"Nennen Sie mir ein Kopfmonopol und ich hacke es ab"
Die Wissensgesellschaft entlässt ihre Kinder und kehrt zum Taylorismus zurück
"Unser Rohstoff sind die hellen Köpfe", lautet das Credo der Wissensgesellschaft. Und um diese Ressource angemessen fördern zu können, bildete sich lange Zeit auch der Kapitalismus weiter, denn Denkfabriken brauchen etwas anderes als Fließbänder. So fand dann der subjektive Faktor Eingang in die Arbeitswelt. Es kam plötzlich auf den Einzelnen und seinen Input an. Nicht mehr länger nur Befehlsempfänger, fand er sich in flachen Hierarchien mit netzwerkartigen Strukturen wieder, die ihm einigen Freiraum ließen und Verantwortung zubilligten. Von einer "Rationalisierung durch Humanisierung" sprachen die Gewerkschaftler, und Theoretiker wie Toni Negri träumten von einer Emanzipation durch Wissensproduktion. Inzwischen aber geht alles wieder seinen alten kapitalistischen Gang.
In seinem 1992 eröffneten Rastatter Werk sorgte Daimler gemeinsam mit dem Gesamtbetriebsrat und der IG Metall dafür, dass die Räder fast stillstanden. Der Automobil-Hersteller wendete sich von der Massenfertigung ab und reduzierte die Fließband-Arbeit auf ein Minimum. Die E-Klasse entstand in Montage-Boxen, von Teams zusammengeschraubt, wobei die einzelnen Arbeitsschritte auch schon mal drei Stunden dauern durften. Viel Rotation und zusätzliche Aufgaben in Bereichen wie Instandhaltung, Qualitätssicherung und Logistik sorgten für weitere Abwechslung.
Aber diese schöne neue Arbeitswelt währte nur fünf Jahre. Mit der Produktion der A-Klasse kehrte der Konzern zur Fließband-Fertigung mit Taktzeiten von 1,3 Minuten für die einzelnen Handgriffe zurück. Alle wichtigen Prozesse unterlagen nun wieder einer strengen Formalisierung und Standardisierung. Sogar der Kehrbesen in den Gruppenräumen hatte seinen genau zugewiesenen Platz, wie der Industrie-Soziologe Klaus Dörre beobachtete. Und Rastatt war überall: Rund um den Globus übernahmen die A-Klassen-Fabriken die festgesetzten Abläufe.
Der "Kontinuierliche Verbesserungsprozess" zwischen Erforderlichem und Machbarem
"Rückkehr zum Taylorismus?", lautete 1999 deshalb passenderweise der Titel des Buches von Roland Springer, der damals bei Daimler für die Arbeitsorganisation zuständig war. Bei späteren Vorträgen - schon als selbstständiger Unternehmensberater und Professor für "Lean Management" und Prozess-Optimierung" - ließ er das Fragezeichen weg und hatte keine Scheu, mit Marx auf die Notwendigkeit der permanenten Weiterentwicklung der Produktivkräfte und mit Schumpeter auf die "schöpferische Zerstörung" zu verweisen. Auch den kurzen Betriebsausflug ins Humanistische erklärte er in "Rückkehr zum Taylorismus" streng materialistisch. Das Angebot an Arbeitskräften regelt für ihn die Nachfrage nach dem, was die Gewerkschaften "gute Arbeit" nennen. Kommt es zur "Verknappung von Human-Ressourcen", müssen die Unternehmen die Arbeitsplätze attraktiv gestalten und eine "arbeitsmarkt-getriebene Rationalisierung" betreiben, im umgekehrten Fall steht hingegen eine "produktmarkt-getriebene Rationalisierung" auf der Tagesordnung.
Und genau dafür sah Daimler 1997 die Zeit gekommen. Der Konzern orientierte sich jetzt am japanischen Modell der "schlanken Produktion". Er reduzierte die Fertigungstiefe per Outsourcing und baute Lagerkapazitäten ab, um "just-in-time" fertigen zu können. Den Kurzschluss mit den Märkten suchte das Unternehmen auch durch das Schaffen von unabhängigen Einheiten, denen es Verantwortung sogar für den Produktpreis aufbürdete, ohne ihnen jedoch Steuerungskompetenzen zuzugestehen. Von "operationaler Dezentralisierung bei gleichzeitiger strategischer Zentralisierung" spricht deshalb der IG Metaller Rainer Salm.
Zudem institutionalisierte der Autobauer die Innovation durch das Bekenntnis zum "Kontinuierlichen Verbesserungsprozess", kurz KVP. Hatte der gute alte Taylor noch mit anatomischen Studien die Grenzen der Belastbarkeit erkundet, gibt es solche nun nicht mehr. Salm zufolge "wird jetzt systematisch eine Differenz aufrechterhalten zwischen dem 'Erforderlichen' und dem 'Machbaren'". So operierte das Rastatter Werk planmäßig mit zwei Personalbedarfsrechnungen, von denen keine der wirklichen Mannschaftsstärke entsprach. Das war auch Sinn der Übung: Im Zwischenreich schlummerte nämlich das KVP-Potenzial.
"Fließband" der Software-Entwicklung
Bald erreichte das Rollback auch die Zulieferer, den Maschinenbau und die Elektro-Industrie. Sogar in das Herz der Wissensgesellschaft, die IT-Branche, drang es vor. Dort markierte das Ende des Internet-Booms den Übergang von der arbeitsmarkt-getriebenen Rationalisierung zur produktmarkt-getriebenen. "Mit der Dotcom-Blase platzten auch unsere Träume von einer guten Arbeit. Das Management sagte den 'Kopfmonopolen' den Kampf an", konstatiert der Blog Ressourcen rebellieren.
Den Computer-Nerds, die sich mit ihren Programmierfähigkeiten nach der Devise "Wissen ist Macht" eine Narrenfreiheit in den Firmen erarbeitet hatten, ging es buchstäblich an den Kragen. Die Ansage lautete jetzt: "Nennen Sie mir ein Kopfmonopol und ich hacke es ab". Die Manager zerlegten die Software-Entwicklung frei nach Taylor in einzelne Module, schieden komplexe von weniger komplexen Vorgängen und lagerten anspruchslosere Tätigkeiten nach Indien aus. Die Programmierer bekamen es wie ihre Kollegen in der Automobil-Industrie mit KVP, steigender Verantwortung bei sinkenden Einflussmöglichkeiten und direkterer Steuerung durch das Marktgeschehen zu tun. Zudem mussten sie nun jeden Arbeitsschritt protokollieren, sich an vorher festgelegten Teilzielen entlang hangeln und Leistungsmesssysteme akzeptieren.
Und über all das wacht vielleicht bald schon standesgemäß ein digitaler Aufpasser, denn IBM hat mit "Eclipse Jazz" eine Technologie-Plattform für das "Global Software Engineering" erstellt. Mit ihr will der Hersteller die häufigen Reibungsverluste zwischen den Zentralen und den Offshore-Filialen abstellen und per vorinstallierter Berichtskomponente für klare Verhältnisse sorgen. "So wissen Sie immer, wie sich ein Projekt gerade entwickelt, ohne fragen zu müssen", schwärmt der IBMler Erich Gamma.
Auch wer wissen will, bei welchem Beschäftigten es konkret hakt, erhält eine Antwort: "Mit der Transparenz kommt die Zurechenbarkeit." Das ist aber noch nicht alles. "Darüber hinaus ermöglichen die enge Verzahnung von Planung und Vorgehensweise und die Integration von technischen und planerischen Artefakten in ein einzelnes Werkzeug eine weitgehende automatische Steuerung entsprechender Workflows, wodurch Zeit- und Aufgabenplanung ebenso wie die Fortschrittskontrolle erheblich einfacher und effektiver werden", verspricht der Konzern. Den rebellischen Ressourcen schwant bereits Schlimmes: "Eclipse Jazz könnte zum 'Fließband' der Software-Entwicklung werden".
Diese Verschlechterung der Arbeitsbedingungen blieb nicht ohne Folgen. "Wie sehr die gesundheitliche Belastung unter IT-Beschäftigten in den vergangenen Jahren gestiegen ist, hat uns verwundert. Wir hatten das in dieser Dramatik nicht erwartet", sagt der Soziologe Tobias Kämpf vom "Münchner Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung". Über Burnout-Syndrome, Hörstürze, Depressionen, Schlafstörungen und Magenprobleme klagten die von ihm befragten Computerarbeiter hauptsächlich.
Die Wissensgesellschaft entlässt augenscheinlich ihre Kinder. Es gibt wohl doch keine ihr innewohnende Logik, die zur Emanzipation drängt. "Indem sie ihre eigenen schöpferischen Energien ausdrückt, stellt die immaterielle Arbeit das Potenzial für eine Art des spontanen und elementaren Kommunismus bereit", hatte es in "Empire" von Toni Negri und Michael Hardt noch geheißen. Und André Gorz fasste die Wissensökonomie in "Wissen, Wert und Kapital" als Negation der Warenökonomie auf und beschrieb die großen Schwierigkeiten des Kapitalismus, Wissen zu privatisieren, zur Ware mit eindeutigem Tausch- und Gebrauchswert zu machen und ihren Produzenten Mehrwert abzupressen. Der Philosoph entwickelte jedoch auch ein düstereres Szenario, in dem die Wissensgesellschaft mittels Gentechnik und Gehirnforschung den Weg in eine post-humane Zivilisation einleitet. Diese Alternative hat aber ebenfalls nichts Zwangläufiges. Letztendlich ist es das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit, das die Produktionsbedingungen bestimmt, da liegt der Praxis erprobte Proto-Marxist Roland Springer ganz richtig.