Nato nimmt Beitrittsverhandlungen mit Montenegro auf

Moskau sieht die "Politik der offenen Tür" der Nato als Bedrohung an

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Gerade noch hat der russische Ministerpräsident Medwedew vor einem "Kalten Krieg" gewarnt - doch die Nato macht weiter, als wäre nichts gewesen: Die "Politik der offenen Tür" bleibt und das Bündnis verhandelt über die Aufnahme neuer Mitglieder. Den Anfang macht Montenegro.

Die formelle Einladung war im Dezember rausgegangen, nun haben die Verhandlungen über den Beitritt Montenegros zur Nato offiziell begonnen. Es geht um politische, militärische und rechtliche Fragen. Der montenegrinische Verteidigungsministerin Milica Pejanovic-Djurisic geht davon aus, dass die Verhandlungen bis April abgeschlossen sein werden.

Montenegro kann dem Bündnis aber erst beitreten, wenn alle 28 Nato-Mitglieder das Beitrittsprotokoll ratifiziert haben, das im Anschluss an die Gespräche erstellt werden soll. Dieser Ratifizierungsprozess kann mehrere Monate dauern. Das kleine Balkanland, das bei 600.000 Einwohnern selbst nur über eine Armee von 2.000 Soldaten verfügt, kann in dieser Zeit aber schon als Beitrittskandidat an Sitzungen des Bündnisses teilnehmen. Es wäre die erste Neuaufnahme in die Nato nach sechs Jahren.

Bild: Nato

Russland gegen neue Erweiterungsrunden

Dabei hatte der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew gerade erst auf der Münchner Sicherheitskonferenz davor gewarnt, dass sich die Nato und Russland immer mehr in Richtung eines neuen Kalten Krieges bewegen. Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts hat die Nato bislang zwölf neue Mitglieder aufgenommen, meistens aus Osteuropa, und ist damit direkt an die russischen Grenzen herangerückt. Nur wenige Länder auf dem europäischen Kontinent sind noch nicht Mitglied im atlantischen Bündnis. Schweden und Finnland im Norden, Irland im Westen, die Schweiz und Österreich und einige Länder im Balkan gehören dazu.

Russland ist deswegen auch gegen eine Nato-Mitgliedschaft von Montenegro und hat bereits Reaktionen angekündigt. Eine "Expansion" der Nato zwinge Russland zu "entsprechenden Reaktionen", so das Moskauer Außenministerium im Dezember. Der russische Präsidentensprecher Dmitri Peskow kündigte "Gegenmaßnahmen Russlands zum Schutz seiner Sicherheit und Interessen" an.

Die Nato wies diese Drohungen jedoch umgehend zurück "Niemand hat das Recht, sich dabei einzumischen", sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. "Es geht hier nicht um Russland, sondern um Montenegro und die Nato." Doch tatsächlich ist die Aufnahme von Montenegro wohl nur ein Teilschritt, die Nato weiter auszudehnen: "Die Nato-Tür ist offen", bekräftigte Jens Stoltenberg mit Blick auf weitere Länder Anfang Dezember, als er Montenegro zu Beitrittsverhandlungen einlud. "Bosnien-Herzegowina, Georgien und die frühere jugoslawische Republik Mazedonien haben ebenfalls Fortschritte gemacht in Richtung Nato-Mitgliedschaft", sagte er. "Wir unternehmen alles, um ihnen zu helfen, ihre Ziele zu erreichen." Von daher erklären sich die russischen Bedenken dagegen, dass ein kleines Land an der Adria-Küste Nato-Mitglied wird.

Russische Investitionen in Tourismus und Wirtschaft

Allerdings pflegte Montenegro lange auch gute Beziehungen zu Moskau. Russen haben in den vergangenen Jahren an der Adria Immobilien erworben und in dem Land investiert. 2014 kamen laut Nationaler Statistik 30 Prozent aller Touristen aus Russland (http://), vor Serbien mit 24 Prozent. "Tatsache ist, dass Montenegro etwas zu bieten hat, mit dem die anderen Mittelmeerstaaten nicht aufwarten können: eine Kultur, die der russischen bemerkenswert ähnlich ist", schreibt die niederländische "De Volkskrant". Sprache, Kirche, sogar das Staatswappen - alles erinnere die Russen an daheim. Reiche Russen haben sich an der Adria luxuriöse Apartmenthäuser gebaut, der russische Oligarch Oleg Deripaska hat sogar die Aluminiumfabrik in Podgorica erworben. Sie ist der größte Arbeitgeber des Landes, mehr als die Hälfte aller Exporte stammen von ihr.

Umso enttäuschter reagiert Russland jetzt auf den Westkurs in Podgorica. In einer Erklärung vom November kritisierte das russische Parlament, die Duma, Podgoricas Absicht, der Nato beizutreten. Das sei ein schwerer Schlag traditionell freundschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und Montenegro. Das Streben der Regierung von Premier Milo Djukanovic, der Nato beizutreten, widerspreche dem Willen eines überwiegenden Teils der Bevölkerung dieses Landes.

Die russische Zeitung "Russia Beyond the Headlines" verwies (auf "fast 300 Jahre" enge Zusammenarbeit zwischen Montenegro und Russland. "Die Russen reagieren besonders emotional auf den geplanten Nato-Beitritt", behauptete die staatsnahe Zeitung und zitiert Politiker wie Experten, die der Regierung von Montenegro alles von Korruption bis zu Waffenhandel mit der Terrormiliz "Islamischer Staat" vorwerfen. Ministerpräsident Djukanovic könne "seinen Bürgern seine Liebe zur Nato nicht aufzwingen", zitiert das Blatt Alexej Puschkow, den Vorsitzender der Staatsduma-Kommission für internationale Angelegenheiten. Montenegro sei ein ehemaliger Bruder gewesen, wird ein Experte zitiert. Das Land habe Russland aber 2014 verraten und den Sanktionen gegen Russland gestimmt.

Nato-Gegner gehen auf die Straße

Auch in Montenegro ist der Nato-Beitritt nicht unumstritten. Die serbische-orthodoxe Kirche ist genauso dagegen wie die nationalistische Opposition. Vor und nach der Einladung der Nato zu Beitrittsgesprächen gingen im Dezember Tausende in der Hauptstadt Podgorica dagegen auf die Straße und schwenkten russische und serbische Fahnen. Nicht vergessen ist auch, dass Montenegro schon einmal Ziel von Nato-Angriffen war. Im Frühjahr 1999 hatte das Bündnis Luftangriffe gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) geflogen.

Die Opposition fordert nun ein Referendum über eine Nato-Mitgliedschaft. 2014 waren nur 46 Prozent der Bürger für einen Nato-Beitritt - also nicht mal die Hälfte, was die Regierung aber offenbar als hoch ansah. 42 Prozent waren dagegen, 13 Prozent untentschlossen. Nach einer aktuellen Umfrage vom Januar 2016 sind 47,3 Prozent für einen Nato-Beitritt, 37,1 Prozent dagegen, 15,6 Prozent unentschieden.

Für Aufsehen sorgte Ende 2014 eine anonyme Gruppe namens "Montenegrinischen Patrioten". Sie druckte antirussische Flugblätter mit der Parole "Besser eine Banane in der Hand, als ein russischer Stiefel im Nacken". Das war eine Anspielung auf den russischen Botschafter in Serbien, der den geplanten Nato-Beitritt als "affenartige Politik" geschmäht hatte. Wer hinter der Aktion steckte, blieb unbekannt.

Montenegro in die Nato zu führen, ist vor allem das Projekt von Ministerpräsident Milo Djukanovic. Der Vorsitzende der Demokratischen Partei der Sozialisten Montenegros regiert das Land fast ununterbrochen seit 1991, mal als Premier, mal als Präsident. Er führte sein Land durch die postjugoslawischen Wirren und 2006 zur Unabhängigkeit von Serbien. Kritiker werfen ihm vor, mafiaähnliche Strukturen aufgebaut zu haben. Er wird der Beteiligung am Zigarettenschmuggel ebenso beschuldigt wie der Vetternwirtschaft und Korruption.

Ministerpräsident Milo Djukanovic. Bild: predsjednik.gov.me

Zu einem ernüchternden Fazit kam 2012 die Stiftung Wissenschaft und Politik "Es mangelt an Transparenz und Kompetitivität, sowohl wirtschaftlich als auch politisch. In Montenegro ist dies besonders prekär: Die Regierungspartei DPS (Demokratische Partei der Sozialisten) beherrscht seit über zwanzig Jahren die politische Szene; Ðukanović war in dieser Zeit nahezu ununterbrochen Präsident oder Premier. Privatisierungen, Bauvorhaben oder Investitionen mussten von seinem Clan genehmigt werden, was ihm zu Machtfülle und Kontrolle verhalf."

Probleme mit Demokratie und Rechtsstaat

Von daher stellt sich die Frage, ob Montenegro wirklich reif ist für eine Mitgliedschaft in der Nato. Oder ob es nicht eher geostrategische Gründe hat, dass das Land aufgenommen werden soll. Mit Blick auf die aktuelle Entwicklung in Polen und Ungarn, wo Rechtsstaat und Demokratie gerade schwer unter Beschuss sind, warnt etwa die Süddeutsche Zeitung davor, Montenegro unbesehen in das Bündnis zu lassen. Zwar spielten "militärische Kriterien eine Rolle, noch viel mehr aber politische": "Die Nato versteht sich als 'Wertegemeinschaft', als ein Bündnis von rechtsstaatlichen, pluralistischen Demokratien." Ungarn zum Beispiel hätte heute große Schwierigkeiten, Mitglied der Allianz zu werden. Deshalb müsse bei Montenegro genau hingeschaut werden.

Wie weit Montenegro von rechtsstaatlichen Normen entfernt ist, zeigt der Beitrittsprozess zur EU, wo das Land auch Mitglied werden will. In ihrem Montenegro-Bericht 2015 bescheinigt die EU-Kommission dem Land zwar gewisse Fortschritte, mahnt aber eine Reform der Verwaltung und des Justizsystems an, um europäische Standards zu erreichen. Die Kommission will außerdem ausdrücklich mehr Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung sehen. Auch bei den Menschenrechten, insbesondere bei der Meinungsfreiheit, gebe es Probleme mit der Umsetzung.