selbstverwaltung schon zwei Mal das Versprechen gemacht hat, den "türkischen Sicherheitsinteressen" entgegenzukommen: Als er zur Weihnachtszeit vor fast genau einem Jahr den Abzug der US-Truppen verkündete und davon sprach, dass die Türkei die Aufgaben der USA im Kampf gegen den IS übernehmen würde und zuletzt vor einigen Wochen, als er Erdogan bei einem Telefongespräch "grünes Licht" für den Angriff auf die SDF/YPG in Nordsyrien gab.
Die Haltung der deutschen Bundesregierung
Die deutsche Bundesregierung hält sich bei diesem Thema sehr zurück. Als Priorität gilt, was Merkel kürzlich bemerkte: "Ich sage, die Türkei sollte Nato-Mitglied bleiben, denn es ist von geostrategischer Bedeutung, dass sie dabei ist." Dazu kommt, dass Berlin offensichtlich empfänglich ist für die Drohungen, die von Erdogan bezüglich der Flüchtlinge gemacht werden. Die Regierung und deutsche Behörden bemühen sich um ein gutes Verhältnis zu Ankara, was auch Aktionen gegenüber kurdischen Oppositionellen miteinschließt (Erdogans internationale Jagd auf Oppositionelle.
In Syrien hat die deutsche Regierung noch selten genau genug hingeschaut, um im Wald der "Rebellen" die Dschihadisten zu sehen und deren Terrorregime in den von ihnen besetzten Gebieten, die Scharia und die Willkür von Warlords und ihrem Gefolge zum obersten Gesetz haben. Hätte sie das, so müsste ihr eine gewisse Ambivalenz auffallen und aufstoßen, die mit Erdogans Einstufung von Terroristen einhergeht.
Unter Erdogans Verbündeten, den syrischen Milizen, die kürzlich noch Rebellen hießen, befinden sich nicht wenige, deren Söldnerlebenslauf auch die Stationen "Al-Nusra-Front" und IS-Miliz durchstreift haben und deren Vorgehen gegenüber der kurdischen Bevölkerung in Afrin und im neu annektierten Gebiet in Nordsyrien Maßstäben entspricht, die man von Terroristen erwartet.
Auch bei ihrer Grenzpolitik verhielt sich die Türkei nicht gerade so, dass sie das Nachbarland Syrien vor dem Eindringen von Terroristen schützte. Jahrelang rekrutierten sich die Dschihadmilizen über den Nachschub aus der Türkei, wie auch Waffen und andere Lieferungen aus der Türkei kamen. Die Kriege in Syrien wurden dadurch beträchtlich angeheizt.
Auch gegenwärtig ist eine eindeutige Haltung der Türkei zum al-Qaida-Spross Hayat Tahrir al-Scham nicht zu erkennen. Dagegen ist das politische Motiv, die kurdische Selbstverwaltung zu zerstören, die auf demokratischen Grundsätzen beruht, unübersehbar.
Allerdings versteht es Erdogan gut, auf die geopolitische Karte zu setzen, wie seine Manövriergeschicklichkeit zwischen den Interessen Russlands und den USA zeigt. Momentan signalisiert er wieder großes Interesse an russischen Flugabwehrwaffen und gleichzeitig an US-amerikanischen Arsenal.