Nena, die Bild-Zeitung und der "Feuer-Anschlag"
Es war zwar ein Fehlalarm, aber das macht ja nichts in Terrorzeiten: Lieber einmal zu viel alarmiert und verdächtigt
Die Terrorhysterie hat nun nicht mehr nun Passagiere in Flugzeugen erfasst, die verdächtiges Verhalten bemerkt haben wollen, sondern ist in Deutschland nun auch schon dank der Bild-Zeitung auf anderen Gefilden gelandet. „Sind wir schon wieder knapp einem Terroranschlag entkommen?“, fragen scheinheilig die Experten für Spin-Informationen. Angeblich sollen türkisch-stämmige Männer geplant, einen Anschlag auf ein Nena-Konzert zu unternehmen.
Begleitet wird dieser Artikel von einem anderen über Äußerungen von Manfred Murck, dem stellvertretenden Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hamburg. Der wird nach einer laxen Interpretation flugs als „erster Verfassungsschützer“ bezeichnet und dient dazu, für Stimmung zu sorgen: „Terror-Alarm! Erster Verfassungsschützer ruft auf: Jeden Verdächtigen melden!“ Gesagt hatte der gute Mann dem NDR, dass man lieber einmal zu viel als zu wenig die Polizei über einen Terrorverdacht informieren soll. Einmal zu viel könnte es im Ruhrgebiet gewesen sein.
Ausgerechnet Nena soll das Ziel einer islamistischen Terrorgruppe gewesen sein. Nena, die mit den 99 Luftballons, die Ikone der Deutschen Welle, wird sie von der WAZ genannt. Sie gab am Samstagabend im Gelsenkirchener Amphitheater ein Konzert. 3.500 Besucher waren gekommen. Wird sie nun zur Ikone des islamistischen Hasses auf die Werte des Westens?
Aus „zwei unterschiedlichen Quellen sollen die Informationen auf einen möglicherweise geplanten Anschlag gekommen sein. Endlich die erwünschten Helfer aus der islamischen Szene? Nach der Bild habe die Polizei das Handys eines „terroristischen Gefährders“ abgehört und dabei gehört: „Wir nehmen uns das Schiff, morgen um 22 Uhr geht es los.“ Ab Freitagabend wurden daraufhin 8 Verdächtige im Alter zwischen 23 und 53 Jahren festgenommen und deren Wohnungen in Gelsenkirchen, Essen, Gladbeck und Duisburg durchsucht. Da einige von ihnen auch zuvor im Gelsenkirchener Hafen gesehen wurden, hatte man dort am Samstag die Polizeipräsenz verstärkt. Vor dem Konzert wurde das Amphitheater nach Sprengstoff durchsucht. Der WAZ sagte ein Polizeisprecher, dass die Überwachung des Nena-Konzerts durch einen Großeinsatz nicht in Zusammenhang mit den Durchsuchungen stünde. Man sei nur „wegen der räumlichen Nähe zum Fahndungsort tätig“ geworden, was immer das heißen mag, vermutlich einfach sicherheitshalber.
Die Bild weiß es besser. Angeblich hatte die Polizei vermutet, dass die festgenommenen eine „Terrorzelle“ bildeten und den Plan hatten, „ein Tankschiff auf dem Rhein-Herne-Kanal (zu) kapern und am Gelsenkirchener Amphitheater in die Luft (zu) jagen – während eines Nena-Konzerts!“ In Gelsenkirchen wären sie beobachtet worden, wie sie „Tankschiffe mit Zehntausenden Litern Benzin an Bord“ ausspioniert hatten. Den Bild-Journalisten gefiel offenbar die Vorstellung von einem „Feuer-Anschlag auf Nena“ so gut, dass man auch weiterhin von der Möglichkeit berichtet, ohne davon Kenntnis zu nehmen zu wollen, dass die Verdächtigen allesamt am Sonntagmorgen bereits freigelassen wurden. Die Hinweise auf einen geplanten Anschlag hatten sich nicht erhärten lassen. Der Polizeieinsatzleiter erklärte allerdings, dass man in einem ähnlichen Fall wieder mit demselben Aufwand vorgehen würde: "Wir können nicht abwarten bis etwas geschieht.“ Es war also ein Fehlalarm.
Die Bild-Zeitung will das auch nicht. Alarmismus tut sich immer gut auf den Schlagzeilen (und es hilft auch den wirklichen Terroristen, denen so die die Arbeit von den Medien abgenommen wird). Um die Stimmung im Volk aufrechtzuerhalten und neue Warnungen zur Prävention durch penible Überwachung – Innenminister Schäuble nennt dies neutraler „Sensibilisierung“ der Öffentlichkeit – zu provozieren, wird Joachim Lenders, Vize-Chef der „Deutschen Polizeigewerkschaft“ (DPolG), zitiert, der zu Meldungen aufmuntert: „Wir müssen dem Bürger die Hemmschwelle nehmen, bei der Polizei anzurufen. Sollte sich ein Verdacht nicht bestätigen, wird niemand rechtlich belangt.“
Das ist fein, da kann man dann schnell mal ein paar Hundertschaften Polizisten irgendwo anrücken lassen. Es hätte ja sein können. Vielleicht hat man mit Nachbarn noch etwas auszutragen oder will jemand mal ein wenig erschrecken. Aber Bild ist ja fürsorglich und gibt dem Leser noch ein paar Kriterien in die Hand, wo Verdacht keimen sollte:
Wie kann ich einen Verdächtigen erkennen?
Nach den Anschlägen von London (52 Tote) vom 7. Juli 2005 wurden von britischen Anti-Terror-Spezialisten sogenannte „guidelines" zur Identifizierung von Terrorverdächtigen im öffentlichern Raum entworfen.
Demnach auffällig: schwitzende Personen, Reisende mit schwerem Gepäck, Schwangere, Personen mit Sonnenbrillen und Mützen. Weiter heißt es: „Seien Sie sich bewusst, dass es kein spezifisches rassisches, ethnisches, sexuelles oder religiöses Profil für Terroristen gibt.
Das sagen natürlich die Anti-Terror-Spezialisten, Bild ist da fein heraus, wenn demnächst Schwangere oder Menschen mit Sonnebrillen und Mützen, zumal wenn sie noch schwitzen, gemeldet und aufgegriffen werden, um mal ein paar Stunden beim Verhör zu verbringen. Verdächtig mag nur sein, dass „es kein spezifisches rassisches, ethnisches, sexuelles oder religiöses Profil für Terroristen gibt“. Selbst jeder Bild-Redakteur könnte also ein Terrorist sein, der vielleicht nur auf der falschen Seite gelandet ist.