Nawalny: Wurde das Video über den Fund der Wasserflasche im Hotel in Tomsk inszeniert?
Die gut sichtbare Zeit auf einem Wecker stimmt augenscheinlich nicht mit der Uhrzeit auf Armbanduhren von Nawaly-Mitarbeiter überein. Jetzt verlangt Nawalny seine Kleidung als Beweismittel zurück. Neue Seltsamkeiten …
Alexei Nawalny hat sich wieder zu Wort gemeldet, dieses Mal auf seinem Blog. Es geht nicht um seinen gesundheitlichen Zustand, der nach seinem letzten Bericht noch nicht so gut zu sein scheint. Gestern jedoch sah es nach dem Foto schon ganz anders aus, seine Mitteilung war auch ein Liebesbeweis für seine Frau, die ihn gerettet habe. Die letzte Meldung der Charité, die sonst nicht über einzelne Patienten berichtet, kam vergangene Woche, es gehe ihm besser, er müsse nicht mehr beatmet werden und könne erste Schritte machen. Nawalny fordert jetzt seine Kleidung zurück, die er am 20. August getragen hatte, als er im Flugzeug zusammenbrach und in das Krankenhaus in Omsk eingeliefert wurde.
Der Anlass ist, dass die russische Generalstaatsanwaltschaft die Einleitung einer Strafermittlung weiter verzögert. Eigentlich müsste die Entscheidung spätestens nach 30 Tagen getroffen werden, das hätte also am 20. September der Fall sein müssen. Aber jetzt will man den Fall offenhalten, um sich nicht festlegen zu müssen, und die Vorermittlungen fortsetzen, so berichtet. Sie hätten zur Rekonstruktion des Geschehens die Reise von Nawalny und seines Teams in Tomsk und Umgebung nachvollzogen.
5 von 6 Begleitern seien erneut befragt worden, die sechste Person ist Maria Pevchikh (Pewtschich), die mit Navalny und seiner Frau (und der angeblich in Nawalnys Raum gefundenen Wasserflasche mit Nowitschokspuren ???) nach Berlin geflogen ist und seitdem einiges Interesse auf sich zieht. Sie habe noch immer nicht befragt werden können und antworte auf Vorladungen nicht. Die Personen hätten keine Zeichen einer Vergiftung gezeigt. Insgesamt seien 200 Personen befragt worden, die Kontakt mit Nawalny hatten, Zeugen waren oder mit im Flugzeug saßen.
Nawalny verlangt seine Kleidung nach den 30 Tagen nun zurück, während derer man sie als Beweismittel zurückgehalten habe. Da an seinem Körper Nowitschok gefunden worden sei und die Kontamination wahrscheinlich über Kontakt erfolgt sei, sei seine Kleidung ein wichtiger Beweis. Nowitschik-Entwickler Vladimir Uglev äußerte auch diese Vermutung, dass etwa Nawalnys Unterwäsche kontaminiert worden sein könnte. Bevor er nach Deutschland geflogen wurde, sei er ausgezogen worden. Das freilich wurde er sicherlich, als er im Koma ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Jetzt solle man seine Kleidung sorgfältig in eine Plastiktüte einpacken und ihm zurückgeben. Nach dem Gesundheitsministerium wurde die Kleidung von den Ermittlungsbehörden beschlagnahmt. Sollten russische Geheimdienste den Anschlag ausgeführt haben, wird dafür gesorgt worden sein, dass an der Kleidung nichts mehr gefunden werden kann.
Fragt sich, wem Nawalny suggerieren will, dass die Kleidung noch ein Beweisstück sein könnte. Die russische Seite sagte, sie habe weder bei seinen Körperproben noch bei seinen Gegenständen einen Giftstoff entdeckt. Wenn es sich um Nowitschok gehandelt haben soll und das Gift auch auf der Kleidung gewesen wäre, wären die Menschen im Flugzeug einem hohen Risiko ausgesetzt gewesen. Doch bis auf Nawalny - das bestreitet bislang auch niemand - wurde keine andere Person vergiftet. Wenn auf der Kleidung das angeblich eine neue Variante des gefährlichsten Nervengifts zu finden wäre, wäre es fahrlässig, sie nur in einer Plastiktüte zu verpacken. Das haben aber Mitarbeiter von Nawalnys Stiftung FBK auch mit den Flaschen gemacht, die sie in seinem Zimmer gefunden haben wollen.
Die Zeit auf dem Wecker und den Armbanduhren
Damit sind wir wieder bei dem Video, das über Nawalnys Instagram-Account veröffentlicht wurde. Es soll Mitarbeiter seiner Stiftung zeigen, die eine Stunde nach Bekanntwerden seines Zusammenbruchs und seiner Einlieferung in das Krankenhaus unter dem Verdacht, er könne vergiftet worden sein, zusammen mit einem Anwalt und mit Genehmigung des Hotels Nawalnys Hotelzimmer betreten und durchsucht haben. Die Uhrzeit - 11:45 - scheint ein Wecker zu belegen, der auf einem Nachttisch stand.
Sie hätten alles mitgenommen, was Nawalny berührt haben könnte, darunter auch drei Wasserflaschen, auf einer von ihnen soll das Bundeswehrlabor dann Nowitschok-Spuren gefunden haben. Wie die nur in eine Plastiktüte verpackte Flasche mit dem hochgefährlichen Gift nach Deutschland und zum Bundeswehrlabor gelangte, ist nicht bekannt. Vermutlich hat sie Pevchikh mitgebracht, die nicht mit Nawalny flog, sondern nach Nowosibirsk fuhr, um von dort nach Omsk zu fliegen, wo sie dann in das von Cinema for Peace gecharterte Rettungsflugzeug stieg und mit nach Berlin flog, angeblich mit der Flasche (Maria Pevchikh (Pewtschich) im Visier). Bezahlt wurde die Mission mit dem Rettungsflugzeug von Boris Zimin, Sohn des nach Großbritannien ausgewanderten Oligarchen und Milliardärs Dmitry Zimin, Geldgeber von Nawalny und seiner Stiftung.
Das Nawalny-Team will mit dem - geschnittenen - Video beweisen, dass Nawalny im Hotel - also nicht im Kaffee im Flughafen, in dem er Tee getrunken hatte - vergiftet worden sei. Angaben werden nicht dazu gemacht, wann er aus der Wasserflasche getrunken hatte, es müssten mindestens 4 Stunden vor seinem Zusammenbruch gewesen sein, wenn es am Abend zuvor gewesen wäre, viele Stunden mehr. War deshalb die Rede von einem neuen, langsam wirkenden Nowitschok? Als Beweis für die Aufnahmezeit des Videos wird, wie gesagt, ein Wecker gezeigt, auf dem die Uhrzeit 11:45 zu lesen ist, also nach dem Zusammenbruch Nawalnys und der Landung des Flugzeugs.
Könnte es sein, dass sowohl der Wecker als auch die Flaschen drapiert wurden? Seltsam ist schon einmal, dass die erste Szene, in der ein Mitarbeiter vor einem Bett kniet (34-39 sec) zur letzten Szene gehört (55-59 sec), dazwischen geschnitten wurde ein Blick ins Bad und eine Person mit einer Wasserflasche im Bad. Es hat sich vermutlich um eine nicht ganz professionelle Unternehmung gehandelt, denn auf dem Video sind auch Hände zu sehen, die Flaschen nehmen und einpacken - mit Armbanduhren.
Darauf hat uns ein Leser von Telepolis hingewiesen, der die interessante Idee hatte, die Uhrenzeiten zu vergleichen. Die Zeit auf den Armbanduhren ist zwar kaum zu entziffern, vergrößert man sie aber entsprechend, so zeigt die Armbanduhr der Person im Bad, die eine Plastiktüte hält, vermutlich 9 Uhr 45. In der letzten Szene vor dem Bett sieht man die Armbanduhr am Arm einer ansonsten verdeckten Person, auf der vermutlich 9 Uhr 30 zu lesen ist.
Wurde das Zimmer durchsucht, bevor eine Nachricht über den Kollaps eingetroffen war?
Geht man davon aus, dass die Uhren Ortszeit anzeigen, dann fand die Durchsuchung vor der Landung des Flugzeugs in Omsk statt, was um etwa 10 Uhr Omsker Zeit geschehen sein soll, also mehr als eine Stunde nach Abflug (Tomsk-Omsk sind etwa 800 km entfernt). Gestartet war das Flugzeug um etwa 8 Uhr, Nawalny und sein Team sollen gegen 6 Uhr 40 am Flughafen angekommen sein, der etwa in einer halben Stunde vom Hotel aus mit einem Taxi erreicht werden kann. Kurz nach dem Start soll Nawalny schweißgebadet zur Toilette gegangen sein. Um neun Uhr fragte die Crew über Lautsprecher, ob ein Arzt unter den Passagieren sei. Es ist aber nicht klar, ob dies die Tomsker oder die Omsker Zeit ist.
Wenn das Zimmer also, geht man nach den Armbanduhren, nicht um 11 Uhr 45, sondern um 9 Uhr 30 bis 9 Uhr 45 durchsucht wurde, wäre dies vielleicht kurz nach dem Kollaps von Nawalny, aber vor der Landung des Flugzeugs in Omsk gewesen. Das könnte der Grund sein, warum die Polizei den Zugang zum Hotelzimmer noch nicht versperrt hatte. Hat das in Tomsk zurückgebliebene Team irgendwie Kenntnis davon erhalten? Vermutlich kann man sich auf dem Flug eine App herunterladen, um mit dem Smartphone Internetzugang zu erhalten, aber das ist nicht geklärt. Oder wurde das Zimmer ohne Wissen um das Geschehen an Bord (oder gar mit Wissen, was an Bord geschehen würde) durchsucht? Wenn denn die Uhrzeit auf dem Wecker vorgetäuscht war, könnte dies den Verdacht nahelegen, dass die Wasserflasche nicht gefunden, sondern dort platziert wurde.
Dass etwas mit dem Video nicht stimmt, legt auch die Veröffentlichung Wochen später nahe. Die Wasserflasche, erwähnt von Spiegel und Co., war angeblich längst den deutschen Behörden übergeben worden, wo man offiziell aber nicht davon spricht. Die OPCW sprach auch nur davon, dass man von Nawalny Körperproben genommen habe. Da sich aber über Hydrolyse Nachweise des Gifts im Körper spätestens nach einigen Tagen nicht mehr durchführen lassen, könnten die Spuren auf der Flasche Grund für den angeblichen "zweifelsfreien" Nachweis des Bundeswehrlabors sein. Wann der Nachweis erfolgte, wissen wir nicht, bekannt gegeben wurde er am 2. September, 12 Tage nach Ankunft von Nawalny in Berlin. Hierzu müssten sich Bundesregierung und das Bundeswehrlabor endlich erklären, die bislang mit am Nebel arbeiten und darin Russland nicht zurückstehen.
Ria Novosti hat einen Bericht (deutsch) über das Hotel in Tomsk veröffentlicht. Man habe mit einem Vertreter des Hotels gesprochen, der hat vor allem betont, dass kein Gift gefunden und alles gesäubert wurde. Es gebe also keine Gefahr, die vom Hotel bzw. von dem Zimmer ausginge. Das sagte auch eine Rezeptionistin. Gäste würden jeweils pro Tag eine Flasche erhalten, es seien, so wird suggeriert, also zu viel im Zimmer gewesen. Der Bericht ist ein wenig wirr.
Jedenfalls wird noch einmal bestätigt, dass eine Mitarbeiterin des Hotels bei der Durchsuchung anwesend war (sie protestierte auf dem Video auch erfolglos gegen die Mitnahme der Flaschen). Man sei den FBK-Mitarbeitern entgegenkommen, schließlich hätte ja auch sein können, dass Nawalny sich von etwas aus der Minibar vergiftet hatte. Auffällig ist, dass nicht von der Uhrzeit die Rede ist. Daran scheint keine Seite wirklich interessiert zu sein.
Wir wollen nicht - wie der russische Sender Kanal 1 - Falschmeldungen verbreiten und sind keine Forensiker. Wir bitten deswegen alle, die mehr Wissen haben, um Belege über das Video und den Verlauf des Geschehens, also ob das Nawalny-Team bereits vor dem Zusammenbruch oder erst nach diesem das Zimmer durchsucht hat. Offenbar haben die ansonsten im Westen so hoch geschätzten Online-Forsensiker von Bellingcat und auch keine anderen "Aufklärer" Interesse daran, diesen Fall aufzuklären. Gedankt sei den Telepolis-Lesern für die Mithilfe.
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