Neandertaler in der Sackgasse
Rote Haare sind doch kein Erbe des Homo neanderthalensis
Es sieht immer mehr danach aus, dass der Neandertaler ein Onkel von uns ist, der ohne Nachkommen verstarb. Unsere Gene weichen so deutlich von seinen ab, dass die Trennung zwischen uns und ihm vor mehr als 500.000 Jahren erfolgt sein muss. Also tragen Rothaarige entgegen früherer Vermutungen keine sichtbare neandertalerische Spur auf ihrem Kopf.
Seit Jahren wird darüber spekuliert, ob der Neandertaler und der moderne Mensch miteinander Sex hatten und Kinder zeugten. Immerhin lebten sie mindestens 10.000 Jahre lang zusammen in Europa. Der Homo neanderthalensis bevölkerte schon seit mindestens 100.000 Jahre erfolgreich Europa, als der moderne Mensch eintraf.
Der Homo sapiens entstand vor ungefähr 200.000 Jahren in Afrika, von dort aus besiedelte er nach und nach die ganze Welt – vor ca. 40.000 kam er in Europa an (vgl. Der moderne Mensch kam durch die Hintertür). Dort ist er sehr wahrscheinlich irgendwann auf den europäischen Ureinwohner gestoßen, denn der Neandertaler zog sich zwar immer mehr in den Südwesten des Kontinents zurück, trat aber erst vor 25.000-30.000 Jahren endgültig von der Bildfläche ab (vgl. Letzte Zuflucht Gibraltar).
Rothaarig, aber nur auf den ersten Blick ähnlich
Europa war vor 35.000 allerdings nur sehr dünn besiedelt, vielleicht sind sich die Alteingesessenen und die Neuankömmlinge kaum begegnet, es könnte auch sein, dass sie einander mieden und sich aus dem Weg gingen.
Immer noch hält eine Fraktion der Anthropologen an der Theorie fest, dass sich die beiden Menschenarten nicht nur kannten, sondern auch miteinander fortpflanzten – aber langsam wird das Eis für diese Minderheit dünn. Diese Fraktion – ihr bekanntester Vertreter ist Erik Trinkaus von der Washington University in St. Louis – versucht immer wieder anhand von Knochenfunden zu belegen, dass einzelne frühe moderne Menschen in Europa Merkmale des Neandertalers aufweisen. Allerdings sind Knochenformen immer individuell verschieden, und es mehren sich die Beweise, dass Neandertaler und moderner Mensch doch sehr verschieden waren. Entscheidende Belege dafür finden sich nicht zuletzt im Vergleich des Erbguts (vgl. Schneller erwachsen und nur entfernt verwandt).
Der Neandertaler war sehr wahrscheinlich dem modernen Menschen so ähnlich, dass er entsprechend gekleidet in einer modernen Großstadt nicht auffallen würde. Nur ein bisschen kräftiger und breiter als wir war er, sein Gesicht mit Augenwülsten, fliehender Stirn und starkem Kinn versehen. Er nutze Werkzeuge, fertigte sich Kleidung, kommunizierte über Sprache, kümmerte sich um seine Angehörigen und bestattete sie liebevoll.
Und zumindest ein Teil der Neandertaler hatte rote Haare, wie genetische Untersuchungen nachgewiesen haben (vgl. Rote Haare, Sommersprossen ...). Eine Ähnlichkeit mit dem modernen Menschen, die in der Vergangenheit zu der These geführt hatte, das so genannte Ginger-Gen sei ein Erbteil des Homo neanderthalensis in uns (vgl. Rothaarig durch Neandertaler-Gen?). Vielleicht ist es deutlich älter und geht auf den letzten gemeinsamen Vorfahren zurück, ein Vermächtnis des Neandertalers ist es wohl nicht, denn höchst wahrscheinlich gibt es in keinem einzigen modernen Menschen auch nur eine Spur von ihm.
Dank der Gentechnologie ist es zunehmend möglich, einen Blick tief in den Homo neanderthalensis hinein zu werfen. Ein ehrgeiziges wissenschaftliches Projekt hat es sich zum Ziel gesetzt, das gesamte Genom dieses ausgestorbenen Menschen in den kommenden Jahren zu entziffern. Die ersten Erfolge wurden rasch gefeiert (vgl. Die erste Million ist sequenziert), aber sie erwiesen sich als trügerisch. Die Anhänger der Vermischungstheorie hatten schon die Sektkorken knallen lassen, denn die Forschergruppe hatte Hinweise auf einen genetischen Austausch mit dem Homo sapiens gefunden. Was aber daran lag, dass das Genmaterial des Ureuropäers im Untersuchungsprozess mit DNS eines Zeitgenossen verschmutzt wurde, wie eine Vergleichsanalyse im Herbst 2007 ergab (vgl. Der Neandertaler spricht zu uns).
Es gab nur wenige Neandertaler
Ein internationales Wissenschaftlerteam rund um Richard E. Green vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig stellt in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts Cell das komplette mitochondriale Genom eines Neandertalers vor (vgl. A Complete Neandertal Mitochondrial Genome Sequence Determined by High-Throughput Sequencing. Die Anthropologengruppe analysierte diese über die Mutter vererbte Gene aus 38.000 Jahre alten Neandertaler-Knochen eines Individuums, die 1980 in der Vindija-Höhle in Kroatien gefunden worden waren.
Die neue Untersuchung entstand im Rahmen des Neandertaler Genom-Projekts und die Beteiligten sehen sie als Meilenstein, da die Probe fünfunddreißig Mal sequenziert wurde. Richard Green ist überzeugt, dass damit zum ersten Mal eine im Wesentlichen fehlerfreie Sequenz aus derartig alter DNS gewonnen werden konnte. Svante Pääbo, Direktor der Abteilung für Genetik am MPI für Evolutionäre Anthropologie erklärt:
"Wir freuen uns sehr, die vollständige genomische Analyse in der Erforschung der menschlichen Evolution anwenden zu können. Dieses Ergebnis ist nur die Spitze des Eisbergs bei der Komplettsequenzierung des Neandertaler-Genoms. Die mitochondriale Sequenz selbst ist von enormer Bedeutung, da sie uns den eindeutigen molekularen Beweis hinsichtlich der Datierung der Auseinanderentwicklung von modernem Menschen und Neandertaler liefert."
Die Sequenz zeigt, dass es keine nahe Verwandtschaft zwischen Homo neanderthalensis und Homo sapiens gibt. Der Vergleich mit mitochondrialer DNS von Schimpansen und Menschen ergab zudem, dass sich die Linien von modernem Menschen und Neandertaler vor mindestens 520.000 (660.000 plus oder minus 140.000) Jahren getrennt haben.
Das Erbgut des Neandertalers lässt außerdem folgern, dass die Population dieses frühen Europäers insgesamt sehr klein war. Wahrscheinlich durchstreiften gerade Mal einige Tausend von ihnen den Kontinent vor 40.00 Jahren. Das harte Klima mit immer wiederkehrenden Eiszeiten könnte dafür verantwortlich gewesen sein, dass ihre Anzahl stark beschränkt blieb.
Der Neandertaler war uns sehr ähnlich, ein naher Verwandter, der verstarb, ohne Kinder zu hinterlassen. Vielleicht hat dieser Onkel es einfach nicht überlebt, von uns in großer Zahl überrannt zu werden.