NetzDG soll "bleiben, aber verbessert werden"

Grafik: TP

Einzelne Landtagsabgeordnete könnten Verfassungsklage einlegen

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CSU-Politikern nach soll das in der letzten Legislaturperiode von einer Großen Koalition aus Union und SPD verabschiedete umstrittene Social-Media-Zensurgesetz NetzDG trotz der zutage getretenen Probleme nach dessen vollständigem Inkrafttreten (vgl. NetzDG: Kurzfristig Aufmerksamkeit, langfristig Vorzensur) von einer erneuten Großen Koalition nicht abgeschafft, sondern lediglich "evaluiert" und anschließend "handwerklich verbessert" werden. Dass teilten der CSU-Innenexperte Stephan Mayer und der innenpolitische Landesgruppensprecher Michael Frieser der Bild-Zeitung mit.

Vorher hatte der CSU-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich auf Twitter angekündigt, für einen von der FDP eingebrachten Antrag zur Abschaffung des Gesetzes zu stimmen, der derzeit in den Ausschüssen debattiert wird. Als das Gesetz im letzten Sommer verabschiedet wurde, hatte mit der CSU-Politikerin Iris Eberl nur eine einzige Unionsabgeordnete dagegen gestimmt. Sie hielt dem ehemaligen SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann entgegen, es gebe in Sozialen Medien nicht das von ihm behauptete "Gesetz des Hasses", sondern lediglich "Meinungen, die Ihnen nicht gefallen".

Schulz hofft auf Netzpolitiker aus Union und FDP

Obwohl außer Eberl und Friedrich bislang nur ein einziger Abgeordneter aus der neuen schwarz-roten Koalitionsverhandlung signalisiert hat, für eine NetzDG-Abschaffung zu votieren, hofft der FDP-Digitalexperte Jimmy Schulz auf eine überfraktionelle Mehrheit für den Antrag gegen das Gesetz, mit dem der sozialdemokratische Bundesjustizminister Heiko Maas dem stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Wolfgang Kubicki nach "den Rechtsstaat aufgegeben" hat. Dabei verweist Schulz unter anderem darauf, dass der Widerstand gegen das NetzDG nicht nur aus der FDP, den Branchenverbänden und NGOs kommt, sondern auch "von cnetz, dem netzpolitischen Verein der CDU und von dem der SPD nahestehenden Verein D64".

Dass viele Abgeordnete von CDU, CSU und SPD für den Abschaffungsantrag stimmen werden, ist trotzdem unwahrscheinlich, weil es im gestern beschlossenen 28-seitigen Sondierungspapier der drei Parteien wörtlich heißt: "Im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind." Man wird also versuchen, die Fraktionsdisziplin durchzusetzen. Zumindest so lange, wie die neue alte Koalition hält - also vorerst bis zur bayerischen Landtagswahl im Oktober.

Zu möglichen Stimmen aus den Reihen der AfD meint Schulz, er könne "denen ja nicht verbieten, gegen das Gesetz zu sein, auch wenn die grundsätzlich eine komplett andere Haltung haben als wir". Die Linke brachte bereits im letzten Jahr einen Gesetzentwurf für eine "Teilaufhebung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes" ein (vgl. Politik der "Zeichensetzung"), fordert aber keine vollständige Abschaffung.

Für die Grünen, die sich bei der Abstimmung über das NetzDG im Bundestag enthielten, hat die Bundestagsabgeordnete Renate Künast angeregt, die "erhaltenswerten Aspekte des Gesetzes wie den inländischen Zustellungsbevollmächtigten, die Transparenzvorschriften und strengere Vorgaben zur Vorhaltung eines Beschwerdemanagements zu konkretisieren" und über "zentrale, bundesweit zuständige spezialisierte Gerichte" zu "diskutieren", die "für eine schnellere und einheitliche Rechtsprechung sorgen". In Blogs und Sozialen Medien sieht man diesen Vorstoß unter anderem wegen der Rechtsprechung des informell spezialisierten Landgerichts Hamburg (vgl. Hamburg hört in Karlsruhe auf) eher als Aufruf zur Verschlimmbesserung des NetzDG.

Klage von Landtagsabgeordneten wegen Kompetenzüberschreitung des Bundes?

Kommt keine überparteiliche Bundestagsmehrheit gegen das NetzDG zustande, hält Schulz eine Verfassungsbeschwerde für "denkbar", aber "äußerst schwierig, weil eine Privatperson betroffen sein und klagen müsste". Dafür, dass Politiker potenziell eher nicht betroffen sind, sorgt nicht nur die Unklarheit darüber, warum ein Tweet oder ein Post gelöscht wurde, sondern auch ein Promibonus, den Twitter Politikern einräumt (vgl. Twitter bezieht erneut Stellung zum Umgang mit Politiker-Tweets).

Auf einen möglicherweise leichteren Weg zur Verfassungsklage hat der Leipziger Medienrechtsprofessor Hubertus Gersdorf hingewiesen: Er erinnert daran, dass Medienrecht in Deutschland grundsätzlich Ländersache ist, weshalb auch eine Landtagsfraktion oder sogar ein einzelner Landtagsabgeordneter ein Klagerecht geltend machen könnten. Allerdings hat sich noch keine Fraktion gefunden, die diesen Weg gehen will.

Auch die AfD (die im Bundestag einen eigenen chancenlosen Antrag zur NetzDG-Abschaffung stellte) hält sich bislang zurück. Stattdessen forderte ihr Bundessprecher Jörg Meuthen öffentlich dazu auf, ihm und seinem Team Social-Media-Beiträge politischer Gegner zuzusenden, "die möglicherweise 'offensichtlich rechtswidrig'" und damit ein Fall für das NetzDG sind. Damit will er nach eigenen Angaben "Maas mit seinen eigenen Waffen schlagen". Das Anlegen einer in Wahlkämpfen und Debatten nutzbaren Zitatschatztruhe dürfte ein nicht explizit genannter, aber wahrscheinlich auch nicht unerwünschter Nebeneffekt sein.