Neoliberaler Kuschelislam?

Predigen für die Liebe und das Geld: Amr Khaled

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Man kann ihn so oder so einsortieren: Amr Khaled, der medienhippe Islamist, der alten Wein in neuen Schläuchen ausschenkt. Amr Khaled, der Neoglobalisierer, der den Islam an den Westen anbindet. Oder Amr Khaled, der Lackaffe der arabischen Oberschicht, der an den wahren Problemen der verarmten Muslimmassen vorbeiplauscht. Sicher ist soviel: Der aus Ägypten stammende Amr Khaled ist der populärste Satelliten-TV-Prediger der arabischen Welt.

Seit Ende der 90er Jahre verbreitet der 38-Jährige seine Botschaft- und die lautet "Nahda", was nichts Geringeres als Wiedergeburt bedeutet. Damit bringt der Ägypter einen Begriff zum Klingen, der bereits Ende des 19. Jahrhunderts für eine große Erneuerungsbewegung stand, für den Willen zur Religionsreform und zur Wiederbelebung jener geistigen Kräfte, die die Araber zurück in die erste Liga der Weltakteure holen sollten. Nun war aber bereits damals umstritten, zu was die Nahda letztlich mehr motiviert hatte: zur Rückkehr zur strengen Lesart des Islam oder zum Wunsch nach Eingliederung in die westliche Modernität. Für Amr Khaleds Nahda jedenfalls gilt beides, mehr oder weniger.

Nach inhaltlichem Fortschritt sucht man in seinen Predigen vergeblich. Als "größte, größte, größte Sünde" gilt ihm die Abnahme des Kopftuches. Von Sex vor der Ehe oder gar Homosexualität ganz zu schweigen. Und ganz schweigt er sich tatsächlich zu allem aus, was das "fiqh" (islamisches Recht) berühren oder mehr Durchblick in die Unschärfen von "haram" (verboten) und "halal" (erlaubt) bringen könnte. Hinterfragen ist nicht Khaleds Sache - "auch wenn du nicht verstehst, musst du gehorchen" sein Credo. Worin liegt also der Clou?

Preiset das Glück des Tüchtigen

Zunächst in seinem Auftreten: Amr Khaled ist das exakte Gegenteil jener bebarteten Scheichs, die mit Turban und Roben ein kompliziertes Hocharabisch in die Kameras poltern, von dem die meisten Zuschauer nur verstehen, dass sie ein Höllenfeuer erwarte, weil sie wieder irgendetwas falsch gemacht hätten. Ganz anders ergeht es ihnen da mit Khaled, der sie im Umgangsarabisch mit "Worten aus dem Herzen" empfängt. "Kalam min al-Qalb" lautete denn auch der Titel seiner ersten TV-Show, mit der 2001 Aufsehen erregte.

Nach dem Muster christlicher TV-Predigen tauschte ein glatt rasierter Khaled im Straßenanzug mit seinem jungen Livepublikum Geschichten aus dem wahren Leben aus, sprach von einem gütigen, statt strafenden Gott. Die Angst, und damit einen der Grundpfeiler des islamischen Establishments, wischte er weg. Angst dürfe man weder vor der eigenen Religion haben und erst recht nicht vor der eigenen Courage. Seine Aufrufe im Namen Allahs ein proaktives, produktives Leben zu führen, untermauert von den historischen Beispielen tatkräftiger muslimischer Männer und Frauen, sind Musik in den Ohren einer von Frustration und Minderwertigkeitskomplexen geplagten Jugend.

Statt sich in gewalttätigen Bahnen auszutoben, sollte jeder seine Energie in eine Lebensgestaltung stecken, die ihm, seiner Gemeinschaft und seiner Glaubenslehre gleichermaßen diene, zumal letztere laut Koran als Gnade, nicht etwa als Fluch für die Welt intendiert gewesen sei. Den Beweis dafür könnten tüchtige Muslime jederzeit antreten: "Wer viel verdient, kann den Ärmeren viel spenden. So beweist uns Allah seine Liebe und wir ihm unsere." Ein Motivationsprogramm, das somit fest in die Fundamente der almosenpflichtigen Religion eingegraben ist.

Let's talk money

Zugleich schlägt der gelernte Buchhalter den Bogen Richtung Westen. Denn nebst aller Frömmigkeit zählen Ehrgeiz und wirtschaftliche Effizienz - und die müssen richtig, sprich: nach US-Vorbild angepackt werden. So sind "Networking", "Marketing" und "Selfmanagement" nicht nur verbale Anleihen aus der Welt neoliberaler Wirtschaftskonzepte.

Die "Khaled Incorporation" mit ihren jährlichen Geschäftsberichten ist selbst der beste Beweis. Geschäftsberichte, die sich so erfreulich lesen, dass sie zum Image von Global Playern wie Nike perfekt passen. Wer Wirtschaftsinteressen vertritt, zeigt sich gerne an der Seite des Jugendidols, das auf Druck ägyptischer Autoritäten im November 2002 sein Land verlassen musste und vom britischen Exil aus weiterpredigte - mit solchem Erfolg, dass die über ihre rund 1,7 Millionen Muslime besorgte Blair-Regierung den Vorzeigemuslim prompt zur Zusammenarbeit anwarb. Über ein gemeinsames Projekt sollen heranwachsende Muslime besser in der britischen Gesellschaft verwurzeln, ohne dabei um ihr kulturelles Erbe bangen zu müssen.

Auch in Deutschland herrscht Bedarf an Khaled. Vor allem an seinem bislang marktgerechtesten Produkt, seinem Lebensgestaltungs-Unternehmen, globalisierungsgerecht "Lifemakers" belabelt. So gründete sich im vergangenen Jahr Lifemakers Deutschland als bundesweites Netzwerk. Ob bei Behördengängen, finanziellen Nöten oder "Business-Plan"- Fragen für die Errichtung islamischer Kindergärten - dem "Islamic Dream" soll geholfen werden. Bemerkenswert ist aber, dass die Spendenaufrufe etwa für ein schwer krankes Kind und seine nicht versicherten Eltern weit weniger Forumsbeteiligung finden als die Angebote zu Geschäftskooperationen. Bemerkenswert aber auch: Getreu des Großmeisters Diktum, die Werte der Gesellschaft, in der man lebt, zu respektieren, sprechen die deutschen Lifemakers Deutsch, mit einem bisschen Englisch - ganz so wie die Deutschen selbst.

Dreh- und Angelpunkt: der Westen

Wozu diese Annäherung langfristig auf beiden Seiten führt? Vielleicht tatsächlich zum vollkommenen Globalisierungsglück. Auf Khaled zumindest scheint sein Londoner Exil tiefen Eindruck gemacht zu haben. Betonte er davor noch, dass Muslime nie zu westlichen Imitationen verkommen dürften, deutete er nach seiner Heimkehr vor wenigen Wochen an, nun "eine andere Vision" zu verfolgen - vor allem gelte es, "eine Brücke zum Westen zu bauen".

Unter anderem wolle er, in vollem Bewusstsein über seine Macht über sein Millionenpublikum, der arabischen Jugend noch stärker die Leviten lesen. Wie "Parasiten" würde sie in der Welt leben, vor Selbstmitleid zerfließen und sich in westlichen Konspirationstheorien aalen, ohne je gelernt zu haben, selbst etwas zu geben.

Aus dem Mund eines Arabers ist das eine beachtliche - und korrekte - Schelte. Denn während die Schule der Selbstkritik in arabischen Nationen nahezu inexistent ist, wird die Schule des Jammerns und des Fingerzeigs auf den Westen mitsamt Israel schon von Kindern beherrscht. Aus dem Mund des Star-Predigers klingt der Appell dennoch abstoßend. Zu augenscheinlich hat er es schon in seinen Kairoer Anfängen auf das gut betuchte städtische Bürgertum abgesehen. Eben dies lässt den Islamexperten Patrick Haenni seit Jahren zu Recht mutmaßen, dass Unterschicht und Landbevölkerung in Khaleds Vision, wenn überhaupt, nur dort vorkommen, wo sie auch der Rest der Welt ansiedelt: am Rande. Also dort, wo sich der Sohn aus gutem Hause selbst nie bewegte.

Flohzirkus im Haifischbecken?

Inwiefern Khaled dem Westen zuarbeitet, und sei es, indem er "nur" einen neoliberalen Kuschelislam verfolgt, ist umstritten. Tatsächlich arbeitet er für den in Saudi-Arabien beheimateten Satellitensender "Iqraa", empfängt Schecks von saudischen Millionären ("nur von seriösen") und balanciert damit automatisch in den Grauzonen der saudischen und ägyptischen Regime, die ihrerseits den Spagat vollführen, die Darlinge der USA zu sein und zugleich ihre selbst gezüchtete islamistische Riesenkrake unter Kontrolle zu halten.

Hala Mustafa, Herausgeberin der ägyptischen Quartalszeitschrift "Demokratie" vermutet denn auch, dass Khaled den Westen lediglich austrickse, im Prinzip aber dieselben Ziele wie alle Fundamentalisten verfolge. Allerdings wird ihre Zeitschrift von eben dem Regime finanziert, das Khaled vor rund drei Jahren verbannte. Über die Hintergründe schweigt sich auch der Prediger aus. Gerüchten zufolge könnte seine Sogwirkung auf Frauen, die sich infolge seiner Predigten scharenweise verschleierten, der Auslöser gewesen sein. Angeblich war sogar Staatspräsident Husni Mubaraks Schwiegertochter darunter - für den vorgeblich säkularen Staat kaum die passende Visitenkarte.

Ein anderer Grund aber mag gewesen sein, dass Khaled, ob nun Scharlatan-im-Auftrag-von-wem-auch-immer oder naiver Eiferer für einen Weltbank-Islam, der unzufriedenen Jugend des Nahen Ostens tatsächlich Flöhe ins Ohr zu setzen vermag. Der größte und für die Machthaber erschreckendste heißt zweifelsohne "Proaktiv!". Das letzte, was sich Diktatoren von ihrem Fußvolk wünschen. Kaum vorstellbar, wenn Khaled einen Nachahmer mit der gleichen Zugkraft fände, der seiner religiösen Mission noch das beimischt, was Khaled bislang tunlichst vermied: eine politische Botschaft oder gar Forderungen nach konkret umrissenen Reformen.

Inwiefern dieser Mann (eine Frau wird es wohl kaum sein) dann aber mit Unsummen aus West und Ost gefüttert würde, ist mehr als fraglich.