Natur und Gesellschaft neu denken

Seite 3: Von Selbstsucht und Selbstzerstörung des Menschen

"Wenn der Mensch sein bewusstes Produzieren vom bewusstlosen Produzieren der Natur – das ja durch ihn selbst hindurchgeht und in ihm weiter wirksam ist - abkappt, so hört er letztlich auf, eine lebendige wirkliche Gestalt in der Wirklichkeit zu sein.

Jene Selbstsucht des Menschen, absoluter Herr von allem sein zu wollen, führt zwangsläufig zur Selbstzerstörung", schreibt Schmied-Kowarzik an gleicher Stelle und verweist auf ein Zitat Schellings: "Hieraus entsteht der Hunger der Selbstsucht, die in dem Maß, als sie vom Ganzen und von der Einheit sich lossagt, immer dürftiger, ärmer, aber eben darum begieriger, hungriger, giftiger wird.

Es ist im Bösen der sich selbst aufzehrende und immer vernichtende Widerspruch, dass es kreatürlich zu werden strebt, eben indem es das Band der Kreatürlichkeit vernichtet, und aus Übermut, alles zu sein, ins Nichtsein fällt."4

Wer nicht täglich philosophische Texte liest, muss das vielleicht zweimal lesen. Dann aber könnte man fast meinen, Schelling beschreibe den gegenwärtigen zerstörerischer Umgang des Menschen mit seiner Umwelt und damit mit sich selbst sowie die Hybris etwa des Transhumanismus.

Dabei ist der Text aus Schellings Freiheitsschrift etwa 200 Jahre alt. Dessen ungeachtet eignet sich die Tradition seiner Naturphilosophie, in der beispielsweise auch Karl Marx insbesondere mit seinen Frühschriften steht - was der heutige Marxismus scheinbar erst wieder erkennen muss5 -, um in der heutigen Zeit grundlegende Kritik an den herrschenden Gedanken der Naturwissenschaft zu üben.

Auf Grundlage dieser bzw. in Beziehung zu diesen naturphilosophischen Überlegungen, die hier natürlich nur angerissen werden können, gibt es eine große Bandbreite "alternativer" Naturforschung. Ihr fundamentaler Unterschied besteht darin, ganz grob auf den Punkt gebracht, den Menschen mit seinem Bewusstsein in Gänze als Naturwesen zu begreifen und damit das Subjektive in die Naturbetrachtung zu integrieren.

Erst so kann die "Große Trennung" überwunden werden, von der Fabian Scheidler völlig zu Recht spricht, die er aber schon durch die Ausblendung der Psychologie gar nicht überwinden kann.

Eine Aufzählung von verschiedenen Versuchen, die Natur anders zu begreifen, würde indes an dieser Stelle endgültig den Rahmen einer Rezension sprengen. Dass Scheidler solch konkrete Alternativen nicht in den Blick nimmt, liegt vermutlich auch daran, dass er mit seinem philosophischen und historischen Ansatz sich zu stark an die Empirie der wissenschaftlichen "Hauptlinie" bindet.

Sie ist mit der Quantenphysik an die Grenze des Mechanismus gestoßen, ohne sie jedoch zu überwinden, weil die grundlegende Erkenntniskritik fehlt.

Auf diese Weise übergeht Scheidler eine für sein Thema so bedeutende Denkschule und deren Tradition wie die Schellings. Stattdessen verabschiedet er sich von der Idee eines Universalismus, den er nicht in seiner dialektischen Potenz, sondern rein negativ in seiner Erscheinung der globalen Naturzerstörung durch den Kapitalismus beschreibt.

Als positive Gegenbeispiele zur kapitalistischen Naturzerstörung bleiben ihm dann kaum mehr als Exkurse zu Naturvölkern in Bali oder im südamerikanischen Regenwald.

Scheidlers Buch weist gleichwohl auf wichtige Probleme hin. Aber sein Zugang beim Blick auf das "Ganze" scheint letztlich doch so begrenzt zu sein, dass er grundlegende erkenntnistheoretische Probleme ausklammert. Aber gerade diese müssten diskutiert werden, wenn Natur und Gesellschaft wirklich neu gedacht und praktisch verändert werden sollen.

Die Diskussion über den Beitrag Schellings für den Marxismus und die Gesellschaftskritik allgemein, die von den akademischen Philosophen wie Schmied-Kowarzik, Manfred Frank6 oder zuletzt auch Matthias Mayer7 seit Jahren geführt wird, wäre an dieser Stelle interessant, ihre Popularisierung hilfreich für die Weiterarbeit an den Themen, die Fabian Scheidler in seinem Buch angesprochen hat. Denn dass die kapitalistische Wirtschaftsweise die Natur und damit auch das Naturwesen Mensch zerstört, da ist ihm uneingeschränkt zuzustimmen.

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