Neuauflage Informationsfreiheitsgesetz
Deutsche Bürokratie bewegt sich nicht
Bürger können in deutschen Behörden keine Akten einsehen. Noch immer herrscht das Amtsgeheimnis vor dem Öffentlichkeitsprinzip. Derzeit beraten allein in Europa noch Luxemburg, Kroatien, Weißrussland und Jugoslawien über Informationsfreiheitsgesetze. In Deutschland hingegen wird die Verabschiedung seit fünf Jahren immer wieder verschoben. Zuletzt scheiterte der Bundesentwurf im Sommer 2002 am Widerstand einiger Ministerien sowie der Wirtschaft, die um die Preisgabe von Forschungs- und Betriebsgeheimnissen bangte.
Ende Mai stellte das Bundesinnenministerium den Koalitionsfraktionen im Bundestag den Gesetzesentwurf erneut vor. Allerdings, so heißt es aus der SPD-Fraktion, stellte das Ministerium lediglich den unveränderten Vorjahresentwurf vor: Die Beamten sollen die selben Gegenargumente wie bereits vor einem Jahr vorgetragen und zahlreiche Änderungswünsche der SPD und Bündnisgrünen ignoriert haben. Nun wollen die Abgeordneten in kleinen Gesprächsrunden mit den Referatsleitern aus verschiedenen Ministerien den Entwurf in den nächsten Wochen in allen Details beraten. Einiger Druck auf die Bürokratie scheint jedenfalls nötig zu sein. Manfred Redelfs vom Journalistenverband Netzwerk Recherche wittert denn auch einen Interessenskonflikt: "Momentan arbeitet die Ministerialbürokratie daran, sich selber mehr Transparenz zu verordnen." Es sei deshalb naheliegend, dass "ein solches Projekt nicht gerade mit Herzblut vorangetrieben wird".
Dabei hatte der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss zunächst gehofft, vor allem die Bedenken der Wirtschaft widerlegen zu können. So hatte Bertelsmann im April in einer kleinen Studie darüber informiert, dass in den USA immerhin 80 Prozent der Anfragen von Wirtschaftsunternehmen ausgehen. In Kanada stellen Unternehmen mit 50 Prozent die größte Nutzergruppe. Das Informationsfreiheitsgesetz senke die Kosten von Unternehmen für die Informationsbeschaffung und erschließe mit der kommerziellen Nutzung des Gesetzes sogar ein neues Geschäftsfeld. Im Bereich der öffentliche Vergabe stärke es den Wettbewerb sowie das Vertrauen der Kunden.
"Ein wirksames Mittel zur Bekämpfung von Korruption und Vetternwirtschaft", erkennt Reinold Thiel von Transparency International/Deutsches Chapter in der freien Akteneinsicht. Es sei deshalb an der Zeit, "dass die Ankündigungen aus der Koalitionsvereinbarung endlich in die Tat umgesetzt werden". Es scheint höchste Zeit zu sein: Im Antikorruptionsregister ist Deutschland bereits auf Platz 18 abgerutscht. Auf internationale Firmen und Anleger wirkt dies wohl abschreckender als ein Informationsfreiheitsgesetz.
In fast allen Industrieländern gibt es bereits solche Transparenzverpflichtungen. Mit einem bundesweit gültigen Informationsfreiheitsgesetz hätte jeder Bürger ein Akteneinsichtsrecht, unabhängig von seiner persönlichen Betroffenheit und ohne dass eine besondere Begründung erforderlich wäre. Inzwischen konnten mit Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein auch vier deutsche Bundesländer mit dem Akteneinsichtsrecht gute Erfahrungen machen. Christoph Bruch vom Berliner Landesvorstand der Humanistischen Union geißelt die gegenwärtige "Beschränkung politischer Kontrollmöglichkeiten auf Mandatsträger" denn auch als "antiquiertes Demokratieverständnis".
Angesichts des drohenden Stillstands fordern nun "Netzwerk Recherche", die Bürgerrechtsorganisation "Humanistische Union", und "Transparency International", dass das im Koalitionsvertrag angekündigte Informationsfreiheitsgesetz auf jeden Fall noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Immerhin hatte sich Rot-Grün das Gesetz bereits im Koalitionsvertrag von 1998 auf die Fahnen geschrieben. Die drei Organisationen wollen sich jetzt untereinander auf Mindestanforderungen an ein allgemeines Akteneinsichtsrecht verständigen und einen eigenen Gesetzentwurf ausarbeiten. "Wenn die Verwaltung kein weitreichendes, modernes und für jeden Bürger verständliches Akteneinsichtsrecht zustande bringt, müssen wir ihr offenbar dabei helfen", sagt Redelfs.