Nawalny: Charité hat sich an ein deutsches Militärlabor und Porton Down gewandt
Noch wurde offenbar die Substanz nicht identifiziert, die zu einer Vergiftung von Nawalny geführt haben soll, Anfragen beantwortet die Charité nicht
Als die Proteste gegen Lukaschenko und seinen vermuteten Wahlbetrug in Belarus immer weiter um sich griffen, bis schließlich der russische Präsident Wladimir Putin seinem Kollegen Hilfe versprach, wenn er nun endlich eine engere Kooperation mit Russland eingeht, brach der russische Oppositionspolitiker Alexei Navalny am 20. August auf einem Flug von Tomsk nach Moskau zusammen und wurde in ein Notfallkrankenhaus in Omsk gebracht (Interfax-Chronik).
Da Lukaschenko nun gerne einmal mit Gewehr auftritt, seine Sicherheitskräfte brutal gegen die Demonstranten vorgehen und gestern auch Panzer gegen die Protestierenden auffahren ließ, könnte die Vermutung naheliegen, dass der Kreml, einen Maidan nicht nur in Belarus, sondern auch in Russland fürchtend, den bekannten Oppositionspolitiker ausschalten wollte. Der hatte sich aber auch sonst wegen seiner Korruptionsermittlungen einige Feinde gemacht. In Russland, so die herrschende Meinung, ist Putin für alles persönlich verantwortlich, weil es ein autoritäres Regime ist, während die Taten etwa der organisierten Kriminalität oder auch der Geheimdienste natürlich von Merkel nicht angelastet werden können.
Kira Yarmysh, die Sprecherin seiner Organisation, sprach sofort von einer Vergiftung, die russischen Ärzte, die zunächst einen Transport nach Berlin wegen Nawalnys Zustand ablehnten, von einer Stoffwechselstörung, Gifte habe man keine gefunden. Am Morgen des 21. August flog bereits ein von der Cinema For Peace Foundation geschartertes Flugzeug mit Ärzten von der Charité nach Omsk, um Nawalny nach Berlin zu bringen. Die Frau Nawalnys wandte sich direkt an Putin. Die Ärzte erklärten schließlich, Nawalnys Zustand habe sich gebessert und sei stabil. Nawalny wurde in der Nacht ausgeflogen, das Flugzeug landete am Morgen des 22. August in Berlin. Nach Kreml-Sprecher Peskow hätte dies schon früher geschehen können, aber die deutschen Piloten hätten sich noch ausruhen müssen.
Abgesehen davon, dass der Fall des russischen Oppositionspolitikers Nawalny gleich und ohne Beweise wieder im Nato-Westen mit dem mittlerweile gewohnten antirussischen Narrativ abgehandelt wurde, weiß die Öffentlichkeit noch kaum etwas, was wirklich vorgefallen ist. Die Nawalny behandelnden Ärzte der Charité haben den von seiner Frau und seinen Mitarbeitern, aber auch vielen Politikern geäußerten Verdacht scheinbar bestätigt, indem sie verlautbarten, es handele sich wahrscheinlich um eine Vergiftung.
Es soll ein Cholinesterasehemmer sein, aber die Substanz habe man nicht identifiziert. Eine Vergiftung muss kein Anschlag sein, müsste man hinzufügen, es ist einfach die Feststellung, dass eine Substanz in den Körper gelangte, die Nawalny zusammenbrechen ließ. Ob er sie selbst eingenommen hat oder ob sie ihm absichtlich zugeführt wurde, ist damit nicht geklärt. Die Charité hält sich bedeckt, stellt sich aber gegen die russischen Ärzte in Omsk, die sagen, sie wären auch dem Verdacht einer Vergiftung nachgegangen, hätten aber bei ihren Analysen kein Gift gefunden. Und dann sagten sie noch, sie hätten als erste Maßnahme eine Behandlung mit Atropin begonnen.
Charité verweigert Antworten auf Presseanfragen
Die Charité bzw. das Ärzteteam strichen heraus, dass auch sie Atropin als erste Maßnahme verordnet hätten und Nawalny in ein medizinisch induziertes Koma versetzt hätten. Man hätte darauf verweisen können, dass die russischen Ärzte mit der Gabe von Atropin begonnen und ihn in ein medizinisches induziertes Koma versetzt hatten. Zumindest sagen sie dies, wir hatten schon darüber berichtet: Russische Ärzte widersprechen der Charité. Warum wurde dies verschwiegen? Oder ist dies ein erster Beweis, dass die russischen Ärzte gelogen haben und von oben, vom Kreml, gegängelt wurden? Eine Anfrage bei der Charité, ob der Patient Nawalny bereits mit Atropin behandelt wurde oder nicht, wollte man nicht beantworten. Lapidar verwies man auf die erste Pressemitteilung, die darüber nichts aussagt.
Gefragt wurde:
Sehr geehrte Frau Zingl, unklar blieb in der Mitteilung der Charité-Ärzte, welche Informationen ihnen die russischen Kollegen aus Omsk weitergegeben haben. Angeblich wurden MRT-Scans weitergegeben. Wir bitten um die Beantwortung folgender Fragen: Hat die Charité weitere Informationen/Daten über den Zustand von Nawalny und die vorgenommenen Untersuchungen erhalten? Wenn ja, welche? Wenn nicht, wurden sie angefordert?
Die russischen Ärzte erklären, sie seien auch dem Verdacht einer Vergiftung nachgegangen und hätten Nawalny sofort Atropin verabreicht. Hatte er schon in Omsk Atropin erhalten? Warum wurde dies nicht mitgeteilt, falls ja? Wurde das Vorhandensein eines Cholinesterase-Hemmers aus den Symptomen oder durch einen klinischen Befund nachgewiesen? Die russischen Ärzte sagen, bei seiner Einlieferung habe er nicht das Bild einer derartigen Vergiftung gezeigt. Wird mit dem Ausdruck einer Vergiftung auch gesagt, wie dies vielfach interpretiert wurde, dass Nawalny gezielt vergiftet wurde? Kann die Vergiftung auch anders geschehen sein?
Die lapidare Antwort vom 27. August:
Sehr geehrter Herr Rötzer,
vielen Dank für ihre Anfrage.
Diesbezüglich möchten wir Sie auf unsere Pressemitteilung vom 24.08.2020 hinweisen:
https://www.charite.de/service/pressemitteilung/artikel/detail/statement_der_charite_klinische_befunde_weisen_auf_vergiftung_von_alexei_nawalny_hin/.
Wir haben Sie zudem in unsere Presseliste aufgenommen und informieren Sie sobald es etwas Neues gibt.
Herzliche Grüße
Charité Unternehmenskommunikation
Das nährt den Verdacht, dass womöglich die Vergiftungshypothese gestärkt werden soll - und dass die russischen Ärzte nicht richtig den Zustand von Nawalny diagnostiziert haben oder die Vergiftungshypothese beiseiteschieben wollten. Am vergangenen Freitag gab es die dritte Pressemitteilung, in der von einer leichten Besserung, aber auch wieder von der nicht näher beschriebenen Vergiftung gesprochen wurde:
Die Symptomatik der durch eine Cholinesterase-Hemmung ausgelösten cholinergen Krise ist rückläufig. Der Patient befindet sich weiterhin auf einer Intensivstation im künstlichen Koma und wird maschinell beatmet. Sein Gesundheitszustand ist unverändert ernst, ohne das akute Lebensgefahr besteht. Nach wie vor sind eventuelle Langzeitfolgen der schweren Vergiftung des Patienten nicht absehbar.
Charité
Der russische Generalstaatsanwalt, die trotz fehlender Befunde für eine Gewalttat ein Vorprüfungsverfahren begonnen hat, soll nach russischen Medien die Bundesregierung um Rechtshilfe gebeten haben, "Informationen über die Untersuchungen und vorläufigen Diagnosen zur Verfügung zu stellen. Konkret handelt es sich dabei um die Befunde der Ärzte, welche Nawalny derzeit in der Klinik Charité untersuchen würden, sowie um Informationen zu Nawalnys Zustand während seines Transports aus Russland nach Deutschland". Gegenüber der Welt am Sonntag hat das Bundesjustizministerium den Eingang bestätigt.
Bundeswehrlabor für chemische Kampfstoffe angefragt
Der Spiegel berichtete am Freitag, die Charité habe sich an das Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr in München sowie an das britische Militärlabor in Porton Down gewandt und um Unterstützung gebeten. Das Labor in Porton Down hatte zuerst Nowitschok als Substanz identifiziert, mit der der Anschlag auf Skripals gemacht worden sein soll. Das InstPharmToxBw sagt, es könne "den zweifelsfreien Nachweis von Vergiftungen durch chemische Kampfstoffe durchführen".
Überdies hätten sich nach dem Spiegel die deutschen Ärzte an bulgarische Kollegen gewandt, da in Bulgarien 2015 ein mutmaßlicher Giftanschlag auf den Waffenfabrikanten Emilian Gebrev stattgefunden hat, der danach wochenlang im Koma lag, sowie auf seinen Sohn und einen Mitarbeiter. Bellingcat hatte 2019 eine Verbindung zum Fall Skripal hergestellt und einen angeblichen GRU-Agenten ausfindig gemacht (Giftige Intrige gegen bulgarischen Waffenhändler - Vorläufer des Nowitschok-Anschlags?').
Die bulgarische Staatsanwaltschaft hat drei Russen für den Anschlag angeklagt. Sie sollen Teil einer geheimen GRU-Gruppe sein, die seit Jahren Europa bereiste. Bulgarien hatte sich aber nicht an die OPCW gewandt, um das Chemiegift zu identifizieren.
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